Wenn er einsam vor seinem Podcastmikrofon sitzt und den Zusehenden die Welt erklärt, dann ist er im Tunnel – wie ein Spitzensportler vor einem Wettkampf. Im Einklang mit sich und dem Universum, wie es scheint. Auch im Einklang mit seiner eigenen Unrast.
Rastlos ist Roger Köppel, SVP-Nationalrat, Chefredaktor und Verleger der «Weltwoche». Auf seinem Youtube-Videokanal «Weltwoche Daily» kann man live zusehen, wie ihn sein Hirn von Satz zu Satz, von Wort zu Wort treibt und ihm immer neue druckreif formulierte verbale Höhenflüge entlockt.
Etwa zur Rolle der Amerikaner im Ukraine-Krieg. Sie hätten nach Russlands Niederlage im Kalten Krieg eine «sehr fahrlässige und gefährliche Einmischungspolitik» betrieben, sagt er am 10. Februar. «Eine Demütigungspolitik. Man hat die Ukraine aufmunitioniert, militarisiert und sie gewaltsam oder handgreiflich-rabiat in die Nato-Sphäre hineinziehen wollen.»
Spätestens seit dem Einmarsch der Russen in die Ukraine am 24. Februar 2022 gilt Roger Köppel mit seiner Putin-Nähe als «Putin-Versteher» (NZZ), «Putinist» (Blick) oder als Mann für die «Putin-Propaganda» (Tages-Anzeiger). Damit habe er sich politisch immer stärker ins Abseits manövriert, schreibt die deutsche «Frankfurter Allgemeine Sonntagszeitung» (FAS).
Titel des FAS-Artikels: «Schweizer Lautsprecher». Dazu ist Köppel im deutschsprachigen Raum tatsächlich geworden. Das hat auch mit dem digitalen Umbau des «Weltwoche»-Verlags zu tun. Er hat Köppels Sichtbarkeit im deutschsprachigen Raum stark erhöht.
Neben der klassischen «Weltwoche», die laut FAS Ende März 2022 noch 36’000 Abonnenten zählte, hat er sich mit seinen Video-Auftritten «Weltwoche Daily Schweiz» und «Weltwoche Daily International» auf Youtube tägliche Präsenz aufgebaut. Der Youtube-Kanal hat 128’000 Abonnenten. Vor allem «Weltwoche Daily International», das sich an ein deutsches und österreichisches Publikum richtet, sorgt für hohe Einschaltquoten.
Das Video zur Nordstream-Pipeline brachte es auf 312’000 Aufrufe, jenes zur «Impfbombe – Lüge des Jahrzehnts» auf 282’000. Bei fünf bis zehn Franken für tausend Aufrufe bringt ihm ein Video mit 300’000 Aufrufen zwischen tausend und zweitausend Franken ein. Da Köppel täglich bis zu drei Videos online stellt, ist das nicht zu unterschätzen.
Köppel hat auch eine deutsche «Weltwoche»-Seite aufgebaut. Und in Österreich moderiert er einmal pro Monat die Sendung «Der Pragmaticus» auf «Servus TV», einem Privatsender im Besitz der Red Bull Media House GmbH. «Pragmaticus» wiederum ist der Fernsehableger des gleichnamigen Magazins. Es bietet laut Eigenwerbung «faktenbasierte Informationen und Orientierung» in einer Zeit, die von «Erregungsjournalismus» geprägt sei.
All diese Kanäle nutzt Roger Köppel für sein inhaltliches Alleinstellungsmerkmal im deutschsprachigen Raum: Er erklärt – oder verteidigt, wie es die FAS sieht – Wladimir Putin und Russland im Krieg. Köppel verurteilt zwar den Einmarsch in die Ukraine. «Für mich ist er genauso kriminell wie für Sie», sagt er etwa. Das «Aber» folgt auf dem Fuss: «Wir haben es mit einem provozierten Krieg zu tun.» Das zeigt eine Analyse seiner persönlichen Texte, Editorials, Tweets und «Daily»-Sendungen seit Kriegsbeginn.
Ein unschöner Zufall verhalf ihm zu (negativer) Publizität. Am 24. Februar 2022 publizierte die «Weltwoche» eine Cover-Story zu Wladimir Putin – unter dem Titel «Der Missverstandene». Noch am selben Morgen fuhren russische Panzer in Richtung Kiew.
Geschrieben hat die Titelgeschichte Thomas Fasbender. Der Autor einer Putin-Biographie arbeitete von 2019 bis zum 24. Februar 2022 für den russischen Staatssender RT DE (ehemals Russia Today). Der Sender ist inzwischen in Europa – nicht in der Schweiz – wegen seiner Propaganda verboten. Fasbender schreibt weiterhin für die «Weltwoche».
Köppel selbst verschärft in der aktuellen Ausgabe der «Weltwoche» den Ton massiv. In seinem Editorial («Völkerrechtswidriger Angriffskrieg?») stellt er offen in Frage, ob Russlands Einmarsch in der Ukraine tatsächlich völkerrechtswidrig war.
Köppel zieht damit die Legitimation des Westens in Zweifel, Waffen in die Ukraine liefern zu dürfen. «Ist es wirklich so, dass Russland vor einem Jahr das Völkerrecht so krass und eindeutig zertrümmerte, wie das heute geschrieben wird?», fragt er. Und: «Hat es zu dieser Frage jemals eine solide wissenschaftliche oder gerichtliche Untersuchung gegeben, Beweiserhebung, Anklage und Verteidigung?»
