«Wir bluffen nicht», sagte Putin diese Woche an den Westen gerichtet. Er sagte es nicht wörtlich, aber die Nachricht kam an: Russland ist bereit, nukleare Waffen einzusetzen, wenn es seine territoriale Integrität bedroht sieht.
Wie ist diese Aussage zu werten? Über welches Arsenal verfügen die Russen tatsächlich? Wir beantworten die wichtigsten Fragen.
Eine Atomwaffe funktioniert mittels einer Kettenreaktion. Die Explosion einer Kernwaffe ist eine Freisetzung von Energie durch die Spaltung von Atomen. Wenn ein Atom gespalten wird, spaltet es auch die benachbarten Atome, wodurch die Kettenreaktion ausgelöst wird. Das bewirkt eine enorme Energiefreisetzung.
Damit dies funktioniert, müssen die Atome in der Waffe dicht aneinander gepackt sein, weshalb bestimmte Arten von Plutonium oder Uran benötigt werden. Ausgelöst wird die Kettenreaktion, indem die Plutonium- oder Uranatome durch den Einsatz von konventionellem Sprengstoff in der Waffe enger zusammengedrängt werden. Abgefeuert werden die atomaren Sprengköpfe mit Raketen oder als Bombe abgeworfen.
Es gibt strategische und taktische Atomwaffen. Strategische Atomwaffen sind solche mit interkontinentaler Reichweite, die dauernd als Abschreckung installiert sind. Wenn Russland solche strategische Atomwaffen auf europäische und amerikanische Städte feuern würde, würde das direkt eine Gegenreaktion auslösen.
Die nicht-strategischen oder taktischen Atomwaffen, mit denen Putin droht, sind nicht dauernd auf ein Ziel gerichtet, sondern können schnell, mobil und flexibel gegen irgendwelche näher gelegene Ziele eingesetzt werden.
Nein, für taktische Nuklearwaffen gibt es keine Begrenzung. Geregelt wird nur das Arsenal von Atomwaffen mit interkontinentaler Reichweite, also die strategischen Waffen. Dafür gibt es im Moment das New-START Abkommen. START steht für «Strategic Arms Reduction Treaty».
Gemäss dem Center for Security Studies der ETH Zürich sind die Waffen wahrscheinlich nicht sofort verfügbar. Für einen Einsatz müssen diese aus ihren Lagern geholt und mit ihren Trägern gekoppelt werden, um dann in Reichweite des beabsichtigten Ziels gebracht zu werden. Sind sie bei einer Abschussrampe, wären sie innert Stunden bereit.
Ganz genau lässt sich das nicht sagen, weil die Russen solche Informationen verdecken. Schneller als die taktischen Waffen, wären die strategischen Interkontinentalraketen zum Abschuss bereit: innerhalb von Minuten.
Nukleare Drohungen funktionieren nur, wenn sie für den Feind glaubwürdig sind. Putin habe mit der Art und Weise, wie er den Krieg begonnen, durchgeführt und jetzt eskaliert habe, so viel Missachtung menschlichen Lebens gezeigt, dass man glauben könnte, dass er nicht zögern würde.
Allerdings habe sich Putin in der Vergangenheit weit vorsichtiger und berechnender gezeigt, wenn es darum geht, sein eigenes Leben aufs Spiel zu setzen, sagt der Militärforscher Alexander Bollfrass von der ETH Zürich. Den Einsatz von Atomwaffen anzuordnen, würde sein Überleben ernsthaft gefährden. Das könnte ihn davon abhalten.
Zudem: Der einzige Akteur, dessen Reaktion für das Überleben von Putins Regime von Bedeutung sein dürfte, wäre der chinesische Präsident Xi. Und dieser wäre mit jeder Art von nuklearem Einsatz besonders unzufrieden, sagt Bollfrass.
Die taktischen Atomwaffen, die Russland in der Ukraine einsetzen würde, wären etwa so verheerend wie die Abwürfe auf Hiroshima und Nagasaki am Ende des Zweiten Weltkriegs, erklärt Bollfrass. Wie verheerend eine Nuklearwaffe ist, hängt von ihrer Sprengkraft sowie vom Ziel ab, in dem sie einschlägt.
Wenn Putin verrückt genug wäre, solche Waffen wirklich einzusetzen, könnte diese zuerst auf relativ unbewohntem Gebiet niedergehen, um die ukrainische Seite in Panik zu versetzen. Mit dem Ziel diese zur Kapitulation zu zwingen.
Auf einer Webseite des Schreckens, auf Nukemap, kann virtuell nachgeprüft werden, welche Verheerungen ein Atomschlag je nach Sprengkraft und Zielort auslösen würde. Die Karte zeigt Dinge, die man nicht sehen will. Also zum Beispiel wenn eine 15-Tonnen-Hiroshima-Bombe auf Charkiw fiele.
Zu sehen sind Zerstörung, Todesopfer sowie das Gebiet des radioaktiven Fallouts, also des verseuchten Gebiets. Das würde in diesem Fall eines atomaren Schlags auf Charkiw bis über die russische Grenze reichen. Eine Webseite nicht für Zartbesaitete: https://nuclearsecrecy.com/nukemap/
Aus rein militärischer Sicht ist mit Atomwaffen nicht viel zu gewinnen. Die Zerstörungen sind riesig, zurück bleibt nur verbrannte Erde. Deshalb würden gemäss dem Militärforscher wohl symbolische Ziele in Frage kommen, deren Zerstörung die Moral der Ukrainer schwächen sollte. Als Militärforscher will er aber nicht spekulieren. Das Benennen von Zielen in dieser gefährlichen Situation wäre nicht hilfreich.
Möglich ist das von einem mobilen Raketensystem, dem russischen Iskander oder auch von Schiffen oder U-Booten vom Meer aus. Während des gesamten Krieges hat Russland viele Raketen auf die Ukraine abgefeuert, von denen viele auch einen Atomsprengkopf tragen können. Sollte sich Russland für einen taktischen Atom-Waffeneinsatz entscheiden, würde dafür wahrscheinlich mit einer Iskander-Rakete gefeuert.
Die ukrainische Luftverteidigung hat es der russischen Armee inzwischen schwieriger gemacht, mit ihren Flugzeugen und Raketen die Ziele in der Ukraine zu zerstören. Zwar hat das die russische Kriegsführung enorm erschwert. Sollte Putin den hypothetischen Befehl geben, liesse sich der Einsatz atomarer Waffen aber nicht verhindern, weil ein mobiler Einsatz immer möglich bleibt.
Die Russen haben von der Poseidon gesprochen, einem Langstreckentorpedo, das nach russischen Angaben Gebiete weiträumig nuklear verseuchen könne. Von grösseren Entwicklungen des russischen Atomwaffenprogramms wurde seither nicht mehr berichtet. Militärforscher Bollfrass vermutet, dass die Entwicklung exotischer Waffensysteme keine Priorität habe, solange der Ukrainekrieg die Ressourcen und die Aufmerksamkeit des russischen Staates absorbiere. (aargauerzeitung.ch)
Während man in der Ukraine sowie in Osteuropa keine Angst vor den russischen Drohungen hat, verhält es sich in Mittel- und Westeuropa etwas anders – erkennbar am zögerlichen Handeln einer Reihe von Politikern.
Und bei populistischen Parteien sind diese russischen Drohungen höchst willkommen, denn sie lassen sich gut politisch instrumentalisieren: Die SVP in der CH oder auch die AfD und Die Linke in DE sind längst nicht die einzigen Parteien, die damit arbeiten.