Bei der russischen Invasion in die Ukraine spielt auch die Propaganda bei Staat und Medien eine grosse Rolle. Gleiche Ereignisse werden oft von den Seiten ganz unterschiedlich dargestellt. So auch die Geschichte von Anna Iwanowna, einer ukrainischen Seniorin. Sie geriet in den letzten Wochen zwischen die Propaganda-Fronten – das ist ihre Geschichte.
Anfang April zirkuliert auf Twitter ein Video, das ukrainische Soldaten aufgenommen haben – es ging viral. Zu sehen sind zwei Ukrainer, die einer älteren Dame einen Sack mit Lebensmittel bringen wollen. Und diese kommt ihnen mit einer grossen Flagge der Sowjetunion entgegen.
Die Soldaten scheinen zu merken, dass die Frau sie mit russischen Truppen verwechselt. Und spielen das Spiel mit. «Hisse die Flagge, los!», fordern sie die Frau auf. Diese gehorcht und nähert sich den Besuchern. «Haben Sie uns erwartet?», fragen diese. Sie bejaht. Sie habe für sie, Wladimir Putin und die ganze Nation gebetet, sagt die Frau.
Die beiden Soldaten lassen sich dabei nach wie vor nichts anmerken. Trotz der Verwechslung geben sie ihr den Sack mit Lebensmittel, welchen diese immer wieder ablehnt. «Ihr braucht das doch», sagt sie, während sie einzelne Päckchen entgegennimmt.
>> aktuelle Entwicklungen in der Ukraine im Liveticker
Daraufhin beenden die ukrainischen Soldaten die Verwechslung. Einer von ihnen übergibt der Frau den ganzen Sack mit Lebensmitteln und lässt sich gleichzeitig die Flagge übergeben. «Ruhm der Ukraine!», sagt er, legt die Sowjet-Flagge auf den Boden und steht demonstrativ auf diese drauf.
In der Folge weigert sich die Frau, das Essen anzunehmen. Obwohl die Soldaten immer wieder sagen, sie solle es behalten, legt sie es auf den Boden. «Das ist die Flagge, für welche meine Eltern gestorben sind», sagt sie, «und jetzt steht ihr drauf». Der Soldat erwidert: «Ich bin auf sie gestanden, weil sie zu mir nach Hause gekommen sind. Ich spreche Russisch. Doch ich kämpfe für mein Land.»
Der Vorfall ereignete sich Anfang März, also kurze Zeit nach Beginn des Krieges und mehrere Wochen bevor das Video viral ging.
Das Video auf den sozialen Medien ist für die russische Propaganda ein gefundenes Fressen. In ihren Augen sage es genau das, was man im eigenen Land der Bevölkerung vor allem zu Beginn der Invasion klarmachen wollte: Es sei kein Krieg – vielmehr werde man in der Ukraine mit offenen Armen empfangen. Zudem zeige das Video, so wird festgehalten, dass man sich auch in der ukrainischen Bevölkerung letztendlich die Sowjetunion zurückwünsche.
Gleichzeitig stützt das Verhalten der ukrainischen Soldaten ein weiteres Narrativ des Kremls – dass die russischen Werte wortwörtlich mit Füssen getreten würden. Dass zudem eine wehrlose ältere Dame veräppelt wird, giesst weiter Öl ins Feuer.
Und so wird die Seniorin in Russland zum medialen Star. «Diese heldenhafte Frau hat der ganzen Welt gezeigt, was die Erinnerung an die Leistung unseres Volkes während des Grossen Vaterländischen Krieges für unser Volk bedeutet», zelebriert etwa Andrei Turtschak, ein russischer Politiker, das Video laut dem Online-Portal Regnum.
Schnell wird klar, dass die Frau Anna heisst – «Babuschka Anja», also «Grossmutter Anna», wird sie genannt. Sergei Kirijenko, der Vizechef von Putins Präsidialverwaltung, erklärte sie zum Symbol für den Kampf gegen den Faschismus.
