Der russische Präsident Wladimir Putin entlässt einen langjährigen Vasallen aus seinem Regierungskabinett: Verteidigungsminister Sergei Schoigu darf nicht in seine Funktion zurückkehren. Stattdessen erhält der während des Ukraine-Kriegs innerhalb von Russland vielfach kritisierte Schoigu eine neue Funktion. Sein Nachfolger wird der bisherige Vize-Regierungschef Andrej Beloussow.
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Die Bildung einer neuen Regierung steht an, nachdem die alte nach der russischen Präsidentenwahl Mitte März verfassungsgemäss zurückgetreten war. Nachdem Putin erneut als Präsident vereidigt wurde, stellt er nun seine neue Regierung zusammen.
Eine offizielle russische Begründung gibt es nicht für den Schritt. Dafür jedoch eine ganze Menge Theorien. Schoigu war seit 2012 Verteidigungsminister und galt als höchst loyaler Weggefährte Putins. Seine «Sternstunde» hatte Schoigu 2014, als Russland die Krim illegal annektierte. Die Inszenierung dieser Aktion wurde Schoigu zugeschrieben, wodurch seine Popularität in Russland stark anstieg.
In der jüngeren Vergangenheit bekam Schoigus Reputation jedoch mehr und mehr Kratzer. Der im Februar 2022 gestartete Krieg in der Ukraine verlief häufig nicht nach dem Gusto der Russen. Schoigu wurde je länger, je mehr angezählt und auch öffentlich kritisiert. Einflussreiche russische Militärblogger wie Igor Girkin sprachen sich gegen Schoigu aus und kritisierten diesen massiv.
Hauptsächlich ging es dabei um Kritik an der Armeeführung, zudem wurde Schoigu vorgeworfen, zu wenig gegen die Korruption in seinem Departement zu tun. Auch Jewgeni Prigoschin gehörte zu den grossen Kritikern Schoigus. Nach dessen Tod flachte die öffentliche Kritik zwar ein wenig ab – doch hinter den Kulissen war die Position des 68-Jährigen wohl weiterhin geschwächt.
Vor wenigen Wochen war zudem einer von Schoigus Stellvertretern, Timur Iwanow, ein langjähriger Vertrauter, wegen Korruptionsvorwürfen verhaftet worden. Beobachter hatten auch das als Anzeichen von Machtkämpfen innerhalb des russischen Militär- und Sicherheitsapparats gewertet.
Der 68-Jährige wird nun Sekretär des Nationalen Sicherheitsrates werden; diesen Posten hat bislang Nikolai Patruschew bekleidet.
Schoigu soll ein enges und freundschaftliches Verhältnis zu Wladimir Putin pflegen. Berichten zufolge verbrachten die Männer mehrfach Jagd- und Angelausflüge in Sibirien zusammen. Auch aus diesem Grund wird angenommen, dass Putin ihm mit der Versetzung eine Möglichkeit gibt, das Gesicht zu wahren. Die neue Position Schoigus ist zumindest auf dem Papier ebenfalls angesehen.
Die Ernennung von Andrej Beloussow als Nachfolger von Schoigu kommt derweil überraschend. Beloussow ist ein Wirtschaftswissenschaftler, der mit dem Militär- und Sicherheitsapparat bisher wenig zu tun hatte.
Die Nachrichtenagentur Reuters skizziert seinen Werdegang: 1981 schloss Beloussow sein Studium in Wirtschaftswissenschaften an der Moskauer Universität mit einer Auszeichnung ab. Im Gegensatz zu vielen anderen russischen Regierungsmitgliedern diente er nie im Militär oder im Geheimdienst.
Im Jahr 2000 wurde Beloussow Wirtschaftsberater der russischen Regierung, sechs Jahre später wurde er stellvertretender Minister im Wirtschaftsministerium. 2012 wurde er dann zum Wirtschaftsminister ernannt. Seither amtete er mehrheitlich als Regierungsberater, und ab 2020 hatte er die Funktion als Vize-Regierungschef inne.
Der Hauptgedanke hinter der Ernennung Beloussows könnte sein, dass das Verteidigungsdepartement effizienter organisiert werden soll, wie Experte Mark Galeotti gegenüber dem Guardian sagt. Russland hat durch den Ukraine-Krieg viel höhere Ausgaben im Verteidigungs- und Armeebereich, die Kosten sind regelrecht explodiert.
Ein Beamter, der im Verteidigungsministerium arbeitet und anonym bleiben will, sagte gegenüber dem Guardian:
Die Ernennung Beloussows als Schoigus Nachfolger deutet für einige Experten zudem darauf hin, dass Putin den Krieg vor allem mit der Produktion in den Rüstungsbetrieben gewinnen wolle. «In seiner Denkweise ist das logisch, weil sich der wirtschaftliche Block in dem Krieg als effektiver erwiesen hat als der Sicherheits- und Militärapparat», sagte der Experte Alexander Baunow.
Putins Strategie sei es folglich, Druck auf die Ukraine nicht durch die Mobilmachung neuer Soldaten auszuüben, sondern durch die Kapazitäten des Rüstungskomplexes.
In eine ähnliche Richtung deuten auch die Aussagen von Kremlsprecher Dmitri Peskow zur Ernennung Beloussows. «Heute gewinnt auf dem Schlachtfeld derjenige, der offener für Innovationen und deren Umsetzung ist.» Eine Aussage, die auch als Seitenhieb gegen Schoigu verstanden werden kann.
Nebst der Abberufung von Schoigu als Verteidigungsminister wurde im Vorfeld der Neubenennungen auch über weitere Personalien spekuliert.
In der neuen Regierung gibt es nun tatsächlich einige Personalwechsel – keiner davon ist aber auch nur annähernd so wichtig wie die Auswechslung Schoigus. So hält Putin etwa weiter an Ministerpräsident Michail Mischustin fest. Weiter im Amt bleibt zudem auch nach 20 Jahren der 74-jährige Aussenminister Sergej Lawrow, über dessen Ablösung zuletzt ebenfalls spekuliert worden war.
Generalstabschef Waleri Gerassimow bleibe an seinem Platz, betonte Peskow. Die militärische Komponente im Verteidigungsministerium bleibe auch nach der Ernennung Beloussows unverändert.
Noch unklar ist, was mit Nikolai Patruschew geschieht, dem Vorgänger Schoigus im Sicherheitsrat. Er leitete seit 2008 den Sicherheitsrat und hatte vermutlich bei der Planung der Invasion in der Ukraine mitgewirkt. Patruschews neue Rolle soll in den nächsten Tagen bekannt gegeben werden, wie Peskow gegenüber russischen Medien sagte.
Mit Material der Nachrichtenagentur SDA.