International
Russland

Putin-Berater liegt mit seltener Krankheit auf Intensivstation

Abtrünniger Putin-Berater liegt mit seltener Krankheit auf Intensivstation

Nur einige Wochen nach Beginn der russischen Invasion verliess Anatoli Tschubais seinen Posten im Kreml – und das Land. Nun ist er offenbar schwer erkrankt.
02.08.2022, 09:02
Mehr «International»
Ein Artikel von
t-online

Er gilt als der hochrangigste Abtrünnige der Regierung des russischen Präsidenten Wladimir Putin: Nun liegt der Ex-Politiker und Ökonom Anatoli Tschubais offenbar mit Symptomen einer schweren Nervenkrankheit in einem italienischen Krankenhaus. Wie italienische Medien übereinstimmend berichten, wird der 67-Jährige «nach plötzlicher Krankheit» auf einer Intensivstation in Olbia auf der Insel Sardinien behandelt. Tschubais hatte im März 2022 seine Ämter niedergelegt und Russland bis auf Weiteres verlassen.

June 3, 2021, Saint Petersburg, Russia: Anatoliy Chubais, Special Representative of the President of the Russian Federation for relations with international organizations to achieve sustainable develo ...
Anatoli Tschubais: Der 67-Jährige soll sich in einem Krankenhaus auf Sardinien in Behandlung befinden.Bild: IMAGO / ZUMA Wire

Zuerst hatte die russisch-israelische TV-Moderatorin und ehemalige Präsidentschaftskandidatin Xenia Sobtschak in ihrem Telegram-Kanal über den Fall berichtet. Demnach sei Tschubais auf eine Intensivstation eingeliefert worden, nachdem sich ein Taubheitsgefühl in Armen und Beinen ausgebreitet hatte. Im Krankenhaus sei dann das Guillain-Barré-Syndrom diagnostiziert worden – eine neurologische Erkrankung, die in schweren Fällen zu Lähmungen führen kann.

Sobtschak beruft sich auf Avdotya Smirnova, die Ehefrau des 67-Jährigen. Das Patientenzimmer Tschubais' wurde dem russischen Nachrichtenkanal «Ostorozhno News» zufolge, für den auch Sobtschak arbeitet, von Personal in Schutzanzügen untersucht – Polizisten befragten die Anwesenden im Krankenhaus.

>> Alle aktuellen Entwicklungen im Liveticker

Für den Verdacht der Vergiftung fehlen die Belege

Die plötzliche Erkrankung mit neurologischen Symptomen weckt Erinnerungen an Fälle, in denen russische Oppositionelle Opfer von mutmasslichen Giftanschlägen durch russische Geheimdienste wurden. Der prominenteste Fall war Alexei Nawalny, der 2020 monatelang in einem deutschen Krankenhaus behandelt wurde und derzeit in einem russischen Straflager inhaftiert ist.

Bei Nawalny wurde das Nervengift Nowitschok nachgewiesen – ein Wirkstoff, der auch 2018 im Körper des der Spionage beschuldigten Sergej Skripal und seiner Tochter gefunden wurde. Trotz schwer belastender Indizien streitet der Kreml bis heute jegliche Beteiligung an den Giftanschlägen ab.

Den Verdacht, dass Tschubais vergiftet worden sein könnte, äusserte auch die Pressesprecherin Nawalnys, Kira Jarmysch. Sie schreibt auf Twitter: «Das ist der Ruf des Kremls: Niemand zweifelt wirklich daran, dass Tschubais vergiftet wurde.» Belege für die Vorwürfe gibt es dagegen nicht.

Das Guillan-Barré Syndrom tritt meist in Verbindung mit einer vorangegangenen Infektion auf – auch als mögliche, seltene Nebenwirkung von Impfungen mit einzelnen Corona-Impfstoffen ist es derzeit Gegenstand der Berichterstattung. Ein Giftstoff als Auslöser ist bislang nicht bekannt.

Nach einem Bericht der «Financial Times» geht auch Tschubais selbst nicht von einer Vergiftung aus. «Das sind sehr verständliche Verdächtigungen. Aber er denkt nicht so», erklärte demnach eine enge Kontaktperson Tschubais am Montag. Demnach bestehe auch keine Lebensgefahr mehr für den 67-Jährigen.

