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Friedensforscherin Thania Paffenholz: «Es wurden keine Lösungen gesucht»

Friedensforscherin zur Ukraine: «Es wurde nie wirklich nach Lösungen gesucht»

Für Friedensforscherin Thania Paffenholz hat der Westen im Ukrainekrieg zu lange eine Strategie der Hoffnung verfolgt. Sie kritisiert, dass bis heute ein Plan zur Deeskalation fehlt und erklärt, weshalb Friedensprozesse erfolgreicher sind, wenn Frauen mitwirken.
03.05.2022, 14:46
Annika Bangerter / ch media
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Der Krieg in der Ukraine tobt seit mehr als zwei Monaten. Ein Ende ist nicht in Sicht. Thania Paffenholz hat Friedensprozesse rund um den Globus als Beraterin begleitet und als Wissenschafterin erforscht. Was für Chancen sieht sie, um Wladimir Putin zu stoppen? Anruf bei einer Frau, die sich seit mehr als 30 Jahren für Frieden einsetzt.

Thania Paffenholz
Thania Paffenholz ist Direktorin von Inclusive Peace, einem Thinktank in Genf, der Friedensprozesse begleitet.Bild: zvg
Thania Paffenholz
Die 57-Jährige ist Direktorin von Inclusive Peace, einem Thinktank in Genf, der Friedensprozesse begleitet. Sie forscht seit rund 30 Jahren zur nachhaltigen Friedensförderung und hat dazu die UNO, die Europäische Union sowie die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa beraten. In dieser Funktion hat sie rund 20 Friedensprozesse – etwa in Kenia, Südsudan, Nepal, Syrien oder Kolumbien – begleitet. Thania Paffenholz hat zwei Kinder und lebt in der Schweiz und in Kenia.

Aus der Ukraine erreichen uns immer neue Berichte über Gräueltaten und die Diskussionen im Westen drehen sich vor allem um Waffenlieferungen. Rückt der Frieden stets in weitere Ferne?
Thania Paffenholz: Es wird tatsächlich sehr wenig über den Frieden gesprochen. Die Strategie des Westens ist aktuell die Eskalation, natürlich mit der Hoffnung, dass diese irgendwann eine Deeskalation bringt. Dabei wird strategisch wenig darüber nachgedacht, wie eine Friedenslösung möglichst schnell aufgegleist werden könnte. Die Verhandlungen in Istanbul zwischen Russland und der Ukraine sind ins Stocken geraten und von neuen Verhandlungen oder Impulsen ist kaum zu hören.

Welche Ansätze zu einer friedlichen Lösung sehen Sie?
Der erste Schritt ist immer ein Waffenstillstand. Gespräche darüber sind üblicherweise technischer Natur. Es geht beispielsweise darum, wer an welchem Ort Truppen stationieren darf. Das Ziel ist, die unmittelbare militärische Eskalation zu beenden. Eine Friedenslösung im Sinne von politischen Verhandlungen ist das aber noch nicht, auch wenn es ein erster wichtiger Schritt sein kann.

A Protester holds a "Stop Putin" banner on the Bundesplatz square during a demonstration against the Russian invasion of Ukraine in front of the Swiss parliament building in Bern, Switzerlan ...
Weltweit demonstrierten Menschen für den Frieden in der Ukraine. Doch wie könnte dieser gelingen? Bundesplatz Schweiz, 19. März 2022.Bild: keystone

Wieso nicht?
In der Ukraine ist kein Frieden möglich, ohne dass die europäische Friedens- und Sicherheitsarchitektur neu gestaltet und mit Russland verhandelt wird. Die Ukraine ist ein Staat zwischen zwei grossen Blöcken und deren Interessen. Deshalb muss neben ihr die EU an den Tisch, zentrale EU-Mitgliedstaaten, die Nachbarstaaten der Ukraine, die USA und natürlich Russland. Daran führt kein Weg vorbei. Es braucht Sicherheitsgarantieren von allen Seiten.

