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Russland-Ukraine-Krieg: 12 Kriegsregeln, die bereits gebrochen wurden

12 Kriegsregeln, die im Ukraine-Krieg bereits gebrochen wurden – von allen Seiten

Sie können das Schlimmste verhindern – wenn sie denn eingehalten werden. Kriegsregeln haben eine lange Tradition. Und eigentlich sollten beide Seiten an der Einhaltung interessiert sein.
21.03.2022, 09:16
Sabine Kuster / ch media
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A medical worker walks through the hall of a maternity hospital damaged in a shelling attack in Mariupol, Ukraine, Wednesday, March 9, 2022. Associated Press journalists, who have been reporting from  ...
Schutz von zivilen Gebäuden nicht respektiert: Die zerbombte Geburtsklinik in Mariupol.Bild: keystone

Den Feind neutralisieren. Humanitärer Korridor. Kriegsgefangene. Wir lernen gerade das Vokabular des Krieges. Die Bilder dazu haben wir längst gesehen. Nicht dass sie neu wären. Aber jetzt sehen wir hin. Es ergeht uns dabei vielleicht wie Henry Dunant, als er am 24. Juni 1859 abends am Rande des Schlachtfeldes in Solferino in Italien stand, und auf tausende von verwundeten und verstümmelten Soldaten blickte.

Dunants Schockerlebnis in Solferino wurde zum Grundstein der Gründung des Internationalen Roten Kreuzes IKRK. So absurd das Wort «Humanitär» in Zusammenhang mit Krieg tönt, so ist Krieg doch nur ein Ausnahmezustand: Je mehr Menschlichkeit während dessen war, desto eher gelingt das Zusammenleben danach.

Vor Jahrhunderten hat es Jean-Jacques Rousseau so gesagt: «Der Krieg ist keine Beziehung von Mensch zu Mensch, sondern eine Beziehung von Staat zu Staat, in der die Einzelnen nur durch den Zufall Feinde sind.» Und Feinde dürfe man nur so lange töten, wie sie Waffen tragen: «Sobald sie sie niederlegen und sich ergeben, hören sie auf, Feinde oder Werkzeuge des Feindes zu sein, sie werden einfach wieder Menschen, und man hat kein Recht mehr über ihr Leben.»

Gefangene, Verwundete und Zivilisten müssen geschützt werden

1864 wurde die Genfer Konvention zur Verbesserung des Schicksals von Verwundeten in Kriegen verabschiedet. Seither kamen viele Kriegsregeln hinzu, die wichtigsten 1949 mit den vier Genfer Abkommen. Es wurde von allen 196 Staaten als rechtsgültig erklärt. Es besagt, dass verwundete Soldaten, verwundete Marine, Kriegsgefangene und Zivilisten geschützt werden müssen. Sie alle haben ein Recht auf Nahrung, Würde, auf Kommunikation mit Angehörigen und müssen von IKRK-Mitarbeitenden besucht werden dürfen.

Auch das Internationale Völkerrecht gehört dazu, das sich aus den Genfer Konventionen heraus entwickelt hat und die Regeln im Krieg festhält. Das IKRK schreibt: «Diese Regeln zeigen, welche Ziele legal angegriffen werden dürfen und wie - basierend auf einer vorsichtigen Balance zwischen militärischer Notwendigkeit und Menschlichkeit.» Kann ein militärischer Angriff legal sein? Das IKRK argumentiert: «Kriegsregeln sind da, um das Schlimmste in schlimmen Zeiten zu verhindern.»

Auch Russland hat die Genfer Konventionen unterzeichnet. Seit dem Angriff Putins auf die Ukraine am 24. Februar wurden dennoch zahlreiche Regeln gebrochen:

Zivilisten, zivile Gebäude und Infrastruktur dürfen nicht angegriffen werden

Laut dem Ukrainischen Aussenministerium wurden seit Kriegsbeginn über 2700 Häuser zerstört, sowie 3500 Infrastrukturen wie Elektrizitätswerke und Gasleitungen. Gesichert ist, ist dass das Atomkraftwerk Saporischschja angegriffen wurde und in der Ostukraine eine Trinkwasserleitung bei Gefechten beschädigt wurde. Fünf Städte waren letzte Woche ohne Trinkwasser. Am Mittwoch griffen die Russischen Streitkräfte ein Theater in Mariupol an, in dem über 1000 Erwachsene und Kinder Schutz gesucht hatten. Die Zahl der Toten ist noch nicht klar. Das Wort «Kinder», das auf Russisch vor dem Gebäude auf den Boden gemalt war, hat die Kriegsführer nicht vom Beschuss abgehalten. Ebenfalls beschossen werden Schulen und Spitäler - so letzte Woche eine Geburtsklinik in Mariupol.

