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Wagner-Aufstand gegen Putin: Nun packt ein Kommandant im Interview aus

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Wagner-Kämpfer wurden von Schaulustigen während des Aufstandes in der russischen Stadt Rostow am Don gefilmt.Bild: keystone

«Hatten keine Ahnung»: Wagner-Kommandant enthüllt Details über Aufstand gegen Putin

25.07.2023, 13:2725.07.2023, 13:27
Anne-Kathrin Hamilton / watson.de
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Im Juni hielt Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin Russland mit seinem Aufstand in Atem. Die Meuterei gegen die Führung in Moskau hielt etwa 24 Stunden an. Dann endete sie genauso überraschend, wie sie begann.

Bis heute hinterlässt dieser Mini-Aufstand viele Fragen. War er echt oder nur inszeniert? Welche Intentionen hatte Prigoschin tatsächlich mit seiner Auflehnung gegen Putin? Anscheinend lassen die Ereignisse nicht nur die Welt, sondern auch die Wagner-Kämpfer selbst mit Fragen zurück.

FILE - Yevgeny Prigozhin, the owner of the Wagner Group military company, right, sits inside a military vehicle posing for a photo with a local civilian prior to leaving an area of the HQ of the South ...
Nach der Meuterei machte Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin noch Selfies mit Schaulustigen und fuhr davon.Bild: keystone

«Wir hatten keine Ahnung, was vor sich ging», erklärt ein Wagner-Kommandant im Interview mit dem britischen Sender BBC. Er gibt einen Einblick, was sich zumindest bei seiner Einheit hinter den Kulissen abgespielt hat.

Wagner-Kolonne traf auf keinen Widerstand

Der Wagner-Söldner Gleb – dessen Name aus Sicherheitsgründen geändert wurde – befand sich mit seiner Einheit in einer Kaserne in der von Russland besetzten Region Luhansk, als die Meuterei begann. Das erzählt er zumindest dem Sender BBC. So erhielten sie am frühen Morgen des 23. Juni den Befehl, sich einer Kolonne von Wagner-Kämpfern anzuschliessen, die die Ukraine verliessen.

«Wir bilden eine Kolonne, lasst uns losziehen», hiess es laut Gleb. Niemand habe ein Wort darüber verloren, wohin die Kolonne gehen würde. Allerdings habe es Gleb verwundert, dass sie sich von der Frontlinie entfernten.

FILE - Members of the Wagner Group military company sit in their vehicle on a street in Rostov-on-Don, Russia, Saturday, June 24, 2023, as they prepare to leave an area at the headquarters of the Sout ...
Wagner-Kämpfer in einem Militärwagen am Tag des Aufstandes. Wie viele von ihnen wussten, was sich abspielte?Bild: keystone

Als die Wagner-Kämpfer die russische Grenze zur Region Rostow überquerten, seien sie auf keinerlei Widerstand gestossen, sagt er. «Ich habe keine Grenzsoldaten gesehen», erinnert er sich. «Aber die Verkehrspolizei hat uns auf dem Weg gegrüsst».

Abmachung mit lokalem Geheimdienst in Rostow am Don

Nahe Rostow am Don erhielten die Kämpfer den Befehl, alle Gebäude der Strafverfolgungsbehörden in der Stadt zu umzingeln und den Militärflughafen zu besetzen. Glebs Einheit wurde angewiesen, die Kontrolle über die regionalen Büros des russischen Geheimdienstes (FSB) zu übernehmen. Als sie sich dem Gebäude näherten, schien es völlig verschlossen und leer zu sein.

Dennoch öffnete sich eine Tür und zwei Personen traten auf die Strasse. «Sie sagten: ‹Leute, lasst uns ein Geschäft machen›», erzählt Gleb. «Ich sagte: ‹Was gibt es da zu verhandeln? Das ist unsere Stadt›». Also, habe man vereinbart, dass man sich gegenseitig in Ruhe lassen würde, meint der Wagner-Kämpfer. «Aber von Zeit zu Zeit kamen sie zum Rauchen heraus», führt er weiter aus.

Während all dieser Vorgänge verhandelte Wagner-Chef Prigoschin laut BBC mit dem stellvertretenden Verteidigungsminister Russlands, Generalleutnant Yunus-bek Yevkurov, und dem stellvertretenden Generalstabschef, Generalleutnant Vladimir Alexeyev. Seine Forderung lautete: Generalstabschef Waleri Gerassimow und Verteidigungsminister Sergej Schoigu auszuliefern.

