Sie liegen am Boden, bekommen Stromschläge verpasst. Bevor sie abgeführt werden, treten ihnen Polizisten gegen den Kopf und schlagen mit Knüppeln zu. Diese Gewalt droht den Menschen derzeit bei Antikriegsprotesten in Russland – weil Präsident Wladimir Putin es so will. Wer schliesslich verhaftet wird, der muss nach neuer Gesetzgebung ausserdem bis zu 15 Jahre Haft fürchten.
Trotzdem haben allein am Sonntag Tausende Menschen in 50 russischen Städten gegen den Krieg in der Ukraine demonstriert. Bürgerrechtler sprachen danach von 4400 Verhaftungen, der Kreml von 1600.
Der Ärger wächst: Immer mehr Menschen in Russland haben mittlerweile erkannt, dass ihr Land in einen Krieg gegen ihr «Brudervolk» gezogen ist. Sie merken, dass Russland international isoliert ist und spüren die harten Sanktionen des Westens.
Der Kreml reagiert und lässt die Meinungsfreiheit im Land massiv einschränken. Putin verkauft das als Reaktion auf die Massnahmen des Westens, aber es ist vor allem eines: ein Eingeständnis, dass Moskau die Kommunikation in dem Konflikt nicht unter Kontrolle hat.
In #Russland gab es erneut tausende Verhaftungen. Dürfen nicht vergessen: Viele Russinnen & Russen sehen, dass #Putin ein Kriegsverbrecher ist.Diktator in Bedrängnis 👉 Aggression nach aussen, Repression nach innen.#UkraineRussianWar #Ukraine️ #PutinsKrieg #UkraineKrieg pic.twitter.com/HSClXlLGEc— Patrick Diekmann (@patdiekmann) March 6, 2022
Im Gegenteil. Es wirkt, als sei Putin dabei, den Informationskrieg zu verlieren. Der Druck auf den Präsidenten wird grösser; er reagiert darauf mit Repression. In den vergangenen Tagen erlebte Russland eine neue Stufe der Zensur.
Die Opfer sind nicht nur westliche Medien oder soziale Netzwerke wie Facebook oder Twitter, sondern auch vergleichsweise freie russische Medien wie der Radiosender Echo Moskwy.
Manipulation der Medien war stets ein wichtiges Standbein für Putins Macht. Er brachte die Staatssender unter seine Kontrolle und war gleichzeitig äusserst geschickt darin, sich selbst zu inszenieren und politische Gegner zu diskreditieren. So wurde er vor Wahlen gerne zum oberkörperfreien Grosswildjäger oder zum Schatztaucher, seine Kritiker hingegen zu drogenabhängigen Vaterlandsverrätern.
Um sich in der eigenen Bevölkerung die Legitimation für den Ukraine-Krieg zu sichern, setzte der Kreml auf zwei tief verwurzelte Feindbilder: ein angebliches Naziregime und die USA , die Russland ohnehin nur kleinhalten würden. Das verfängt, denn viele Menschen haben sowjetische Kindergärten und Schulen besucht, in denen ihnen jeden Morgen vermittelt wurde, wie menschenverachtend der Westen und insbesondere die Amerikaner sind.
Deshalb steht in Russland auch weiterhin ein grosser Teil der Bevölkerung hinter Putin und seinem Kriegskurs. Besonders in der Provinz scheinen viele dem Narrativ des Kremls von der Bedrohung durch die Nato und dem angeblichen Naziregime in der Ukraine zu glauben. Wie das exakte Stimmungsbild aktuell in ganz Russland ist, bleibt jedoch weitgehend unklar. Denn viele Menschen trauen sich schlichtweg nicht, ihre Meinung offen zu sagen – aus Angst vor Repressionen.
Auch wenn die internationale Gemeinschaft es sich anders wünschen würde: Russland hat über 144 Millionen Einwohner; Zehntausende Demonstranten sind angesichts der Kriegsverbrechen ihres Präsidenten deshalb nicht viele. Momentan sind es vor allem junge Menschen, die aufgeklärte Mittelschicht und Unternehmer, die in den russischen Städten auf die Strasse gehen.