Waffen, die nicht zwischen militärischen und zivilen Zielen unterscheiden können, sind verboten

epa09826082 A local looks at the debris of a rocket following an overnight shelling on a holiday village in the Osokorky district, outskirts of Kyiv (Kiev), Ukraine, 15 March 2022. Kyiv authorities an ...
Ein Einheimischer betrachtet die Trümmer einer Rakete nach einem nächtlichen Beschuss eines Feriendorfs im Bezirk Osokorky am Stadtrand von Kiew.Bild: keystone

Streubomben, ungesteuerte Artillerie und Raketenwerfer sind schwierig mit dem Internationalen Völkerrecht vereinbar, speziell nicht in dicht bewohnten Gebieten. Dies, weil Zivilisten so nicht geschont werden können. Gemäss Angaben der Nato setzt Russland solche Streumunition bei der Bombadierung von Städten ein.

Medizinische Helfer dürfen nicht an der Arbeit gehindert werden

Am Mittwoch diese Woche wurde laut der englischsprachigen ukrainischen Wochenzeitung «KyivPost» die ukrainische Rettungsanitäterin Taira gekidnappt, als sie in Mariupol Hilfe leistete. Meldungen wie diese wurden in den Kanälen der Sozialen Medien verschiedene publik, sie zu verifizieren ist schwierig.

Soldaten müssen sich kennzeichnen, um sie von Zivilisten unterscheiden zu können

Am Tag nach der russischen Invasion in die Ukraine wurde auf Facebook eine Meldung publik, dass russische Militärs zwei Fahrzeuge der Ukrainischen Armee gekapert, ukrainische Uniformen angezogen hätten und damit Richtung dem Zentrum von Kiew gerast seien. Laut dem IKRK brechen sie die Kriegsregeln damit erst, wenn sie zu den Waffen greifen in falscher Uniform.

Bilder von Kriegsgefangenen dürfen nicht gezeigt werden

Die Ukrainische Regierung hat mehrere Fotos und Videos von russischen Kriegsgefangenen veröffentlicht, die sich reuig zeigten oder den russischen Sieg als aussichtslos bezeichneten. Damit missachtet die Ukraine die Würde der Kriegsgefangenen, missbraucht sie für Kriegspropaganda und gefährdet ihr Wohl nach der Rückkehr nach Russland nach dem Krieg.

Humanitäre Korridore müssen geschaffen und geschützt werden

epa09806524 A Ukrainian refugee girl looks trough the window of her transit bus shortly after passing trough the Romanian-Ukrainian border crossing point in Siret, northern Romania, 06 March 2022. Rus ...
Ein ukrainisches Mädchen auf der Flucht schaut durch das Fenster ihres Transitbusses, kurz nachdem sie den rumänisch-ukrainischen Grenzübergang in Siret passiert hat, 06. März 2022.Bild: keystone

In belagerten Gegenden dürfen Zivilisten nicht getötet oder misshandelt werden und sie dürfen nicht am Weggehen gehindert werden. Doch die mehrfach vereinbarten humanitären Korridore zum Beispiel in Mariupol wurden immer wieder von russischer Seite sabotiert.

Länder dürfen keine Waffen liefern in bewaffnete Konflikte, wenn damit Kriegsregeln verletzt werden könnten

Verschiedene Europäische Staaten haben inzwischen Waffen an die Ukraine geliefert. Dabei handelt es sich mehrheitlich um Panzer- und Flugabwehrwaffen. Auch die USA hat Boden-Luft-Raketen in die Ukraine geliefert. Da sich die Ukraine gegen Soldaten verteidigt, bringt sie damit russische Zivilisten nicht in Gefahr und überschreitet die Kriegsregeln nicht. Die Regeln halten ausserdem fest, dass ein Staat, der Waffen liefert, nicht Partei des Konfliktes wird.

