In den vergangenen Wochen schien der amerikanische Präsident Donald Trump zunehmend frustriert über die Intransigenz seines russischen Amtskollegen Wladimir Putin. Trump stellte dem Kreml ein Ultimatum, zunächst mit einer Frist von 50 Tagen. Bis dann sollte ein Waffenstillstand mit der Ukraine zustande kommen, andernfalls würden Russlands Handelspartner mit massiven Strafzöllen belegt. Diese Frist verkürzte Trump dann auf zehn Tage; er gab an, er sei «enttäuscht» über Putin.
Am Freitag lief das Ultimatum ab, ohne dass Putin sich auch nur einen Millimeter bewegt hätte. Doch statt Strafzölle gibt es nun ein Gipfeltreffen: Am 15. August werden Trump und Putin einander im US-Bundesstaat Alaska – also nicht auf neutralem Boden, wie zuerst spekuliert wurde – treffen und über den Ukraine-Krieg sprechen. Weder der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj noch die europäischen Verbündeten der Ukraine sind – Stand jetzt – eingeladen.
Was ist von diesem Gipfel zu erwarten, wie stellen sich die Ukraine und ihre europäischen Verbündeten dazu? Und warum muss der per Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gesuchte Putin nicht befürchten, dass er in Alaska verhaftet wird?
Thema des Gipfeltreffens ist der Krieg in der Ukraine, der seit knapp dreieinhalb Jahren tobt. Trotz stetigem, aber äusserst langsamem und verlustreichem Vorrücken der russischen Armee ist derzeit kein Ende des Gemetzels in Sicht. Keiner der beiden Seiten gelingt es, entscheidende Geländegewinne zu erzielen; der Abnutzungskrieg dauert unvermindert an und eine Waffenruhe erscheint wenig realistisch. Die Ukraine ist allerdings auf westliche Finanzhilfe und Waffenlieferungen angewiesen, ohne die sie dem russischen Druck nicht lange standhalten könnte.
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Laut Trump ist das Ziel der Gespräche, einem Ende der Kämpfe näherzukommen. Das Gespräch mit Putin diene der Sondierung. Er erwähnte dabei einen möglichen Gebietstausch zwischen der Ukraine und Russland – «zum Wohl beider Seiten». Er führte jedoch keine Einzelheiten dazu an. Dies befeuert Befürchtungen in Kiew und in den Hauptstädten der europäischen Verbündeten der Ukraine, dass Trump und Putin über die Interessen der Ukraine hinweg Gebietsabtretungen an die russischen Besatzer durchsetzen möchten. Putin soll Washington entsprechende Forderungen übermittelt haben.
Trump steht innenpolitisch unter Druck, da er bereits im Wahlkampf verkündet hat, den Krieg in der Ukraine «innerhalb von 24 Stunden» zu beenden. Er geriert sich gern als Dealmaker, der zuvor verfahrene Konflikte zu lösen vermag – zuletzt inszenierte er sich etwa als Friedensstifter zwischen Armenien und Aserbaidschan. Die Bilder von einem Gipfeltreffen zwischen ihm und Putin sind daher wichtig für ihn. Jede noch so zweifelhafte Vereinbarung, die Trump als «Deal» verkaufen kann, dürfte er daher als Erfolg betrachten – solange nicht die USA den Preis dafür bezahlen. Freilich hat Trump am Montag behauptet, er strebe bei dem Treffen mit Putin «keinen Deal» an. Dies sei nicht seine Aufgabe.
Ein nicht geringer Teil von Trumps Anhang hat sich die Losung «America first» auf die Fahne geschrieben und steht in der isolationistischen Tradition der US-Aussenpolitik, die militärische und finanzielle Unterstützung der USA für andere Staaten ablehnt. Trump dürfte daher versuchen, das amerikanische Engagement auf die Diplomatie zu beschränken und finanzielle und militärische Lasten den Europäern aufzubürden. Dazu passt, dass US-Vizepräsident JD Vance kürzlich bekräftigt hat, dass die Ukraine zwar weiterhin US-Waffen erhalten soll, diese aber von den europäischen Partnern bezahlt werden müssten.
Der russische Präsident hat bisher keinerlei nennenswerte Zugeständnisse gemacht; weder eine Zusage, sich aus besetzten ukrainischen Gebieten zurückzuziehen, noch eine Garantie, dass Russland nach einem Waffenstillstand nicht erneut angreifen würde. Putin bleibt bei seinen Maximalforderungen: Die Ukraine soll auf den NATO-Beitritt verzichten, sie soll «entnazifiziert» werden – dies bedeutet die Installation einer russlandfreundlichen Regierung –, sie soll ihre Armee demobilisieren und die von Russland annektierten Oblaste abtreten. Zudem sollen die Sanktionen gegen Russland aufgehoben werden.