Putins Propaganda bekommt jedoch zusehends mehr Probleme:
Zusammengefasst ist der Krieg für den Kreml ein Propaganda-Albtraum – und mit jedem toten russischen Soldaten steigt das Misstrauen gegenüber der öffentlichen Darstellung in Russland.
Besonders gefährlich für Putin sind dabei die Verhöre der russischen Soldaten in Kriegsgefangenschaft, die die Ukraine veröffentlicht hat. Sie äussern sich alle ähnlich: «Ich wusste nicht, dass ich in einen Krieg fahre.» Die Armeeführung haben ihnen nur gesagt, dass sie zu einem Manöver ausrücken würden. Es ist unklar, ob diese Aussagen unter Zwang stattfanden, trotzdem richten sie grossen Schaden an.
In der Bevölkerung weckt das schlechte Erinnerungen: Auch in der Sowjetunion wurden die Soldaten nicht vorher informiert, wenn sie in den Krieg zogen. Einige dachten, dass sie zum Militärdienst müssten und befanden sich ab 1979 plötzlich in Afghanistan.
Da ist es wenig überraschend, dass sich auch Berichte über ein Moralproblem unter den russischen Soldaten häufen. Nachrichten oder Videos, die dem Narrativ aus dem Kreml widersprechen, könnten viele junge Soldaten weiter ins Grübeln bringen. Auch deshalb ist es keine Überraschung, dass die Arbeit der Medien weiter eingeschränkt wird.
Wie sich die Situation in den kommenden Tagen entwickeln wird, ist kaum absehbar. Es ist auf jeden Fall unwahrscheinlich, dass die Friedensbewegung aus der Zivilbevölkerung allein in der Lage wäre, Putin zum Rückzug oder gar zum Rücktritt zu zwingen. Dazu bräuchte es Widerstand aus dem innen Machtzirkel im Kreml. Und dort scheinen die jahrelangen Getreuen von Putin noch immer auf der politischen Linie des Präsidenten.
Sorgen muss sich der Präsident eher um die mittelfristigen Folgen seines Krieges machen. Die Nato rüstet nun militärisch auf, Ausfälle der Exporte von Erdöl und Gas hätten katastrophale Folgen für die russischen Staatseinnahmen. Und Putin ist international isoliert und wird es nach seinen Kriegsverbrechen auf absehbare Zeit auch bleiben.
Selbst wenn die russische Armee die ganze Ukraine erobern sollte, gibt es kaum eine Strategie, mit der Russland aus der Misere kommen könnte. Es drohen Proteste und Partisanenkämpfe.
Drei Szenarien wären für die russische Führung denkbar:
Unter eines dieser drei Szenarien kann Putin kaum zurück. Er sitzt jetzt in einer Falle, die er sich selbst gebaut hat. Nach der Kriegspropaganda und den Lügen über das Naziregime kann er sich aus innenpolitischen Gründen mit der ukrainischen Regierung nicht einfach wieder versöhnen. Zu viele russische Soldaten sind schon gestorben. Putin braucht einen «Sieg», sonst ist das der Anfang vom Ende seiner Herrschaft.
Putin ist Judokämpfer, den Sport beschrieb er stets als «charakterbildend». «Man muss seinen Gegner respektieren, auch wenn er schwach wirkt. Der kleinste Fehler kann fatale Folgen haben», sagte er einst. Hätte er nicht den ukrainischen Widerstand und die heftige Reaktion des Westens unterschätzt, wäre vielen Menschen viel Leid erspart geblieben – vor allem in der Ukraine, aber auch in Russland.
Jetzt fängt es hoffentlich möglichst bald in Russland selber zu brodeln. Die Menschen haben in Russland unter den von Putin heraufbeschworenen Sanktionen.
Wenn jetzt noch viele Soldaten in Särgen zurückkehren, erhält Putin hoffentlich eine Heimatfront, die in stürzen kann.
Ich hoffe, möglichst bald.
Das sind dann ca. 1.9% der Weltbevölkerung.
Eine kleine Randgruppe.
Die anderen 98.1% der Weltbevölkerung sind keine Russen.
Könnte dies jemand mal dem Putin grafisch in einem Balkendiagramm veranschaulichen?
Aber wahrscheinlich würde man dabei mehrere Jahre Sibirien riskieren.