Am Tag darauf hat die UNO-Vollversammlung das Vorgehen Russlands erneut verurteilt. 141 von 193 Staaten stimmen für die entsprechende Resolution.
Diverse SVP-Politiker schlucken erst mal leer, als sie hören, dass Köppel offen bezweifelt, dass Russlands Angriffskrieg völkerrechtswidrig ist. In der SVP sind nicht alle glücklich über seine Russlandnähe. Sie wird gleichzeitig als SVP-Nähe wahrgenommen. Offen will niemand Kritik äussern. Hinter vorgehaltener Hand heisst es aber, an der Basis sei ein Murren zu hören: «Er ist schon nie im Parlament, und jetzt ist er auch noch für Putin.»
Fraktionschef Thomas Aeschi hingegen sieht da «kein Problem». Köppel ordne als Journalist das Weltgeschehen ein. Im Gegensatz zur SVP, die für die Schweizerinnen und Schweizer politisiere und sich in dieser Funktion nicht zum Weltgeschehen äussere. Es sei auch nicht geplant, Köppels Positionen in der Fraktion zu thematisieren, sagt Aeschi.
Bei Köppels Position zur Neutralität gibt es keine Differenzen. «Die Schweiz sollte ihre Sanktionen gegen Russland sofort aufheben», schrieb er noch am 19. Januar in der «Weltwoche». «Sie muss zurück zur bewährten Neutralität. Der Ausstieg aus dem Wirtschaftskrieg würde die Glaubwürdigkeit der Schweiz als Friedensvermittlerin stärken.» Dahinter stehe er «voll», sagt etwa SVP-Nationalrat Benjamin Giezendanner.
Immer wieder betont Köppel auch, wie wichtig «Friedensbotschaften, Friedenssignale und Friedensperspektiven» sind. Im «Weltwoche Daily» vom Donnerstag bezeichnet er etwa die deutsche Feministin Alice Schwarzer, Herausgeberin von «Emma», als «geradezu geistesverwandt». Damit meint er ihren «unkonventionellen Journalismus», aber auch ihre Friedensbemühungen im Krieg. Immer wieder verwendet Köppel den Begriff «friedliche Koexistenz».
Zehn Tage vor dem Krieg gab er dazu einen «Weltwoche»-Pin heraus. Gedacht war er damals als Zeichen «für leben und leben lassen» - als Gegensatz zur Woke- und Cancel-Culture. Nach Kriegsbeginn entwickelte sich «friedliche Koexistenz» aber zu Köppels Pazifistenslogan.
Auffallend ist eines: Zur Ukraine schweigt Köppel persönlich weitgehend. Obwohl das Land 1991 nach dem Zerfall der Sowjetunion seine Souveränität erhielt - international anerkannt. Und obwohl das Land seither demokratisch sechs Präsidenten wählte.
Erwähnt Köppel die Ukraine in seinen eigenen Texten, steht sie meist in negativem Zusammenhang: mit Berichten über Missstände bei Ukraine-Flüchtlingen wie im Juni 2022, mit Präsident Wolodimir Selenski, der eine Diktatur errichte oder wie ein Diktator regiere.
Das erstaunt, kämpft doch die Ukraine für Freiheit, Unabhängigkeit und Demokratie - und Köppel ist ein Schweizer Journalist, der Freiheit, Unabhängigkeit und Demokratie als SVP-Politiker zu seinen Idealen zählt.
In einem Tweet vom 12. März 2022 macht er immerhin eine Buch-Empfehlung zur Ukraine. Karl Schlögels Buch «Entscheidung in Kiew» (Carl Hanser Verlag, 2015) sei «grossartig und leidenschaftlich», schreibt er. Historiker Schlögel warnt darin unter anderem, dass sich in Russland eine ernsthafte Bedrohung für die Ukraine zusammenbraut. Die «Weltwoche» selbst publiziert natürlich auch Geschichten zur Ukraine.
Bleibt die Frage, was Roger Köppel antreibt. Weshalb begibt er sich derart in Putins Nähe? Ist es die Suche nach der «Hitze des Gefechts», wie die NZZ mutmasst? Die «knabenhafte Lust an Frechheit und Provokation» (FAS)?
Oder ist es schlicht und einfach sein Hunger nach persönlichem Erfolg, der ihn antreibt, Positionen einzunehmen, die in der Informationsflut Aufmerksamkeit garantieren?
«Steinigt mich», schreibt Roger Köppel am Donnerstag auf der «Weltwoche»-Homepage zu seinem Tabubruch mit der Frage, ob Russlands Krieg tatsächlich völkerrechtswidrig sei. «Alleine die Tatsache, dass es verboten ist, diese Frage zu stellen, ist Grund für Misstrauen.»
Man kann sich das schelmische Lächeln gut vorstellen, das auf Roger Köppels Lippen lag, als er diese Worte schrieb - in seinem Tunnel. (aargauerzeitung.ch)
Die gab es, bis Russland in die Ukraine einmarschierte. Schon vergessen Putinversteher?
Kein Problem dass Köppels Putin-Nähe auf die gesamte SVP abfärbt?
Weil parteikonform?
Sieht er den Zusammenhang wirklich nicht!?