In der Nacht vom Dienstag auf den Mittwoch bedankte sich der ukrainische Präsident, Wolodymyr Selensky, auf dem Nato-Gipfel bei seinen Partnern, während der frühere russische Präsident, Dmitri Medwedew, den dritten Weltkrieg heraufbeschwört. Das ist die Nacht im Überblick:
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj will am zweiten Tag des Nato-Gipfels eine weitere Stärkung der Verteidigungsfähigkeit seines Landes einfordern. «Unsere Verteidigung hat erste Priorität», teilte Selenskyj am Dienstagabend über Telegram mit. Er war zuvor in Vilnius zur Teilnahme am Nato-Gipfel eingetroffen, der am Mittwoch endet. «Ich bin unseren Partnern dankbar für die Bereitschaft, neue Schritte zu ergreifen. Mehr Waffen für unsere Soldaten bedeuten mehr Schutz für das Leben aller in der Ukraine», sagte er. Eine grosse Hoffnung des Staatschefs wurde indes enttäuscht.
Im Mittelpunkt des Gipfels in der litauischen Hauptstadt steht ein Treffen Selenskyjs mit den Staats- und Regierungschefs bei einer Zusammenkunft des neuen Nato-Ukraine-Rates, der ein Instrument zur Konsultation in Krisen und zur gemeinsamen Entscheidungsfindung sein soll. Die Nato hatte der von Russland angegriffenen Ukraine am Vortag Hoffnung auf eine Aufnahme gemacht, eine formelle Einladung aber an Bedingungen geknüpft. Selenskyj hatte sich über diese absehbare Haltung schon bei der Anreise nach Vilnius verärgert gezeigt.
«Wir werden neue bedeutende Verteidigungsinstrumente mit in die Ukraine bringen», erklärte er dann später nach seiner Ankunft. Selenskyj bekräftigte auch seine Pläne für bilaterale Treffen mit Verbündeten, darunter Deutschland, die USA, Kanada, Grossbritannien, die Niederlande und Japan. Er will in Vilnius Einzelgespräche mit den Staats- und Regierungschefs der Nato-Mitgliedsstaaten führen, unter ihnen auch Kanzler Olaf Scholz. Die ganze Ukraine warte auf die Zusage für einen Nato-Beitritt, betonte Selenskyj in Vilnius.
«Ich verstehe den Unmut und die Ungeduld, gerade in der Situation, in der die Ukraine ist, habe ich vollste Sympathie dafür», sagte Verteidigungsminister Boris Pistorius (SPD) am Dienstagabend in den ARD-«Tagesthemen». «Und trotzdem: Die Zusage ist da, die Ukraine wird Mitglied der Nato werden, sobald die Voraussetzungen vorliegen. Das ist ein Agreement, was es in der Klarheit bislang nie gegeben hat.»
Russland hatte seinen Krieg gegen die Ukraine auch begonnen, um einen Nato-Beitritt des Nachbarlandes zu verhindern. Seit über 16 Monaten verteidigt sich die Ukraine nun schon mit westlicher Hilfe gegen die russische Invasion. Auf dem zweitägigen Nato-Gipfel in Vilnius beraten die Bündnisstaaten vor allem über das weitere Verhältnis zur Ukraine.
In Russland gab der frühere Präsident Dmitri Medwedew zum ersten Tag des Nato-Gipfels den Kommentar ab, dass nicht klar sei, wann und unter welchen Bedingungen die Ukraine in das Militärbündnis aufgenommen werde. «Gut möglich, dass das nie passiert», meinte der Vizechef des nationalen Sicherheitsrates. Russland werde seinen Krieg gegen die Ukraine ungeachtet dessen fortsetzen und seine Ziele wie die «Liquidierung der Kiewer Gruppierung» - gemeint ist die Führung um Selenskyj - weiter verfolgen.
Die geplante Lieferung von Streumunition aus den USA und von Kampfjets an die Ukraine kommentierte Medwedew mit dem Hinweis, dass dieser Weg in die Sackgasse führe. «Der dritte Weltkrieg kommt immer näher», sagte er.
Russland hat für den Fall von Streumunition-Lieferungen aus den USA an die Ukraine seinerseits mit dem Einsatz solcher Waffen gedroht. Russland besitze ebenfalls Streumunition, die sogar effektiver sei, sagte Verteidigungsminister Sergej Schoigu am Dienstag in Moskau. Sein Land halte sich bisher zurück, sähe sich aber im Fall von US-Lieferungen gezwungen, «analoge Mittel» einzusetzen. Die USA hatten zuvor mitgeteilt, die geächteten Waffen an die Ukraine zu liefern.
Schoigu wies darauf hin, dass sich weder die USA noch die Ukraine noch Russland dem internationalen Abkommen zur Ächtung von Streumunition angeschlossen hätten. Ihr Einsatz werde den Krieg verlängern, sagte der Minister.
Die über dem Boden explodierenden Bomben verteilen Geschosse über grössere Flächen. Weil oft viele davon nicht sofort explodieren, gelten sie wie Minen als Gefahr für Zivilisten auch in der Zeit nach einem Ende der Kampfhandlungen. Deutschland und 110 andere Staaten haben Streumunition deswegen mit einem internationalen Abkommen geächtet.
Die russischen Streitkräfte träfen derzeit zusätzliche Vorkehrungen zum Schutz vor Streubomben, sagte Schoigu. Er besuchte einem vom Ministerium veröffentlichten Video zufolge einen Rüstungsbetrieb und sagte, die Versorgung russischer Soldaten mit Waffen und Munition sei um ein Vielfaches gesteigert worden.
Zugleich widersprach Schoigu Analysen westlicher Experten und Äusserungen aus Kiew über Erfolge der ukrainischen Gegenoffensive. Die Ukraine habe an keinem Abschnitt der Front bisher ihr Ziel erreicht. Dagegen hatte die Ukraine zuletzt über grössere Geländegewinne berichtet. Auch russische Militärblogger bestätigten Moskaus Verluste.
Schoigu behauptete, die Angriffe der Ukrainer seien nicht nur an vielen Stellen abgewehrt worden; vielmehr sei die russische Armee im Gebiet Luhansk bei Gegenattacken weiter vorgerückt. Zudem sei massenhaft westliche Kampftechnik vernichtet worden, darunter angeblich 17 Leopard-Panzer aus Deutschland. Der Chef der russischen Privatarmee Wagner, Jewgeni Prigoschin, hatte Schoigu wiederholt vorgeworfen, mit Lügen eigene Niederlagen auf dem Schlachtfeld zu beschönigen. Unabhängig überprüfbar sind die Angaben der Kriegsparteien nur selten.
Die Ukraine setzt die Grossoffensive zur Befreiung ihrer Gebiete von der russischen Besatzung im Osten und im Süden des Landes fort. Russlands Truppen haben mit ihren befestigten Verteidigungslinien an der Front Widerstand angekündigt.
(yam/sda/dpa)