Russen-Jets abschiessen? Putins Psychospiele stürzen Europa ins Dilemma
Donald Trumps Antwort kam wie aus der Pistole geschossen: «Ja, das bin ich», sagte er diese Woche auf die Frage einer Journalistin, ob er der Meinung sei, dass man russische Kampfflugzeuge abschiessen sollte. Anlass war das Eindringen von drei russischen MiG-31 Kampfjets in das Hoheitsgebiet des baltischen Nato-Mitglieds Estland wenige Tage zuvor.
Die klare Positionierung sorgt in Europa für Aufsehen – und teils Genugtuung. Endlich spricht Trump einmal Klartext gegenüber Russlands Machthaber Wladimir Putin, dem er lange so vieles durchgehen liess. Bis hierhin und nicht weiter.
Doch auf den zweiten Blick könnte Trump der Nato einen Bärendienst erwiesen haben. Denn ein öffentliches Versprechen, beim nächsten Mal schiessen wir euch ab, wird schnell zur Falle. Putin, ganz der Zyniker, der er ist, könnte es nämlich als Einladung verstehen: Nehmen wir den US-Präsidenten doch beim Wort.
Dazu muss man wissen: Tatsächlich gibt es keine Rote Linie, wie sie nun von Trump gezogen wurde. In der Realität ist sie viel eher Grau, mit ganz vielen Schattierungen.
Nato unter Zugzwang
Abschiessen oder nicht? Diese Frage stellt sich so pauschal nur in einer Kriegssituation. Was in der aktuellen Lage, also bei Luftraumverletzungen und demonstrativen Provokationen passiert, ist vielmehr das: Nato-Kampfjets steigen in einem sogenannten Alarmstart auf. In Estland waren es italienische F-35-Kampfjets. Sie fliegen bis auf Sichtweite an das russische Flugzeug heran, fordern per Funk Kontakt. Reagiert der Pilot nicht, machen sich die Nato-Flieger zum Beispiel durch Handzeichen bemerkbar. Vielleicht winken sie auch mit den Flügeln und zeigen dem Russen die Raketen, die sie unter ihren Tragflächen tragen. Sie können den feindlichen Jet mit ihrem Zielradar ansteuern, worauf dieser weiss, dass es jetzt ernst gilt. Zuletzt kann der Pilot auch Warnschüsse aus der Bordkanone abgeben.
Will heissen: Es gibt eine ganze Reihe von mehr oder weniger festgelegten Eskalationsstufen und damit etliche Gelegenheiten, einen Abschuss zu vermeiden.
Aber selbst wenn es zum Äussersten kommen sollte, stellt sich die Frage: was dann? Die Russen würden sagen, sie hätten sich nicht im Nato-Luftraum aufgehalten, das Flugzeug habe sich verirrt oder irgendeine andere Ausrede erfinden. Sollte ein Jet abstürzen, würde Moskau die Situation garantiert propagandistisch ausschlachten – oder vielleicht mit der Entsendung von neuen Flugzeugen oder Truppen zur «Sicherung der Absturzstelle» reagieren. Alles ist möglich. Die Nato geriet unter Zugzwang.
Besonders heikel würde es, wenn ein Nato-Mitglied eigenmächtig handeln würde, ausserhalb der von USA gesteuerten Nato-Befehlskette. Polen hat etwa zuletzt angekündigt, notfalls selbst durchzugreifen. Würde sich Washington dann hinter Warschau stellen? Oder würde Trump am Ende sagen: Sorry, nicht mein Problem? Wer weiss das schon bei diesem US-Präsidenten.
Das eigentliche Dilemma der Nato ist es, zwischen Abschreckung und Deeskalation navigieren zu müssen. Strategische Ambiguität ist dabei Teil ihrer Stärke. Entschlossenheit zeigen – ohne sich festzulegen. Wer öffentlich ankündigt, was er beim nächsten Mal tun wird, verliert dagegen seinen Handlungsspielraum. Man gibt die Kontrolle über die Eskalation unnötig aus der Hand. Und genau das wäre in Putins Sinn.
Das Perfide ist: schon nur die öffentliche Debatte, wie die Nato reagieren soll, spielt Russland in die Karten. Es zeigt die Risse in der Allianz und lässt sie damit schwach aussehen. Schon wieder befinden wir uns mitten in einem von Putins Psychospielen, die der Ex-KGB-Agent seit Jahren mit dem Westen spielt.
Das muss nicht sein. Die Nato ist Russland in allen Belangen hoch aus überlegen. Militärisch bringen die steten Provokationen für Putin gar keinen Nutzen. Zumindest so lange sich die Verteidigungsallianz nicht ins Bockshorn jagen lässt. (aargauerzeitung.ch)