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UNRWA-Kritik: «Der Zeitpunkt kommt mir doch sehr politisch bestimmt vor»

epa11108573 Internally displaced Palestinians move past Israeli tanks after the Israeli army told residents of Khan Yunis camp to leave their homes and head towards Rafah camps near the Egyptian borde ...
Ein Palästinenser geht an einem israelischen Panzer vorbei.Bild: keystone

UNRWA-Terrorverdacht: «Der Zeitpunkt kommt mir doch sehr politisch bestimmt vor»

Die Affäre um das UNO-Flüchtlingshilfswerk für Palästina weitet sich aus: Immer mehr Details zu den mutmasslichen Verstrickungen zwischen Mitarbeitern und den Hamas-Terroristen werden bekannt. Die Negativschlagzeilen kommen Israel gelegen.
30.01.2024, 16:2830.01.2024, 17:29
Bojan Stula / ch media
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Der Konflikt um das UNO-Flüchtlingshilfswerk für Palästina (UNWRA) nimmt an Heftigkeit zu. Weltweit fordern Stimmen die Abschaffung der Organisation und Einstellung der finanziellen Unterstützung. Dies, nachdem am vergangenen Freitag UNWRA-Generaldirektor Philippe Lazzarini eine mutmassliche Beteiligung von mehreren seiner Mitarbeiter am Hamas-Terrorüberfall vom 7. Oktober bekannt gemacht hat.

So ruft die republikanische US-Präsidentschaftskandidatin und ehemalige UNO-Botschafterin Nikki Haley in einem Interview dazu auf, die Zahlungen an die UNRWA komplett einzustellen. Sie kritisiert die Regierung Biden dafür, dass diese die Zahlungen in vollem Umfang wieder aufgenommen habe, welche Donald Trump 2018 im Streit mit der Behörde kippte.

Inzwischen ist die Anzahl Länder, welche ihre Beiträge sistiert haben, auf 19 inklusive der EU angewachsen. Laut Schätzungen sind damit rund drei Viertel aller internationalen Zahlungen momentan eingefroren. Bereits am Montag forderte die zuständige EU-Kommission in Brüssel eine Überprüfung der Hilfsorganisation durch von der EU ernannte unabhängige Experten.

Für heute Dienstag kündigte UNO-Generalsekretär António Guterres ein Sondertreffen in New York mit Vertretern von Geberländern an, um diese zur Wiederaufnahme der Geldüberweisungen zu bewegen.

epa11068201 A Palestinian woman, who fled with her family from the northern Gaza Strip, sits inside a makeshift tent, in the west of the city of Deir al-Balah, central Gaza Strip, 10 January 2024. Mor ...
Geflüchtete Palästinenser im Gazastreifen, 10. Januar 2024.Bild: keystone
epa11092620 Displaced Palestinians living in a camp in Rafah, southern Gaza Strip, 20 January 2024. Since 07 October, up to 1.9 million people, or more than 85 percent of the population, have been dis ...
Ein Flüchtlingscamp der UNRWA in Rafah im südlichen Gaza-Streifen, 20. Januar 2024.Bild: keystone

Hälfte aller Angestellten ist verwandt mit Terroristen

Befeuert wurde der Streit durch neue Enthüllungen im «Wall Street Journal» in der Nacht auf Dienstag. So soll das Ausmass der mutmasslichen Verflechtung zwischen UNO-Angestellten und palästinensischen Terroristen in Gaza noch viel grösser sein als bisher angenommen. Die US-Zeitung schrieb, rund 10 Prozent aller rund 12'000 im Gaza-Streifen beschäftigten UNWRA-Mitarbeiter pflegten regelmässige Beziehungen zur Hamas oder dem Islamistischen Dschihad.

Sogar rund die Hälfte weise verwandtschaftliche Beziehungen zu Angehörigen von terroristischen Organisationen auf. Die Verbindungshäufigkeit männlicher UNRWA-Angestellter zu den radikal-terroristischen Organisationen übersteige sogar den Durchschnitt der übrigen männlichen Bevölkerung im Gaza-Streifen.

Wie zuvor die «New York Times» berief sich auch das «Wall Street Journal» auf ein israelisches Geheimdienstdossier. Dieses sei anhand «sehr sensitiver Geheimdienstdaten» wie abgefangener Handy-Anrufe, Befragungen gefangen genommener Hamas-Kämpfer oder der Auswertung von bei getöteten Terroristen geborgenen Dokumenten erstellt worden.