Und diesen Worten lässt Russland dann auch Taten folgen. Nach der Eroberung der Stadt Mariupol wird Anfang Mai ein Denkmal zu Ehren von «Babuschka Anja» errichtet, das diese mit der Sowjet-Flagge in der Hand zeigt. Auch in weiteren Städten soll es gemäss dem «Spiegel» mittlerweile solche Statuen geben. Und im russischen TV fragt man sich, welchen Preis die Seniorin für ihr aufmüpfiges Verhalten gegenüber dem Gegner wohl habe bezahlen müssen.
Auf ukrainischer Seite versucht man sich derweil gegen das Narrativ des Kremls zu stellen. Schnell wird bekannt, dass es sich bei der Seniorin um Anna Iwanowna handelt. Ihr Haus soll gemäss dem ukrainischen Zentrum für strategische Kommunikation und Informationssicherheit von den russischen Truppen bombardiert worden sein, weshalb sie sich in einem Krankenhaus in Charkiw befinde.
Weiter wird berichtet, Iwanowna habe die Flagge nach den Leichenfunden im Butscha weggeworfen. Sie fühle sich als «Verräterin», wird berichtet. Eine weitere Version besagt, Iwanowna habe die Flagge nur aus Angst geschwenkt, da sie sonst womöglich ausgeraubt worden wäre.
Am Mittwoch äussert sich Anna Iwanowna, wie sie tatsächlich heisst, nun selbst zu den Vorfällen. Sie erzählt gegenüber dem «Spiegel», was damals im März wirklich passiert ist. Die Wahrheit liegt dabei zwischen der russischen und der ukrainischen Version.
So stimmt es etwa nicht, dass ihr Haus zerstört worden sei. Tatsächlich lebt sie noch immer in Charkiw, relativ nahe von der russischen Grenze. Auch an den Vorfall erinnert sie sich noch gut.
«Ich dachte erst, jetzt ist es aus, die erschiessen mich», sagt sie rückblickend. Die Soldaten hätten ihr allerdings nichts angetan. Sie hätten weiter miteinander gesprochen, sagt sie, ehe ihr mitgeteilt worden sei: «Oma, geh ins Haus.» In Zukunft kreuzten sich ihre Wege zudem immer wieder. Die Soldaten brachten ihr immer wieder Essen und wachten teilweise direkt vor ihrem Haus. An Ostern brachte Iwanowna ihnen deshalb Kuchen und Eier. «Sie bete auch für die Soldaten», so die bald 70-Jährige.
Gleichzeitig lässt die Seniorin im Gespräch mit dem «Spiegel» auch durchblicken, dass ihr die Idee einer erneuten Sowjetunion nicht missfallen würde. Nach dem Zerfall des Reiches machten sie und ihr Mann schwere Zeiten durch. Allerdings ist sie mit der Art und Weise, wie Putin dieses Ziel verfolgen will, nicht einverstanden.
«Er hat einen grossen Fehler gemacht», wird sie zitiert. «Er hätte sich im Fernsehen ans ukrainische Volk wenden und sagen müssen: ‹Liebe Leute, ich will euch nicht bombardieren, ich will bloss, dass wir zusammenleben›. Dann hätte er die Gründe genannt und gesagt: ‹Russland kann nicht ruhig leben. Seid ihr bereit, mit Russland zusammenzukommen? Wenn nicht, dann habe ich keine Wahl, dann werde ich bombardieren.›»
Ihre bekannte Flagge hat Iwanowna derweil nicht entsorgt. Die ukrainischen Soldaten nahmen sie nach dem Video mit. Doch Iwanowna holte sie sich zurück, wie sie sagt – als diese nicht hinschauten. Sie sei noch immer schmutzig, aber habe für sie eine besondere Bedeutung: «ein Symbol des Friedens und der Liebe».
Die Ukrainer dagegen haben ein liberales, westliches Weltbild, sie verteidigen sich gegen das RU-Militär, beschützen aber RU-Zivilisten. Das ist wie Nacht und Tag und der wahre Grund des Krieges.
Ah, geht ja gar nicht, die verteilen kein Essen.