In this handout photo released by Russian Defense Ministry Press Service on Monday, July 3, 2023, Russian Defense Minister Sergei Shoigu speaks at the National Defense Control Center of the Russian Fe ...
Erzfeind von Wagner-Chef Prigoschin: Verteidigungsminister Sergej Schoigu.Bild: keystone

Zur gleichen Zeit sei eine andere Kolonne von Wagner-Kämpfern auf dem Weg gewesen, meint Gleb. Diese Kolonne befand sich laut ihm auf der Hauptverkehrsstrasse in Richtung Woronesch und war offenbar auf dem Weg nach Moskau. Dennoch betont Gleb, dass er keinen Schimmer davon hatte, was sich abspielte.

Wagner-Kämpfer sei ahnungslos gewesen über Vorgänge

Laut Gleb haben er und seine Kameraden Informationen über den Messaging-Dienst Telegram erhalten. Schliesslich gingen die Bilder des Aufstands in Russland um die Welt. Vor allem jene Aufnahmen von lokalen Zivilist:innen und teils Journalist:innen, die sich mit den eher zurückhaltenden Wagner-Kämpfern ablichten liessen und gemeinsam plauderten.

FILE - Servicemen of the Wagner Group military company sit atop of a tank, as local civilians pose for a photo prior to their leave an area at the HQ of the Southern Military District in a street in R ...
Lokale Anwohner posieren vor einem Wagner-Panzer, während sich andere mit den Kämpfern unterhalten.Bild: keystone

«Es waren Ex-Häftlinge», sagt Gleb und meint damit die vielen Strafgefangenen oder Sträflinge, die vergangenes Jahr zu Wagner eingezogen wurden. «Niemand hat ihnen gesagt, dass sie es nicht tun sollen, niemand kümmert sich um sie.» Für erfahrene Kämpfer wie Gleb, die lange vor dem Krieg in der Ukraine angeworben wurden, seien die Regeln klarer: Jeder, der mit den Medien spreche, werde «beseitigt», also getötet.

Am Abend des 24. Juni endete der Aufstand plötzlich – auch zur Überraschung Glebs. Seine Vorgesetzten teilten ihm ohne Erklärung mit, dass er und seine Einheit nun zum Stützpunkt in Luhansk zurückkehren sollen. Erst auf dem Rückweg zur Kaserne habe er durch die Nachrichten auf Telegramm das ganze Ausmass des Aufstandes einfangen können.

Sprich, dass der Kreml das Strafverfahren gegen Prigoschin eingestellt hatte und dieser nun nach Belarus gehen würde. Auch dass die Wаgner-Kämpfer wegen ihrer «Verdienste im Kampf» nicht zur Rechenschaft gezogen würden. Dennoch sei nun die Zukunft für Gleb und seine Einheit noch unklar.

Auf die Frage, warum er Wagner nicht verlässt, hat er eine pragmatische Antwort: «Mein Vertrag ist noch nicht ausgelaufen.»

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Der Wagner-Aufstand in 25 Bildern
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Der Wagner-Aufstand in 25 Bildern
Sicherheitskräfte und gepanzerte Fahrzeuge besetzen das Hauptquartier der russischen Armee des südlichen Militärbezirks, 24. Juni 2023.
quelle: epa / stringer
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12 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Schlaf
25.07.2023 14:35registriert Oktober 2019
Russen so untereinander: Hey toll dass ihr hier seid, lasst uns Geschäfte machen.
Wagner: Warum Geschäfte machen? Das ist unsere Stadt.

Den Russen werden die Orks leider nicht so schnell ausgehen, sieht man ja auch an den Bildern, wo die lokale Bevölkerung sich mit den Wagners posierend ablichten lässt..
Aber was will man in solch einem Land auch machen, dass keinerlei Perspektive bietet, ausser dem Militär.

Putin hat Russland mit seinem Grössenwahn zerstört. Und das ziemlich nachhaltig.
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Die Geschichte wiederholt sich...
25.07.2023 14:47registriert Februar 2022
Ich weiss nicht, wie es andern geht, aber irgendwie werde ich nicht richtig warm mit der Geschichte. Egal von was man ausgeht, es hat einfach bei jeder Version unzählige Widersprüche.

Allerdings glaube ich immer mehr an eine klare Inszenierung aus dem Kreml. Besonders wenn man die ausbleibenden Konsequenzen für die Aufständigen ansieht.
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SimonTash
25.07.2023 15:23registriert Mai 2023
Hatte Putin nach dem Aufstand nicht gross herumposaunt, dass sich sämtliche Russen den Wagner-Soldaten in den Weg gestellt hätten, um das Regime zu schützen?
«Aber die Verkehrspolizei hat uns auf dem Weg gegrüsst».
Naja...
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