Die Zeitung zitierte bei der Beurteilung einen anonymen israelischen Regierungsbeamten:

«Das Problem der UNRWA sind nicht nur ‹ein paar faule Äpfel›, die in das Massaker vom 7. Oktober verwickelt waren. Die Institution als Ganzes ist ein Hort für die radikale Ideologie der Hamas.»

Die Agentur Reuters zitierte ebenfalls anonym einen israelischen Regierungsbeamten. Laut dieser Darstellung werden im Geheimdienstdossier die Namen von 190 Angestellten genannt, die «harte Kämpfer und Killer» seien.

epa11090409 Destroyed houses and buildings during Isreali military operation in Al Maghazi refugee camps in southern Gaza Strip, 19 January 2024. More than 24,400 Palestinians and at least 1,300 Israe ...
Al Maghazi am 19. Janaur 2024.Bild: keystone
epa11085712 An unexploded missile is seen stuck between two houses of Al Nusairat refugee camp during Israeli operations in the southern Gaza Strip, 17 January 2024. .More than 24,400 Palestinians and ...
Eine Rakete ist nicht explodiert und hängt jetzt zwischen den Häusern bei Al Nusairat, 17. Januar 2024..Bild: keystone

Ehemaliger UNRWA-Gaza-Chef stellt Zeitpunkt der Veröffentlichung infrage

In den lauten Chor der Kritiker mischten sich in den vergangenen 24 Stunden aber auch die UNRWA verteidigende Stimmen. Allen voran betonte US-Aussenminister Antony Blinken:

«Das UN-Hilfswerk spielt eine absolut unverzichtbare Rolle, um sicherzustellen, dass Männer, Frauen und Kinder, die in Gaza so dringend Hilfe benötigen, diese auch tatsächlich erhalten.»

Die Menschenrechtsorganisation Amnesty International nannte die Sistierung der finanziellen Unterstützung einen «grausamen Entscheid» und forderte die betreffenden Länder dazu auf, diesen rückgängig zu machen.

Der ehemalige Regionalchef der UNRWA in Gaza, der Deutsche Matthias Schmale, stellte insbesondere den Zeitpunkt der Veröffentlichung der Vorwürfe infrage, wie er am Dienstagmorgen in einem Interview mit dem «Deutschlandfunk» ausführte:

«Der Zeitpunkt kommt mir doch sehr politisch bestimmt vor.»

Dank der aktuellen Negativschlagzeilen zur UNRWA sei das Urteil des Internationalen Gerichtshofs zum Gaza-Krieg vollständig in den Hintergrund geraten.

Zudem hält der heutige UNO-Repräsentant in Äthiopien den Bericht im «Wall Street Journal» für «total übertrieben». Zu seiner Zeit habe man «sehr genau darauf geschaut» und sanktioniert, wenn sich Mitarbeitende nicht an die UNO-Normen gehalten hätten. Dies habe zwischen 2017 und 2021 zu lediglich acht Entlassungen wegen ungebührlichen Verhaltens geführt. Allerdings musste Schmale 2021 selber den Gaza-Streifen auf Druck der Hamas verlassen, da er als zu israelfreundlich galt.

«Natürlich muss man mit der Hamas pragmatisch zusammenarbeiten, um sich Freiräume zu schaffen.»

Dann sei es aber für die UNO sehr wohl möglich, unabhängig zu arbeiten, fuhr Schmale im Radio fort. Zur Arbeit des Flüchtlingshilfswerks gebe es derzeit keine Alternative. Zwei Millionen Menschen in einer Kriegslage zu versorgen, gehe nicht ohne die bewährten Kapazitäten der UNO.

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110 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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postwardesert
30.01.2024 17:12registriert Juni 2018
Ist irgendjemand überrascht? Der Krebs des Terrorismus hat ganz Gaza überwuchert. Kein Wunder, wenn sich mittlerweile die 5te oder 6te Generation "Flüchtlinge" in ihrer Opferrolle eingerichtet hat. Wo gibt es das sonst auf der Welt? Flüchtlinge bauen spätestens in der 2ten Generation ein neues Leben auf, in Gaza wollen sie nichts aufbauen, nur vernichten. Das lässt sich nicht reformieren.
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Alterweissermann
30.01.2024 17:13registriert Dezember 2022
Dass bei der UNRWA vieles falsch lief wusste man schon lange, aber es wurde nichts unternommen. Jetzt steht man vor einem riesigen Problem: Weiterzahlen und dadurch die Hamas und deren Ideologie unterstützen (was ja so war), oder das Volk hungern lassen.
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Vitai Lampada
30.01.2024 17:10registriert Dezember 2022
Entsprechende Informationen lagen schon vor 2 Wochen vor, nur wurde das medial nicht gross gebracht.
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