Die gab es früher schon mal.
Ja, und die wurden nicht eingehalten. Daher reicht es nicht, diese zu recyceln. Es müssen neue Garantien glaubhaft ausgehandelt werden - für beide Seiten. Russland will Sicherheiten, dass die NATO nicht in Richtung Osten expandiert. Die Ukraine will hingegen Garantien zur eigenen territorialen Existenz haben. Hierfür eine Lösung zu finden, kann kein Schnellschuss sein. Dafür braucht es erst Klarheit, weshalb in Europa die bestehende Ordnung zusammengebrochen ist.

Weshalb ist das passiert?
Dazu gibt es verschiedene Thesen. Eine ist, dass Russland Grossmachtambitionen hat. Eine andere vertritt die Haltung, dass die russischen Sicherheitsinteressen mit der Osterweiterung der Nato nicht ernst genommen wurden. Eine dritte These sieht hinter der Invasion in der Ukraine wirtschaftliche Interesse. Denn die Konfliktlinie verlaufen entlang der Rohstoffvorkommnisse in der Ukraine - sowohl offshore im Meer als auch auf dem Land. Möglich ist die Kombination von allen drei Aspekten. Für mich stellt sich aber noch eine ganz andere Frage.

Welche?
Warum eine Organisation wie die OSZE, die für Sicherheit in Europa zuständig ist, nicht Mechanismen und Gefässe besass, um den Konflikt zu verhindern. Die Prävention ist gescheitert. Dem gilt es auf den Grund zu gehen.

Wo sehen Sie die Gründe?
Nach dem Kalten Krieg war die Situation zwischen dem Westen und Russland gut. Es wurden Vertragswerke geschaffen, die einen Dialog ermöglichten. Diese Entspannungspolitik wurde allerdings nicht aufrechterhalten. Verhandlungen in anderen Kriegen wie in Georgien, in Aserbaidschan oder Moldawien sind seit längerem festgefahren. Obwohl es fortlaufende Verhandlungen gab, wurde nie wirklich nach Lösungen gesucht. Es wurde auch nicht mehr über die gesamte Sicherheit im OSZE-Raum gesprochen. Dabei hätte es genau das gebraucht, inklusive Abrüstungs- und Sicherheitsverhandlungen. Der Westen verfolgte vielmehr eine Strategie der Hoffnung.

Wie meinen Sie das?
Wladimir Putin und Joe Biden trafen sich im vergangenen Sommer in Genf. Dabei tauschten sie sich auch zur Ukraine aus, legten sich aber auf nichts fest. Europäische Staatschefs handhabten dies ebenso bei diplomatischen Treffen mit Russland. Die grundverschiedenen Positionen wurden einfach hingenommen. Der Westen ging viel zu lange davon aus, dass Russland eine militärische Eskalation scheut. Es fehlte ihm eine übergeordnete Strategie. Das hängt damit zusammen, dass die USA ganz stark das Agieren von China und Russland in der Pazifik-Region beobachtete und weniger Osteuropa im Blick hatte.

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Joe Biden traf Wladimir Putin am 16. Juni 2021 in Genf.Bild: keystone

Für Europa kam der Krieg aber auch überraschend.
Sowohl die USA als auch Europa waren auf die Invasion nicht gut vorbereitet. Europa hat es verpasst, sich als eigenständiger Akteur in den Sicherheitsverhandlungen mit Russland zu etablieren. Das muss jetzt passieren.

Was kann die Schweiz für ein Ende des Krieges in der Ukraine beitragen?
Die Schweiz hatte im vergangenen Sommer das Gipfeltreffen zwischen Biden und Putin ausgerichtet. Ob sie heute noch eine Plattform bieten kann, um zwischen Ost und West zu vermitteln, ist schwierig abzuschätzen. Anbieten kann sie es. Die Schweiz kann mit ihrem umfassenden Wissen und ihren Erfahrungen in der Mediation aber auch andere Staaten unterstützen, die diese Vermittlerrolle übernehmen.