Nach Berichten des «Wall Street Journal» und der «New York Times» hat Putin dem US-Sonderbotschafter Steve Witkoff die Einstellung der Kämpfe angeboten. Dies unter der Bedingung, dass Russland die Kontrolle über die annektierten Oblaste in der Ostukraine erhält, die allerdings derzeit gar nicht vollständig von der russischen Armee besetzt sind. Die ukrainischen Streitkräfte müssten sich also aus umfangreichen Gebieten zurückziehen, in denen sich strategisch wichtige Städte und Verbindungswege befinden.
Was Putin im Gegenzug anbietet, ist weitgehend unklar, auch weil Witkoff unterschiedliche Angaben machte. Gemäss seiner ersten Version würde der russische Präsident einem Waffenstillstand zustimmen, bei dem Russland sich aus den besetzten Teilen der südlichen Oblaste Cherson und Saporischschja zurückziehen würde. In der zweiten Version sollten lediglich die aktuellen Frontlinien dort «eingefroren» werden. In einer letzten Version war gar nur noch die Rede von einer Waffenruhe im Austausch für einen einseitigen Rückzug der Ukrainer aus Donezk.
Diese letzte Version entspricht auch der Antwort des aussenpolitischen Beraters Putins, Juri Uschakow, auf die Frage, ob Moskau Bereitschaft zu Kompromissen signalisiert habe, um ein Treffen mit Trump zu ermöglichen. Uschakow bekräftigte, es habe keine Veränderungen in der russischen Position gegeben. Tatsächlich ist Moskau bisher nie von seinen Kernforderungen abgerückt, die auf eine Kapitulation Kiews hinauslaufen.
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj, der sich offen für eine Teilnahme am Gipfel zeigte, wurde bisher nicht eingeladen – offenbar auf Wunsch Putins, der eine Teilnahme Selenskyjs zwar nicht prinzipiell ausschloss, aber darauf verwies, die Bedingungen dafür seien derzeit nicht gegeben. Selenskyj bezeichnete das geplante Gipfeltreffen als «Täuschungsversuch» von Putin und betonte vehement, der Weg zum Frieden für die Ukraine müsse «gemeinsam und nur gemeinsam mit der Ukraine bestimmt werden, das ist eine Frage des Prinzips».
Vor allem stellte der ukrainische Präsident klar, dass die Ukraine keine territorialen Zugeständnisse machen werde. «Putin will, dass ihm die Eroberung des Südens unserer Regionen Cherson und Saporischschja und der kompletten Gebiete Luhansk, Donezk und der Krim verziehen wird», sagte er. «Diesen zweiten Versuch der Aufteilung der Ukraine durch Russland» nach der Annexion der Krim 2014 werde man nicht zulassen. Sollte es so weit kommen, werde ein dritter Versuch folgen, warnte Selenskyj.
Die Abtretung von Staatsgebiet würde überdies eine Änderung der ukrainischen Verfassung voraussetzen. Obwohl die ukrainische Bevölkerung schwer unter dem Krieg leidet und mittlerweile kriegsmüde ist, dürfte eine Abtretung von Gebieten schwere innenpolitische Verwerfungen in der Ukraine nach sich ziehen.
Die europäischen Verbündeten der Ukraine reagierten scharf auf die Ankündigung eines Gipfeltreffens ohne Einbezug der Ukraine. In einer gemeinsamen Erklärung von Deutschland, Frankreich, Italien, Polen, Grossbritannien, Finnland und der EU-Kommission hiess es, internationale Grenzen dürften nicht gewaltsam verändert werden. Sinnvolle Verhandlungen seien nur «im Rahmen eines Waffenstillstands oder einer Verringerung der Feindseligkeiten» möglich, wobei der derzeitige Frontverlauf nur der Ausgangspunkt für Verhandlungen sein könne. Die Ukraine benötige zudem robuste und glaubwürdige Sicherheitsgarantien.
Der französische Präsident Emmanuel Macron, der sich zuvor mit Selenskyj, dem deutschen Bundeskanzler Friedrich Merz und dem britischen Premierminister Keir Starmer ausgetauscht hatte, wies in einem Post auf der Plattform X darauf hin, dass die Europäer ebenfalls Teil einer Lösung sein müssten, da es auch um ihre Sicherheit gehe.
Am kommenden Mittwoch soll eine Videokonferenz zwischen Selenskyj und den Spitzenpolitikern von Deutschland, Frankreich, Grossbritannien, Italien, Polen und Finnland sowie Vertretern der EU und der NATO geben. Danach soll ein Telefonat mit Trump und Vizepräsident Vance folgen, bei dem weitere Handlungsoptionen, um Druck auf Moskau auszuüben, zur Sprache kommen sollen.
