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Ukraine-Krieg: Moskaus Propagandisten glauben nicht an Russland-Sieg

In this photo taken from video released by Russian Defense Ministry Press Service on Monday, Sept. 29, 2025, Russian soldiers ride an APC on an undisclosed location in Ukraine. (Russian Defense Minist ...
Selbst russische Propagandisten sehen an der Front eine Pattsituation.Bild: keystone

Selbst Propagandisten glauben nicht mehr an Russland-Sieg

Immer mehr Stimmen stellen Moskaus Kriegspropaganda infrage, auch in Russland. Selbst bekannte Kreml-Figuren sprechen inzwischen offen von einer Pattsituation an der Front und warnen vor einer drohenden Niederlage.
30.09.2025, 17:3530.09.2025, 17:57
Anna Von Stefenelli / watson.de

Über drei Jahre nach Beginn der grossangelegten Invasion in der Ukraine ist ein Ende des Krieges nicht in Sicht: Während der russische Machthaber Wladimir Putin das Nachbarland ursprünglich innerhalb von drei Tagen einnehmen wollte, sind die bisherigen russischen Erfolge überschaubar. Ganz im Gegensatz zur Propaganda-Kommunikation vonseiten des Kremls.

Doch nun mehren sich auch in Russland Stimmen, die den Zustand der russischen Armee ernüchternd bewerten. Was lange Zeit undenkbar schien, wird jetzt öffentlich geäussert – sogar von kremlnahen Figuren.

Propagandisten zweifeln offen an Russland-Übermacht

«Die Russen müssen aufwachen und die Realität akzeptieren. Viele Menschen sterben und sie haben nicht viel vorzuweisen», erklärte US-Vizepräsident J.D. Vance am 28. September. Wenige Tage zuvor hatte US-Präsident Donald Trump betont, Russland habe «Millionen und Abermillionen Dollar für Bomben, Raketen, Munition und Menschenleben, ihre Leben, ausgegeben und praktisch kein Land gewonnen.»

Sie sind nicht die Einzigen, die sich damit entgegen ihren früheren Aussagen äussern.

Wie der «Kyiv Independent» berichtet, gehen inzwischen selbst propagandistische Wortführer und Wortführerinnen auf Distanz zu den offiziellen Siegesmeldungen. Demnach sprach Tatjana Montjan, eine bekannte Kreml-Propagandistin, bereits am 22. September offen von fehlender Schlagkraft: Falls es im laufenden Feldzug keinen entscheidenden Durchbruch gebe, müsse Präsident Wladimir Putin wohl eine neue Mobilisierungswelle anordnen.

Noch deutlicher wurde Dmitri Rogosin, Senator für die besetzte Region Saporischschja. Er räumte am 21. September ein, dass die Front festgefahren sei: «Es ist unmöglich, vorzurücken. Es gibt eine Pattsituation an der Front.»

Russischer Separatistenführer: «Gleichbedeutend mit Niederlage»

Auch Pawel Gubarew, früherer Separatistenführer im Donbass, schlug in dieselbe Kerbe. Die russischen Verluste seien «unvergleichbar schwer», weil Moskau ständig im Angriff sei, während die Ukraine defensiv agiere. Gubarew ging noch weiter:

«In Wirklichkeit ist die aktuelle Situation bereits gleichbedeutend mit einer Niederlage für uns. Russland hat nicht die Fähigkeit, die sogenannte Spezialoperation mit den gesetzten Zielen und einem Sieg unter dem kolonialen System der derzeitigen Regierung abzuschliessen.»

Zudem hätten ukrainische Angriffe auf russische Raffinerien Kiew eine strategisch bessere Ausgangslage verschafft, während die Staatsmedien der Bevölkerung weiterhin den baldigen Zusammenbruch der Ukraine vorgaukelten.

Dass Russlands Armee trotz hoher Verluste nur minimale Geländegewinne verzeichnet, belegen Daten der ukrainischen Monitoring-Gruppe Deep State. Demnach besetzten russische Truppen zwischen Juni und August 2025 1548 Quadratkilometer neu – das entspricht gerade einmal 0,003 Prozent des gesamten ukrainischen Territoriums. Dafür fielen im gleichen Zeitraum rund 94'810 Soldaten, also durchschnittlich mehr als 1000 pro Tag.

Selbst in Kreml-Medien kommen zweifelnde Stimmen zu Wort

Sogar im staatlich kontrollierten Fernsehen kam es jüngst zu offenen Zweifeln. In der Talkshow «Mesto Vstrechi» stellte ein Gast laut «Kyiv Independent» die offiziellen Angaben über angebliche ukrainische Verluste infrage:

«Mit Ausbruch der Kämpfe hatte die ukrainische Armee bis zu 800'000 Soldaten. Danach kamen jährlich 100'000 bis 120'000 hinzu. Deshalb kann es keine 1,7 bis 2 Millionen Verluste geben – sonst gäbe es die ukrainische Armee schlicht nicht mehr.»

Auf die Nachfrage des Moderators, ob das Verteidigungsministerium also lüge, antwortete er demnach: «Nicht nur unseres. Es ist ein riesiger Fehler, die ukrainische Armee zu unterschätzen.»

Für den ehemaligen Offizier des ukrainischen Geheimdienstes SBU, Iwan Stupak, sind solche Worte mehr als nur Rhetorik. Gegenüber dem «Kyiv Independent» erklärte er: «Propagandisten reden so lange, wie man sie lässt. Wenn sie die Wahrheit sagen und Schaden anrichten, wird man es an den Reaktionen der Behörden sehen.»

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155 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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FrancoL
30.09.2025 18:03registriert November 2015
Wenn das eintreffen sollte, dass die Russen nicht gewinnen können (was mich riesig freuen würde), dann stellt sich die äusserst heikle Frage; Wohin mit Russland, was kann man ihnen als an Reparationszahlungen für diesen Aggressionskrieg zwingend anlasten.
Das wäre ein Teiluntergang Russlands mit einer Erholungszeit von einigen Jahrzehnten.
Aber ich könnte mir vorstellen, dass der Westen da einknickt und den Russen keine Lehre erteilt, um dann Jahre später wieder irgendwo einen ähnlichen Krieg hinnehmen zu müssen.
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Le_Urmel
30.09.2025 17:56registriert Juni 2014
Putin kann Krieg nicht beenden, die Schulden steigen, die Wirtschaft ist nur auf Kriegswirtschaft ausgelegt. Der Haushalt ist Orbit hoch. Wenn für über 40 % Verteidigung oder Angriff ausgegeben wird, macht das alles mittlerweile keinen Sinn mehr. Also in Frieden ist, wird Putin sofort sein Posten verlieren. Deshalb wird es weiter Krieg geben.
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Okay, Boomer
30.09.2025 18:14registriert Juli 2022
Putin kann sowenig aufhören wie Netanjahu. Nur der Krieg hält beide im Amt. Wird bei Putin genauso enden wie seinerzeit mit dem österreichischen Gefreiten der immer noch auf den Angriff Steiner wartet.
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