Sie vertreten den Ansatz des «perpetual peacebuilding» - einen Friedensprozess, der nicht nach Ende eines Konflikts abbricht, sondern stets weitergeführt wird. Was bedeutet das konkret?
Im Kern von «perpetual peace building» geht es darum, dass Frieden nie vollständig erreicht wird. Frieden ist der perfekte Zustand in einer perfekten Gesellschaft - das wird nie gelingen. Es geht vielmehr darum, so nahe wie möglich an diese Utopie zu kommen. Dafür müssen gesellschaftliche und politische Verhältnisse immer wieder neu verhandelt werden. Zwischen Staaten, aber auch innerhalb von Gesellschaften, wie dies beispielsweise in den USA mit der Black Lives Matter-Bewegung geschieht. Es ist normal, dass Verträge nicht ewig halten. Es braucht aber ein Gespür dafür, wann die Ordnung kippt. Dann gilt es rasch zu reagieren.

Das bedingt einen Dialog. Bezüglich der Ukraine hatte Emmanuel Macron nach Kriegsausbruch diverse Gespräche mit Putin geführt, der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer besuchte ihn. Beide haben dafür viel Kritik geerntet. Sie finden das gut?
Es gibt langfristig keine Alternative zum Dialog. Es lässt sich nicht ewig eskalieren. Natürlich lassen sich mehr Waffen liefern und stärkere Sanktionen verhängen, aber das muss in eine Strategie eingebunden sein, die in eine Deeskalation mündet. Diese sehe ich beim Westen aktuell nicht. Es braucht dringend Vorbereitungen, um die Waffen zum Schweigen zu bringen und eine neue Friedens- und Sicherheitsarchitektur in Europa auszuhandeln.

Gleichzeitig festigt sich der Eindruck, dass Putin nicht zu stoppen ist. Kann mit ihm an der Spitze überhaupt eine Lösung gefunden werden?
Was ist denn die Alternative? Er ist nun mal da. Natürlich wäre es super, wenn es anders wäre, aber das ist nicht die Realität. Und es sieht nicht so aus, als ob er bald von einer internen Revolution weggespült würde. Die Opposition, die Demokratiebewegung und die freien Medien sind zum Schweigen gebracht worden.

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Russische Polizisten verhaften Demonstrantinnen und Demonstranten, die am 13. März 2022 in St. Petersburg gegen den Krieg in der Ukraine protestierten.Bild: keystone

Welche Optionen kennt die Friedensforschung, um mit brutalen und unberechenbaren Machthabern wie ihm umzugehen?
Vorerst gilt es zu akzeptieren, dass das Regime sich nicht über Nacht ändern lässt. Unmittelbar braucht es einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen. Das Ziel ist, Regelungen auszuarbeiten, die mittelfristig eine Öffnung für die Demokratiebewegung- in diesem Fall für jene in Russland - bringt. Es zeigt sich deutlich, dass diese in Russland umso mehr geschwächt wird, je stärker Putin von aussen unter Druck gerät. Eben erst hat das Regime die letzten freien Medien zerschlagen.

Putin dürfte kein Interesse daran haben, dass die Opposition erstarkt.
Es gibt in Friedensverhandlungen immer Zielkonflikte. Wie viele Zugeständnisse können gemacht werden, um Friedensregelungen zu erzielen? Und was sind die Konsequenzen, wenn Menschenrechte verletzt werden? Diese Fragen gilt es abzuwägen. Langfristig muss der Westen einen Weg finden, um die russische Opposition zu stärken. Nur sie kann die Demokratie im eigenen Land voranbringen.

Es gibt die Forderung nach einem Sondertribunal für Putin. Was halten Sie davon?
Ein solches Tribunal kann zu einem Zielkonflikt in den Friedensverhandlungen führen. Dennoch ist es völlig klar, dass das Geschehene aufgearbeitet werden muss. Die ukrainische Gesellschaft benötigt das, um zu heilen. Von der Verhandlungslogik her gedacht, ist deshalb nicht die Frage entscheidend, ob es ein solches Tribunal geben soll, sondern wann. Das Timing ist wichtig - und die Kommunikation. Bei letzterer stellt sich die Frage, ob es ein Sondertribunal gegen Putin oder ein Sondertribunal wegen Kriegsverbrechen in der Ukraine geben soll. Unabhängig davon gilt es, diese möglichst schnell zu dokumentieren.