Sollte der Gipfel tatsächlich ohne Teilnahme der Ukraine stattfinden, stellt sich die Frage, wie dort denn überhaupt ohne Einbezug von einer der beiden Kriegsparteien etwas Verbindliches beschlossen werden kann. Auch wenn sich die USA und Russland einig werden sollten, können sie der Ukraine nicht vorschreiben, den in Alaska gefassten Beschlüssen Folge zu leisten. Weder eine Waffenruhe noch die Abtretung von Staatsgebiet können Trump und Putin der Ukraine einfach verordnen. Letzteres erfordert zudem wie erwähnt eine Verfassungsänderung, die weder Präsident Selenskyj noch das ukrainische Parlament allein beschliessen können.
Die USA sind allerdings kein politisches und militärisches Leichtgewicht. Trump vermag Selenskyj extrem unter Druck zu setzen, wenn er will. Es ist schwer vorstellbar, wie die Ukraine der russischen Armee ohne amerikanische Waffen – seien sie nun von den Europäern bezahlt oder nicht – standhalten kann. Auch US-Geheimdienstinformationen sind für die Ukraine unersetzlich. Trump liess bereits im vergangenen März die Militärhilfe für die Ukraine vorübergehend aussetzen. Sollte er diese Massnahme erneut ergreifen, würde sich das schnell und unheilvoll auf die ukrainische militärische Lage auswirken.
Was immer auch der Ausgang des Gesprächs zwischen Trump und Putin sein wird: Der russische Präsident profitiert bereits vor dem Beginn des Gipfeltreffens von der diplomatischen Aktivität. Der vom Internationalen Strafgerichtshof per Haftbefehl gesuchte Putin, seit dem völkerrechtswidrigen Angriff auf die Ukraine zumindest in der westlichen Staatenwelt ein Paria, kann dank Trump als respektierter Gesprächspartner auf die internationale Bühne zurückkehren. Das letzte persönliche Treffen mit einem amerikanischen Präsidenten – mit Joe Biden 2021 in Genf – fand noch vor der Invasion in der Ukraine statt.
Ebenfalls ein diplomatischer Erfolg für den Kreml ist die Tatsache, dass die andere Kriegspartei, die von der russischen Aggression betroffene Ukraine, bisher gar nicht an das Treffen eingeladen wurde. Und auch deren Verbündete nicht.
Was Trump und Putin am Ende genau diskutieren und worauf sie sich womöglich einigen, ist selbstredend Gegenstand der Spekulation. Möglich ist Vieles: Putin könnte einen Waffenstillstand akzeptieren, der ihm jedoch, falls es keine Sicherheitsgarantien gäbe, die Möglichkeit liesse, die Kampfhandlungen zu einem späteren Zeitpunkt wieder aufzunehmen. Möglich ist auch, dass die Ukraine einige russisch besetzte Gebiete ausserhalb des Donbas zurückerhalten soll, sich dafür aber ganz aus der Oblast Donezk zurückziehen müsste. Möglich wäre auch der Abbau der US-Sanktionen gegen Russland und die Aufnahme neuer wirtschaftlicher Beziehungen.
Und möglich wäre auch das in Kiew und den europäischen Hauptstädten gefürchtete Szenario, das Putin sich wohl erhofft: Dass Trump ihm die Ukraine auf dem Silbertablett serviert. Ein durchaus wahrscheinlicher Ausgang der Gespräche ist aber auch deren Scheitern. Dies würde den Status quo beibehalten. In der derzeitigen Situation dürfte dies das Maximum sein, was sich die Ukraine davon erhoffen kann.
Putin wird wie erwähnt per Haftbefehl des Internationalen Strafgerichtshofs gesucht. Er muss aber bei seinem ersten Aufenthalt in den USA seit 2007 nichts befürchten, denn diese erkennen den Gerichtshof ebenso wenig an wie Russland. Die Wahl von Alaska erfolgte vermutlich aus praktischen Gründen; zwischen dem grössten US-Staat und dem russischen Sibirien liegt nur die Beringstrasse.
Für Putin könnte Alaska immerhin noch symbolische Bedeutung haben: Einst gehörte das Gebiet, damals unter der Bezeichnung «Russisch-Amerika», zum Russischen Kaiserreich. 1867 verkaufte der Zar die Kolonie für 7,2 Millionen US-Dollar an die jungen USA, weil sie auf Dauer wohl nicht zu halten gewesen wäre und man die Übernahme durch die Briten fürchtete.
Mit Material der Nachrichtenagentur SDA.