Dieses brisante Papier sollte offenbar nicht an die Öffentlichkeit gelangen – es geht um Probleme bei der Rekrutierung von Soldaten im vergangenen Herbst. Der entsprechende Bericht des russischen Generalstabs wurde kurzzeitig auf der Webseite des russischen Verteidigungsministeriums veröffentlicht – und dann wieder gelöscht. Davon berichtete das Recherchenetzwerk «The Insider» und verwies auf einen Eintrag im Web-Archiv, wo das Dokument weiterhin einsehbar ist.
In dem Papier beschreibt der Mobilisierungsbeauftragte Jewgeni Burdinski, ein leitender Mitarbeiter des Generalstabs der russischen Streitkräfte, zwei Hauptprobleme bei der gross angelegten Rekrutierungswelle im September 2022.
Zum Einen habe das russische Militär Probleme mit der «fehlenden Bereitschaft eines Teils der Gesellschaft zur Erfüllung der militärischen Pflichten». Eine Rolle dabei spiele der «Informationsdruck» von russischen Bloggern.
Der Hintergrund: Viele russische Militärblogger unterstützen zwar den Krieg, scheuen aber dennoch nicht davor zurück über die Rückschläge der Armee zu schreiben oder Kritik an der Kriegsführung des Kremls zu äussern. Oppositionsaktivisten nutzen das Netz zudem dafür, um Bürger aufzurufen, sich gegen die Mobilmachung zu wehren. Auch wenn Moskau den Informationsfluss zum Kriegsgeschehen weitgehend zu kontrollieren versucht: Die Berichterstattung der Blogger scheint sich auf die Bereitschaft der Russen, in den Krieg zu ziehen, auszuwirken.
Geplant seien laut dem Papier deshalb in diesem Jahr Razzien bei Wehrpflichtigen. Die Armee verwalte eine Datenbank von 31.6 Millionen Menschen, darunter 2.9 Millionen wehrpflichtigen Männern – mit aktuellen Handynummern und E-Mail-Adressen. Das Verteidigungsministerium habe zudem begonnen, Mitarbeiter von Sicherheitsfirmen an die Front zu schicken. Die Umgehung der Wehrpflicht in Russland sei durch strengere Regeln für elektronische Vorladungen noch schwieriger geworden, schreibt «The Insider».
Das zweite Problem laut Burdinskis Papier sei «die Bereitstellung von militärischer Ausrüstung und die Unterbringung des Personals». Um die Engpässe auszugleichen müsse man auf staatliche und private Unternehmen setzen.
Diese Einschätzung ist nicht verwunderlich: Immer wieder kamen im vergangenen Jahr Berichte von russischen Soldaten in der Ukraine ans Licht, die eine mangelnde Ausbildung, schlechte Ausrüstung und die Inkompetenz von Kommandeuren an der Front beklagten.
Auch zu strategischen Plänen des Generalstabs gibt es Informationen in dem Papier: So plane man etwa noch in diesem Jahr die Schaffung einer neuen kombinierten Waffen- und Luftarmee, eines Armeekorps, die Einführung fünf neuer Divisionen und 26 Brigaden sowie die Bildung der Marineregion Asow. Aus den Mobilisierten von 2022 seien bislang 280 neue Einheiten gebildet worden, hiess es.
Kremlchef Wladimir Putin hatte im vergangenen September die Mobilmachung von rund 300'000 Reservisten angeordnet und damit eine regelrechte Panik in Russland ausgelöst. Hunderttausende Russen flohen damals ins Ausland. Entgegen anderslautender Aussagen aus dem Kreml befürchten viele Menschen aktuell, dass eine weitere Einberufungswelle geplant sein könnte. Moskau hat sich bislang nicht zu der vermeintlichen Veröffentlichungspanne geäussert.
(yam/t-online/dpa)