Ein Friedensabkommen muss innenpolitisch vermittelbar sein. Russland propagiert, in der Ukraine eine Entnazifizierung durchzuführen. Eine friedliche Lösung mit dem angeblichen Nazi-Regime wäre in Russland unglaubwürdig. Wo können Vermittler vor diesem Hintergrund ansetzen?
Gerade Diktaturen haben in der Regel weniger Probleme, ein solches Narrativ wieder aufzuheben. Sie haben in der Regel die Hoheit über die Medien im eigenen Land. Das hat sich zum Beispiel in der Türkei gezeigt, als die Regierung plötzlich begann, mit der PKK zu verhandeln. Zuvor bezeichnete die türkische Regierung die bewaffnete kurdische Opposition über Jahre hinweg als Terroristen, die es auszuschalten galt.

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Männer unter sich: An Friedensgespräche sind Frauen nur selten vertreten. Auch hier beim Treffen am 29. März 22 zwischen der russischen und ukrainischen Delegation in der Trükei.Bild: keystone

Wo bleiben eigentlich die Frauen bei den Friedensverhandlungen? Die Gesprächsrunden scheinen fast nur aus Männern zu bestehen.
Das ist eine gute Frage. Unsere Forschung hat gezeigt, dass mehr Friedensverträge zustande kommen, desto mehr Frauen auf die Agenda und Inhalte von Friedensprozesse Einfluss haben. Auch die UNO fordert, mehr Frauen an Friedensprozessen zu beteiligen. Es gibt dafür viele Initiativen und Mediatorinnen-Netzwerke, auch in der Schweiz. Aber unter dem Strich sehen wir immer noch sehr viele Männer am Verhandlungstisch. In Osteuropa deutlich mehr als in anderen Teilen der Welt.

Woran liegt es, dass Friedensprozesse unter Einbezug der Frauen erfolgreicher sind?
Je diverser die Akteurinnen und Akteure sind, die an der Aushandlung beteiligt sind, umso grösser ist die Chance, dass die Abkommen breiter getragen werden. Frauen bringen eine andere Perspektive rein: Ein Waffenstillstand tangiert sie beispielsweise unterschiedlich als Männer. Deshalb müssen beide Seiten berücksichtigt werden. Es darf nicht die eine Hälfte der Bevölkerung missachtet werden.

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110 Kommentare
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Tokyo
03.05.2022 14:55registriert Juni 2021
ein Schönwetter-Interview ohne jede Tiefe.
Die Forderung nach Waffenstillstand und Frieden ist ja nett, aber sie ignoriert, dass Putins Regime kein wirkliches Interesse an solchen Gesprächen hat.
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raues Endoplasmatisches Retikulum
03.05.2022 15:16registriert Juli 2017
1)
"Welche Optionen kennt die Friedensforschung, um mit brutalen und unberechenbaren Machthabern wie ihm umzugehen?
Vorerst gilt es zu akzeptieren, dass das Regime sich nicht über Nacht ändern lässt. Unmittelbar braucht es einen Waffenstillstand und Friedensverhandlungen.
Frau Paffenholz scheint es intelektuell nicht fassen zu können, dass es politische Akteure gibt, die die Durchsetztung ihrer politischen Ziele mit Waffengewalt als föllig legitimes Unterfangen ansehen und auch nicht vor Krieg zurückschrecken.
Wieso soll sich Putin bitte im Moment auf einen Waffenstillstand einlassen?
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raues Endoplasmatisches Retikulum
03.05.2022 15:21registriert Juli 2017
2) Nunja, geschütz unter dem Atomschirm der Amis und den Armee der Nato lässt sich gut über "inclusiv Peace" philosphieren.

" Russland will Sicherheiten, dass die NATO nicht in Richtung Osten expandiert."
Hier kondesiert eine "feministische" und "progressive" Friendespolitik in eine streng "realistische" und "geopolitische" Weltsicht, angereichert durch den milieu-üblichen Anti-amerikanismus, die in diesem Fall aber zur Entschuldigung verkommt für einen Angriffskrieg eines zutiefst reaktionären Regimes.
Man möchte lachen, wenn es nicht so traurig wäre.
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