Die Geschichte, die in diesen Tagen weltweit für Schlagzeilen sorgt, beginnt ganz harmlos. In der Stadt Jefremow im Westen Russlands wurden in einer Schule die Kinder dazu aufgefordert, Bilder zur Unterstützung der Streitkräfte in der Ukraine zu malen.
Die damals 12-jährige Maria Moskaljowa zeichnete aber ein etwas anderes Bild. Darauf zu sehen: eine Frau mit einem Kind, die vor einer ukrainischen Flagge mit dem Schriftzug «Ruhm der Ukraine» steht. Die Frau streckt ihre Hand aus und wehrt sich damit demonstrativ gegen Raketen, die heranfliegen. Unter ihnen eine weitere Flagge, eine russische, auf welcher steht: «Nein zum Krieg».
Das Bild ist ein krasser Kontrast zu all dem, das sonst in der Schule in Jefremow zu sehen ist. Wie in vielen russischen Bildungseinrichtungen ist die Kreml-Propaganda allgegenwärtig. Fotos von russischen Soldaten zieren die Wände. Zudem die Zeilen:
Das Bild, mit welchem sich Moskaljowa gegen den russischen Angriff der Ukraine stellt, fiel der Lehrerin des Mädchens sogleich auf. Sie meldete den Vorfall der Schulleiterin, welche umgehend die Polizei über das ihr suspekte Bild informierte.
Die Behörden nahmen daraufhin Alexej Moskaljow, den alleinerziehenden Vater des Mädchens, ins Visier. Am Tag nach dem Entstehen der Zeichnung wurde der 54-Jährige erstmals auf die Polizeistation gebracht und musste dort eine Geldstrafe von 35'000 Rubel, rund 420 Franken, bezahlen.
Zudem begannen die Behörden, die Aktivitäten des alleinerziehenden Vaters etwas genauer unter die Lupe zu nehmen. Dabei wurden sie fündig: Moskaljow soll im Internet diverse Kommentare verfasst haben, welche den Krieg in der Ukraine verurteilen. Damit stellte er sich direkt gegen den Kreml, was seit Beginn des Krieges rigoros bestraft wird.
Auch im Fall Moskaljow griff die russische Justiz hart durch. Der 54-Jährige bestritt die Vorwürfe und behauptete, der Zugang zu seinem Computer sei ohne sein Wissen von anderen genutzt worden. Dennoch wurde er an diesem Dienstag verurteilt. «Wiederholte Diskreditierung der russischen Armee», so das Verdikt. Die Folge: zwei Jahre Straflager.
Die Umstände der Verurteilung sind zweifelhaft. Unabhängige Medien berichteten aus dem Gerichtssaal von einem inszenierten Verfahren mit einstudierten belastenden Aussagen vermeintlicher Zeugen. Es seien keine Beweise vorgelegt worden. Zudem war das Urteil umstritten: Offenbar sollen sich mehrere Frauen vor Gericht für die Freilassung Moskaljows eingesetzt haben.
Die Verurteilung Moskaljows hatte auch für Maria Konsequenzen. Da ihr alleiniger Vormund zwei Jahre lang in Haft muss, wurde sie in ein Kinderheim in Jefremow gebracht. Wie es ihr geht, weiss niemand so genau. «Seit dem ersten März hat sie niemand mehr gesehen», so Stadträtin Olga Podolskaja gegenüber BBC. Ihr Vater dürfe nicht mal mit ihr telefonieren. Und auch Moskaljows Anwalt Wladimir Bilijenko äusserte scharfe Kritik: «Die Sozialdienste scheinen von dieser Familie besessen zu sein. Ich denke, das hat rein politische Gründe».
Bis zu seiner Verurteilung hätte Alexej Moskaljow eigentlich unter Hausarrest gestanden. Doch offenbar hatte der 54-Jährige geahnt, was ihm bevorsteht. So sagte eine Gerichtssprecherin, Moskaljow sei noch vor der Bekanntgabe des Urteils geflüchtet. Einige Anwesenden im Gerichtssaal reagierten mit Applaus.
Mit seiner Flucht überraschte Moskaljow nicht nur das Gericht, sondern auch seinen eigenen Anwalt. «Um ehrlich zu sein, bin ich im Moment in einem Schockzustand», sagte er gegenüber Reuters. Er habe seinen Mandanten seit Montag nicht mehr gesehen. Wo sich Moskaljow befindet, ist derzeit unklar.
Der Fall Moskaljow sorgt derweil nicht nur im Westen für Kritik. Auch in Jefremow, wo Vater und Tochter leben, regte sich Widerstand gegen das Urteil. Als BBC die Stadt im Westen Russlands letzte Woche besuchte, sagten einige Nachbarn, man denke über das Sammeln von Unterschriften nach, auch wenn man «selbstverständlich» Angst vor Konsequenzen habe.
In den Gerichtsräumlichkeiten kam es noch vor der Verurteilung zu ersten Protesten. Bei einer Anhörung von Moskaljows Anwalt beim Richter war ein Demonstrant vor Ort, der ein Plakat mit dem Schriftzug «Bringt Maria zurück zu ihrem Vater» hochhielt. Eine weitere Unterstützerin der Familie kritisierte die russische Politik: «Unsere Verfassung proklamiert Meinungsfreiheit. Aber uns ist das verboten.»
Ok, aber einwenig davon träumen darf man doch schon.
Wie weit würdet ihr euer Maul aufreissen, wenn ihr damit riskiert, dass eure Kinder wegen einer Zeichnung (!) in ein schlecht geführtes Kinderheim abgeschoben werden? Eure Verwandten verhört und verhaftet werden? Habt doch bitte etwas Verständnis für diese armen Leute.