Kremlsprecher Peskow: «Traurige Nachricht»

Tschubais Rücktritt als Berater des Präsidenten in Angelegenheiten des Klimas und nachhaltiger Energien hatte international für Aufsehen gesorgt. Beobachter werteten den Schritt als Protest gegen die russische Invasion in der Ukraine. Tschubais selbst hat sich zu seinen Motiven nie öffentlich geäussert – neben seiner Tätigkeit im Kreml legte er Ende März aber auch weitere Vorstandsposten in der Energiewirtschaft nieder. Zudem soll er sich seit dem Rückzug nicht mehr in Russland aufgehalten haben.

Internationale Medien berichteten, dass sich Tschubais nach seiner Ausreise zuerst in Istanbul aufgehalten haben soll. Anfang Juni soll er in einem Supermarkt auf Zypern fotografiert worden sein. Über seinen derzeitigen Aufenthaltsort war bislang nichts bekannt.

Tschubais und Putin verbindet lange politische Karriere

In der Zwischenzeit hat sich auch der Kreml zu den Berichten geäussert. «Natürlich ist das eine traurige Nachricht, wir wünschen ihm eine schnelle Genesung, aber gleichzeitig sind wir nicht im Besitz von Details», sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow laut der russischen Nachrichtenagentur «Tass» am Montag auf einer Pressekonferenz. Russische Staatsmedien berichten unter Berufung auf den Bruder des Erkrankten, dass sich der Zustand Tschubais bereits verbessert habe.

November 7, 2016. - Russia, Moscow region. - Russian President Vladimir Putin and RUSNANO s Chairman of the Executive Board Anatoly Chubais (right) during a meeting at the Novo-Ogaryovo residence. Kre ...
Wladimir Putin und Anatoli Tschubais im Jahr 2016.Bild: IMAGO / Russian Look

Der Ökonom und Politiker war nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion massgeblich an Privatisierungen von russischem Staatsvermögen beteiligt – er gilt als einflussreicher Reformer bei der Transformation der russischen Ökonomie nach dem Vorbild westlicher Marktwirtschaften. Putin und Tschubais verbindet eine lange gemeinsame Karriere im russischen Staatsapparat. Unter Präsident Boris Jelzin soll Tschubais Mitte der 1990er-Jahre sogar Putin seinen ersten Posten im Kreml verschafft haben, bevor dieser in das Amt des Geheimdienstchefs und später zum Präsidenten aufstieg.

Nach Ämtern beim staatlichen Energiekonzern EES Rossii und dem staatlichen Unternehmen Rosnano, wurde Tschubais im Dezember 2020 zum Berater im Kreml berufen, um Präsident Putin in Fragen der nachhaltigen Wirtschaft zu beraten. Zu Amtszeiten galt er als eine der wenigen liberalen Stimmen im Team Putins, der enge Kontakte zu westlichen Partnern aufrechterhielt. (t-online,jro )

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Aufräum-Raves in der Ukraine
Video: watson
Das könnte dich auch noch interessieren:
Hast du technische Probleme?
Wir sind nur eine E-Mail entfernt. Schreib uns dein Problem einfach auf support@watson.ch und wir melden uns schnellstmöglich bei dir.
40 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Gitarrenmensch
02.08.2022 09:27registriert Mai 2021
Frei nach Schiller: Präsident! Dieser Tschubais erkrankte euch sehr gelegen!
674
Melden
Zum Kommentar
avatar
Tokyo
02.08.2022 10:02registriert Juni 2021
Passiert in faschistischen Regimes ab und zu mal, dass Regimegegner erkranken
7110
Melden
Zum Kommentar
avatar
Heinzbond
02.08.2022 10:16registriert Dezember 2018
Plutoniumvergiftung ist eine seltene, aber ernsthafte Krankheit....
387
Melden
Zum Kommentar
40
Nach Hirnblutung: Brasiliens Präsident aus Klinik entlassen

Brasiliens Präsident Luiz Inácio Lula da Silva ist nach einer Operation wegen einer Hirnblutung aus dem Krankenhaus entlassen worden. «Er ist stabil, geht, isst und spricht normal. Er hatte eine sehr gute postoperative Phase, die im Rahmen der Erwartungen lag», sagte der Arzt Roberto Kalil am Sonntag auf einer Pressekonferenz in São Paulo, knapp eine Woche nach dem Eingriff im dortigen Hospital Sírio-Libanês.

Zur Story