Einen Tag vor der Wahl des neuen Interpol-Präsidenten wächst die Kritik an dem russischen Kandidaten und Favoriten, Vize-Interpol-Chef Alexander Prokoptschuk. Mehrere US-Senatoren äusserten in einer Erklärung Bedenken, der Kreml könnte über Prokoptschuk den Druck auf Regierungskritiker erhöhen.
Die US-Senatoren Jeanne Shaheen, Roger Wicker, Chris Coons und Marco Rubio warnten in ihrer Erklärung davor, mit Prokoptschuk den «Fuchs zum Chef im Hühnerstall» zu machen. Russland benutze Interpol «regelmässig», um gegen politische Gegner, Dissidenten und Journalisten vorzugehen. Prokoptschuk sei «persönlich in diese Einschüchterungsstrategie involviert» gewesen.
Auch deutsche Politiker, unter ihnen der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Norbert Röttgen, stellten sich gegen Prokoptschuk. Röttgen sagte der «Bild»-Zeitung, Prokoptschuk sei als «führendes Mitglied des russischen Sicherheitsapparates» ein «Teil des Machtzentrums von (Präsident) Wladimir Putin».
Prokoptschuk habe sein Amt als Leiter des russischen Interpol-Büros «vielfach missbraucht», um russische Oppositionelle und politische Gegner mit internationalem Haftbefehl verfolgen zu lassen. Als Präsident einer internationalen Polizeibehörde, «die wir dringend als politisch unabhängige Institution brauchen», sei er «unwählbar».
Ähnliche Bedenken gab es bei FDP und Grünen. Die deutsche Regierung sollte den Gegenkandidaten Kim Jong Yang aus Südkorea unterstützen, hiess es. Grünen-Politiker Manuel Sarrazin warnte, Prokoptschuk würde als neuer Interpol-Chef «politisch motivierte Anträge aus Russland bevorzugen und befördern».
Moskau reagierte verärgert auf die Kritik und sprach von Wahlbeeinflussung. «Das ist Einmischung in den Wahlprozess» einer internationalen Behörde, sagte Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.
Das russische Innenministerium sprach von einer «unzulässigen Politisierung Interpols». Prokoptschuk werde «ausschliesslich im Interesse der internationalen Polizeigemeinschaft agieren», sollte er gewählt werden.
Interpol-Vize Prokoptschuk gilt als Favorit bei der Wahl, die am Mittwoch bei der seit Sonntag in Dubai tagenden Interpol-Generalversammlung vollzogen werden soll. Gegenkandidat ist der amtierende Interpol-Chef Kim Jong Yang.
Der bisherige Interpol-Chef, der Chinese Meng Hongwei, war Ende September in sein Heimatland gereist. Seine Frau meldete ihn daraufhin als vermisst. Erst Tage später informierte Peking Interpol darüber, dass Meng von seinem Posten zurücktrete. Zudem gaben die chinesischen Behörden bekannt, dass gegen Meng wegen Korruptionsvorwürfen ermittelt werde. Der Nachfolger soll nun Mengs Amtszeit bis 2020 komplettieren.
Die 1923 gegründete Polizei-Behörde wählt regulär alle vier Jahre ihren Chef. Der Posten ist ein Ehrenamt. Für die operative Arbeit am Dienstort Lyon zeichnet der Generalsekretär verantwortlich – derzeit ist dies der Deutsche Jürgen Stock, der im November 2014 für fünf Jahre ernannt wurde.
Offiziell neutral, war Interpol schon früher Ziel von Vorwürfen, dass einige der 194 Mitgliedstaaten die Behörden zur Verfolgung von Regierungsgegnern instrumentalisierten. Zwar hat Interpol keine eigenen Polizeikräfte und darf auch keine Strafverfolgung anstossen oder Haftbefehle ausstellen. Die Mitgliedstaaten können aber über Interpol einen internationalen Haftbefehl veröffentlichen.
Am Dienstag lehnte die Interpol-Generalversammlung zudem zum dritten Mal seit 2015 die Aufnahme des Kosovo ab. Die erforderliche Zweidrittelmehrheit sei nicht erreicht worden, hiess es. Die Regierung in Pristina machte Serbien für die Ablehnung verantwortlich. Kiribati und Vanuatu hingegen gehören nun zum Kreis der 194. (sda/afp)