Mit Waffengewalt aus der Wohnung entführt und im eigenen Keller tagelang mit den Nachbarn eingepfercht werden – auch das ist Krieg in der Ukraine. Und ein Kriegsverbrechen.
Sieben Geiseln in einer Überbauung bei Hostomel konnten den russischen Soldaten mittlerweile entkommen. Sie haben ihre Geschichte der «New York Times» erzählt:
Bereits am ersten Tag des russischen Angriffskrieges in der Ukraine haben russische Streitkräfte versucht, den Flughafen in Hostomel einzunehmen. Er liegt rund 20 Kilometer nordwestlich von Kiew und wird vor allem als Fracht- und Werksflughafen für den Flugzeugbauer Antonov genutzt. Die Bewohner der Pokrovsky-Überbauung haben das Inferno von ihren Balkonen aus gefilmt.
From the first day of the war in Ukraine, the residents of the Pokrovsky apartments in Hostomel watched from their homes as Russian forces attacked nearby Antonov Airport. A fleet of attack helicopters fired missiles, and day-by-day the fighting drew closer. pic.twitter.com/CRznOVVrXl
— Brenna T. Smith (@brenna__smith) March 20, 2022
Jeden Tag seien die russischen Streitkräfte näher an die Überbauung herangerückt. Am 3. März dann sei eines der 14 Gebäude der Überbauung direkt von einer Rakete getroffen worden.
Kurz darauf hätten russische Soldaten die Überbauung gestürmt – und später am selben Tag buchstäblich vor der Wohnungstüre der Anwohner gestanden, wie die ehemaligen Geiseln der «New York Times» berichten.
Die Invasion der russischen Armee in der Pokrovsky-Überbauung wurde von Überwachungskameras aufgezeichnet. Die Videos zeigen, wie die russischen Soldaten mit ihren Waffen Türen rammen und im Lift randalieren, indem sie Überwachungskameras zertrümmern:
Then, on March 3, the eighth day of the war, soldiers came to their doors. The residents watched their closed-circuit television as tanks and troops arrived outside. “We didn't know what could happen to us,” one said. “It was just a total state of fear.” pic.twitter.com/cMW8jJoC6S
— Brenna T. Smith (@brenna__smith) March 20, 2022
Auf anderen Videos ist zu sehen, wie die russischen Soldaten schweres Kriegsgerät in die Gebäude schleppen und Anwohner in die Gebäude beordern:
The footage showed at least a dozen Russian troops, some carrying heavy machine guns, riding in infantry fighting vehicles, and forcing a man inside at gunpoint. Eventually, more than 100 soldiers captured the area. pic.twitter.com/O56CopME5N
— Brenna T. Smith (@brenna__smith) March 20, 2022
Die russischen Soldaten hätten rund 200 Bewohner der Überbauung in ihren eigenen Kellern eingekerkert und sie als Geiseln festgehalten – und danach ihre Wohnungen übernommen, erzählen die ehemaligen Geiseln der «New York Times».
Andere Bewohner seien in ihren eigenen Wohnungen gegangen. Und wieder andere würden sich immer noch im Gebäude vor den russischen Streitkräften verstecken.
In einigen Gebäuden seien die Soldaten von Stockwerk zu Stockwerk getingelt, hätten Türen aus den Angeln gerissen und Wohnungen durchsucht, so die Bewohner.
Soldiers went floor-by-floor through some buildings, tore down doors and raided apartments. “They told us - ‘Don't be mad at us, but if we find your phone, you will be shot on the spot,’” resident Elena Anishchenko said. pic.twitter.com/O6Bkxk5G56
— Brenna T. Smith (@brenna__smith) March 20, 2022
Den Geiseln seien Handy und Laptops entrissen worden:
Je nach Wache hätte sich der Alltag anders gestaltet: Einige Geiseln hätten von Zeit zu Zeit in ihre Wohnungen gedurft, um Essen und warme Kleidung zu besorgen. Sie hätten sogar gemeinsam gekocht und sich unterhalten. Andere seien von strengeren Soldaten bewacht worden, meinten die ehemaligen Bewohner der Überbauung gegenüber der Zeitung.
Da es keinen Strom gegeben habe, hätten die Bewohner improvisieren müssen. So zündeten sie Öl in Untertassen an, um Essen aufzuwärmen oder benutzten Kerzen, um einen Kanister Wasser zu erhitzen.
For residents trapped in the basement, the ability to move around depended on the guards in their building. Some could freely go back to their apartments for food and supplies. Others could only go on supervised visits with soldiers. pic.twitter.com/TlCnDnEwdC
— Brenna T. Smith (@brenna__smith) March 20, 2022
Währenddessen war die Gegend weiter schwer umkämpft.
Lesya Borodyuk erzählt, wie sie ein Gespräch zwischen einem russischen Offizier und einer kleinen, weinenden Geisel belauscht habe. Dabei transportiert der Offizier den von Wladimir Putin genannten Kriegsgrund der angeblichen «Denazifizierung» der Ukraine:
Junge Soldaten zeigten sich teilweise hilflos. So hätte eine der Geiseln eine der Wache gefragt, was er in der Ukraine denn genau wolle. Und dieser habe geantwortet:
Am 9. März vereinbarten Russland und die Ukraine die Einrichtung mehrerer humanitärer Korridore für 72 Stunden, um der Zivilbevölkerung einen sicheren Weg aus dem Konfliktgebiet rund um Hostomel zu ermöglichen. Doch die russischen Besatzer in der Pokrowski-Überbauung hätten es versäumt, ihre Gefangenen zu informieren.
Während eines überwachten Essensbesuchs in der Wohnung habe eine der Geiseln vom Fenster aus einen Konvoi mit weissen Flaggen vorbeiziehen sehen. Erst auf Nachfrage hätte einer der Wachen erklärt, dass humanitäre Korridore eingerichtet worden wären. Daraufhin hätten einige der Nachbarn ihre Taschen gepackt und seien geflüchtet.
When Russia and Ukraine agreed to open brief humanitarian corridors, the Russian soldiers didn’t tell their prisoners. Those who escaped learned by chance — a brief look out a window or a stolen glance at a WhatsApp message on a hidden phone. pic.twitter.com/vFKWnsgP6b
— Brenna T. Smith (@brenna__smith) March 20, 2022
Als sie im Begriff gewesen seien, das Gebäude zu verlassen, hätte ein russischer Soldat sie gewarnt, dass einige seiner Kollegen womöglich auf die Gruppe schiessen könnten. Sie flohen trotzdem und kamen unverletzt davon.
Die «New York Times» hat die ehemaligen Geiseln in Kiew erreicht. Naumenko wolle vorläufig dort bleiben – um zu kämpfen. (yam)
Sie ähneln sich wie ein Ei dem anderen.
Alles was die Russen den Ukrainern vorwerfen und bei sich selbst abstreiten, wird immer und immer wieder erwähnt.
Wichtig ist, diese Taten zu dokumentieren, zu verifizieren und dann, die Kriegsverbrecher zur Rechenschaft zu ziehen.
Stoppt den Wahnsinn.