Odessa, eine hübsche Hafenstadt am Schwarzen Meer, war bis auf einige Raketenangriffe weitgehend vom russischen Angriffskrieg verschont worden. Die russische Offensive kam vor dem rund 100 Kilometer weiter östlich liegenden Mikolajiw zum Stehen.
Doch nun sieht sich Odessa seit Tagen weiteren nächtlichen Raketenangriffen ausgesetzt. Was bezweckt Russland damit, und warum kommen die Angriffe genau jetzt?
Beim jüngsten Angriff in der Nacht auf den 20. Juli wurden mehrere Wohngebäude von Raketen und Drohnen angegriffen. Ein Wohnblock ist nun einen Stock kürzer, mindestens eine Person ist dabei ums Leben gekommen.
Dabei wurde auch ein Brand entfacht, der sich über rund 300 m2 erstreckte, so Oleg Kiper, der Gouverneur der Region, in einer Telegram-Nachricht. Doch sind es nicht die Angriffe auf Wohnhäuser, die hier im Fokus stehen sollen.
Bei den Angriffen vom 18. und 19. Juli wurden nämlich primär Hafeninfrastrukturen von den russischen Raketen anvisiert. Nicht nur der Haupthafen, sondern auch der etwas kleinere Hafen Tschornomorsk und der Hafen in Mikolajiw wurden dabei getroffen.
In Tschornomorsk erwischten die Raketen mehrere Getreidesilos, wobei rund 60'000 Tonnen Getreide vernichtet wurden. Dies berichtete Mikola Solskij, der ukrainische Landwirtschaftsminister, am 19. Juli. Das Korn sei für den Export durch den sogenannten Getreidekorridor bestimmt gewesen.
Im Interview mit der «Tagesschau» beschreibt er, dass das Ziel der Angriffe offensichtlich «so viel Zerstörung wie möglich anzurichten» sei. Denn nicht nur Silos seien von den Raketen zerstört worden: Auch leistungsstarke Terminals wurden zumindest beschädigt.
Mit solchen Terminals lassen sich riesige Frachtschiffe in relativ kurzer Zeit beladen. Ohne sie ist diese Arbeit ungleich schwerer und mühsamer.
Dass Russland genau zu diesem Zeitpunkt wieder Odessa angreift, ist kein Zufall. Denn am Montag wurde bekannt, dass das wichtige Getreideabkommen nicht mehr verlängert wird. Dieses verpflichtete Russland dazu, die ukrainischen Getreideexporte weiterhin gewähren zu lassen.
Nun fragt man sich vielleicht, weshalb Russland dem zugestimmt hat. Schliesslich macht der Getreideexport einen nicht unwesentlichen Teil der ukrainischen, für Russland feindlichen, Wirtschaft aus. Der Grund liegt darin, dass ukrainisches Getreide existenziell für die globale Ernährungslage ist.
Ursprünglich hätte das Abkommen nur bis letzten November laufen sollen. Nicht zuletzt dank der intensiven Interventionen der Vereinten Nationen und zahlreichen NGOs konnte der Deal bislang immer wieder verlängert werden.
Nun konnte keine Einigung mehr erzielt werden. Dass kurz darauf Hafeninfrastruktur angegriffen wird, ist sicherlich kein Zufall, meint Solskij: «Sie wollen zeigen, dass der Getreidekorridor ohne ihre Beteiligung unmöglich ist.» Die Ukraine habe deutlich gemacht, dass man versuche, das Getreide über andere Wege zu exportieren, und nun wolle Russland seine Macht demonstrieren. Die Angriffe seien aber keine Kurzschlussreaktion:
Die Ukraine versucht nun eben, ihr Getreide über alternative Routen auf den Markt zu bringen, so der Landwirtschaftsminister. Man wolle dabei Transitrouten über Nachbarländer nutzen.
Diese Routen können den nun möglicherweise ausbleibenden Getreideexport über das Schwarze Meer nicht mal ansatzweise ausgleichen. Ein Frachter kann bis zu 60'000 Tonnen Getreide aufs Mal verschiffen, ein Güterzug vermag maximal 10'000. Vom Güterzug muss das Getreide dann aber trotzdem je nach Destination andernorts wieder umgeladen werden – je nachdem auch auf Frachtschiffe.
Doch viele Alternativen bleiben der Ukraine zurzeit nicht. Das russische Verteidigungsministerium hat am Donnerstag bekannt gegeben, dass per sofort sämtliche Schiffe, die ukrainische Häfen anlaufen, als «potenzielle Träger militärischer Fracht» betrachtet werden.
Die Flaggenstaaten dieser Schiffe würden demnach direkt als «in den ukrainischen Konflikt auf der Seite des Kiewer Regimes verwickelt» angesehen. Beispielsweise wäre somit (nach russischer Darstellung) ein amerikanischer Frachter auf dem Weg nach Odessa ein Teil der ukrainischen Streitkräfte und dürfte somit abgeschossen werden.
Die Folgen für die Ukraine sind das eine, doch die daraus resultierenden Folgen für die globale Ernährungssicherheit sind viel weitreichender. Kurz nach dem Einmarsch Russlands explodierten die Getreidepreise weltweit. Weizen wurde zu einem Allzeithoch gehandelt.
Nur durch das Getreideabkommen erreichten die Preise wieder ein gemässigtes Niveau. Mit der Ankündigung Russlands, nicht mehr bei der sogenannten «Black Sea Grain Initiative» dabei sein zu wollen, hat nun wieder ein Preisanstieg begonnen. Und mit den Angriffen auf Odessa und der Mitteilung des Verteidigungsministeriums hat Wladimir Putin gezeigt, dass er es ernst meint.
Während für uns in der Schweiz ein Preisanstieg lästig ist, sind andere Regionen auf der Welt existenziell davon betroffen. Saskia Kobelt, Emergency Programs Manager bei UNICEF, erklärt auf Anfrage von watson:
Menschen, die bereits akut multiplen Krisen wie Dürre, Fluten, Konflikten, Inflation, Choleraausbrüchen und dem Klimawandel ausgesetzt sind, würden nun noch gefährdeter. Die Expertin sagt, dass wir uns nun auf eine weitere Zunahme menschlichen Leids gefasst machen müssen.
«Deshalb ist es nun zentral, dass die weltweite Ernährungssicherheit und die Preisstabilität vorangetrieben werden», so Kobelt. Damit soll, hoffentlich, ein Ausbruch von Hungersnöten besonders im globalen Süden und eine weiter Destabilisierung vieler Regionen verhindert werden.
(cpf)
Und bei uns gibt es noch Leute welche für Putin und seine Schergen Sympathien hegen!?
Selbst in Afrika gäbe es noch genügend fruchtbare Flächen. Die bestellt nur niemand, weil unsere Billigprodukte deren finanzielle Grundlagen angefressen haben. Den Rest haben dann Saatgutfirmen und lokale Misswirtschaft gebodigt.
Würde man den Fokus darauf legen, den Anbau auf dem Afrikanischen Kontinent auszubauen könnten sie ihre Versorgung selbst organisieren.