Auch Journalisten sind gemäss dem humanitären Völkerrecht geschützt

Dennoch haben schon verschiedene ukrainische Journalisten im Krieg das Leben verloren. Das erste internationale Opfer war diese Woche der US-Journalist und Filmemacher Brent Renaut, der in einem Auto zusammen mit anderen Journalisten von russischen Soldaten unter Beschuss genommen wurde und starb.

Fahrzeuge, Menschen und Infrastruktur, die mit dem Zeichen des Roten Kreuzes gekennzeichnet sind, dürfen nicht angegriffen werden

Doch was ist, wenn in Ambulanzen Waffen transportiert werden? Ein solcher Fall wurde auf Twitter publik. Aufgegebene russische Fahrzeuge, die mit dem roten Kreuz als Ambulanzen markiert worden waren enthielten gemäss eines Videos Munition. Ob die Geschichte stimmt oder nicht - Waffen dürfen nicht mit dem Symbol des Roten Kreuzes getarnt werden.

Es dürfen keine Informationen verbreitet werden, welche in der Bevölkerung Angst verbreiten oder zu Gewalt anstacheln

Der ukrainische Präsident Selenski versucht mit seinen Reden den Widerstand der ukrainischen Armee und der Bevölkerung zu befeuern. Putin stachelt sein Volk und die Soldaten ebenfalls zu Gewalt an. Im Unterschied zu Putin richtete sich Selenski vor Kriegsbeginn und auch während dessen immer wieder auch in friedlichen Appellen an die Russische Bevölkerung, denn Angst und Terror sind längst Realität in der Ukraine.

Auch im Cyberkrieg gelten die Kriegsregeln

Cyberkrieg ist keine Rechtslücke oder Grauzone. Cyberattacken können wichtige Infrastrukturen für die Bevölkerung zerstören, auch für Notfälle und humanitäre Hilfe. Tools, die wahllos Schaden verursachen sind verboten. Ob die Cyberattacken aus Russland, der Ukraine oder von internationalen Hackern die Zivilbevölkerung in prekäre Situationen gebracht hat, ist noch nicht bekannt.

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Wie sich ukrainische Zivilisten auf ihren Feind vorbereiten

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Wie sich ukrainische Zivilisten auf ihren Feind vorbereiten
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Diese Drohnenaufnahme zeigt die Zerstörung von Mariupol

Video: watson
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101 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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mafussen
21.03.2022 09:26registriert November 2014
Ich finde den Titel "12 Kriegsregeln, die im Ukraine-Krieg bereits gebrochen wurden – von allen Seiten" unpassend. Ja es ist korrekt, dass auch die Ukraine eine oder zwei Regeln gebrochen hat. Insbesondere das zur Schau stellen von Gefangenen und das darf und soll man durchaus ansprechen. Aber der Titel lässt vermuten, dass beide Seiten in ähnlichem Masse die Regeln verletzen und das ist schlicht absurd.
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bokl
21.03.2022 09:37registriert Februar 2014
Vielleicht ist auch einfach die Vorstellung, dass sich Krieg regeln lässt etwas naiv.
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der_Gallier
21.03.2022 09:32registriert Januar 2020
Naja ich finde es etwas schizophren in einem Krieg über Benimm Regeln zu sprechen... Ein Krieg ist nie menschlich oder ethisch!
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«Jugendliche und Erwachsene können nicht einfach in den Fröhlichkeitsmodus schalten»
Trotz der aktuellen Waffenruhe ist im Nahostkonflikt zwischen Israel und Palästina keine Einigung in Sicht. Das Leiden für die betroffenen Menschen geht weiter. Psychologe Andreas Maercker befasst sich seit Jahren mit Traumafolgestörungen und erklärt, wer am meisten gefährdet ist und was für eine Rolle Hass in einer Kriegssituation spielt.

Im Konflikt zwischen der Hamas und Israel passieren seit Wochen schreckliche Dinge, wie verfolgen Sie das Geschehen im Nahen Osten?
Andreas Maercker: Mit grosser Anteilnahme. Ich war in den vergangenen 25 Jahren immer mal wieder in Israel und Palästina. Und weil ich als Deutscher auch den Hintergrund der Geschichte von Nazi-Deutschland mit dem Holocaust im Kopf habe. Ich versuche das aber schon zu kanalisieren. Morgens mache ich meine Zeitungsschau, abends verfolge ich nochmals die Nachrichten. In der Zwischenzeit versuche ich, keine Medien zu konsumieren.

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