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Kreml-Sprecher warnt vor Kritik an der Kriegsführung Putins

«Ein sehr, sehr schmaler Grat» – Kreml-Sprecher warnt vor Kritik an Kriegsführung

Die Kritik an Putins Kriegführung wird immer lauter. Sowohl am staatlichen Fernsehen als auch in politischen Kreisen trauen sich die Menschen vermehrt, ihre ehrliche Meinung zum Ukraine-Krieg kundzutun. Mit Folgen für die Kritiker – aber auch für den Kreml.
14.09.2022, 12:0714.09.2022, 13:35
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Kreml unter Druck

Seit der erfolgreichen Gegenoffensive der Ukrainer ist Präsident Putin in den vergangenen Tagen vermehrt unter Kritik geraten – in seinem eigenen Land. Am Montag wurde von Abgeordneten gar eine Petition zur Absetzung Putins eingereicht. Auch wenn dies für russische Verhältnisse einer ungewöhnlichen Entwicklung entspricht, stellt sie für Putin im Moment noch kein grösseres Risiko dar, meint die russische Politikanalystin Tatjana Stanowaja. Das grössere Problem sieht sie in einer möglichen Überreaktion Putins, wie sie gegenüber Reuters erklärt:

«Die Reaktion bzw. Überreaktion könnte dem Regime mehr politischen Schaden zufügen als diese Petition. Aber ich zweifle nicht daran, dass alle, die die Petition unterzeichnet haben, unter politischen Druck geraten werden.»

Dass es für den Kreml nun schwieriger wird, auf die häufiger geäusserte Kritik zu reagieren, zeigen Aussagen des Kreml-Sprechers Dimitri Peskow.

epa09935519 Kremlin spokesman Dmitry Peskov during the Victory Day military parade on the Red Square in Moscow, Russia, 09 May 2022. Russia marks Victory Day, Nazi Germany's unconditional surrend ...
Kreml-Sprecher Dimitri Peskow warnt vor Kritik an Putin.Bild: keystone

Dieser wiegelte an einer Pressekonferenz am Dienstag ab: Kritik an der Militärführung sei ein Beispiel für Pluralismus. Insgesamt stünden die Russen hinter Präsident Putin. Diese Aussage relativiert er aber direkt wieder, indem er eine nicht so subtile Drohung ausspricht:

«Was andere Standpunkte, kritische Standpunkte anbelangt, so ist dies Pluralismus – solange sie sich im Rahmen der Gesetze bewegen. Aber es ist ein sehr, sehr schmaler Grat, man muss hier sehr vorsichtig sein.»

Petition fordert Rücktritt Putins

Dass sie sich mit ihrer Beteiligung an der Petition in gefährliches Fahrwasser begibt, ist auch Ksenia Thorstrom bewusst. Die Abgeordnete aus St. Petersburg hatte am Montag auf Twitter eine Petition veröffentlicht, die den Rücktritt Putins fordert – mittlerweile ist diese von 66 Gemeindevertretern aus St. Petersburg, Moskau und mehreren anderen Regionen unterzeichnet worden.

Thorstrom weiss um das Risiko von öffentlich geäusserter Kritik. In ihrem Aufruf zur Unterzeichnung der Petition schreibt sie deshalb nur vage, dass Putins Handlungen der «Zukunft Russlands schaden» würde. Genauer ausführen kann sie das nicht, wie sie in einem Interview mit dem Onlinemedium «DW Russland» erklärt:

«Ich kann nicht, sonst werde ich beschuldigt, die Behörden zu diskreditieren. Deshalb ist meine Erklärung so kurz ausgefallen. Aber ich denke, jeder versteht, was die konkreten Massnahmen sind.»

Gegenüber Reuters erklärt sie, dass es ihr trotz Risiko am wichtigsten sei, Solidarität mit gleichgesinnten, unabhängigen Politikerinnen und Politikern innerhalb Russlands zu zeigen.

Denn dass gewählte Vertreter des Parlaments Kritik so offen äussern, ist selten. Umso mehr angesichts des von Thorstrom erwähnten Gesetzes, welches zu Beginn dieses Jahres eingeführt wurde: Bei «Diskreditierung der Streitkräfte» oder «Verbreitung absichtlich falscher Informationen» drohen den Russinnen und Russen lange Haftstrafen.

Bezirksrat wird nach Appell wohl aufgelöst

Die Konsequenzen dieses Gesetzes bekommt auch eine Gruppe von Abgeordneten aus St. Petersburg zu spüren. Vergangene Woche forderten sie die Anklage Putins wegen Hochverrats, nun muss sie sich vor Gericht verantworten. Nebst Bussen droht ihnen die Auflösung ihres Bezirksrates.

Am 7. September hatte der Abgeordnete Dmitri Paljuga auf Twitter den Beschluss des Stadtrates veröffentlicht. Darin hiess es:

«Der Rat des Stadtbezirks Smolninskoje beschloss, sich an die Abgeordneten der Staatsduma mit dem Vorschlag zu wenden, Präsident Putin wegen Hochverrats anzuklagen, um ihn seines Amtes zu entheben. Die Entscheidung wurde von der Mehrheit der anwesenden Abgeordneten unterstützt.»

Nun wurde Paljuga vom Gericht mit 47'000 Rubeln (750 Franken) gebüsst. Indem er die Absetzung Putins gefordert habe, habe er die Behörden «diskreditiert», so lautete das Urteil. Vier weitere Mitglieder des Smolninskoje Bezirksrates werden in den nächsten zwei Tagen vor Gericht erscheinen müssen.

Dasselbe Gericht hat zudem einige vergangene Ratssitzungen für ungültig erklärt, womit sie den Weg für die Auflösung des Rates geebnet haben.

Wie Paljuga vor seiner Anhörung gegenüber Reuters sagte, zielten die Appelle seiner Gruppe nicht nur auf liberale Russen, die Putin bereits kritisch gegenüberstehen. Vielmehr wollen sie auch regierungstreue Menschen erreichen, die angesichts des mangelnden Erfolgs der russischen Armee langsam zu zweifeln beginnen. Die erfolgreiche ukrainische Gegenoffensive der vergangenen Tage hat wesentliches dazu beigetragen, sagt Paljuga zu Reuters:

«Natürlich hat sich das, was jetzt passiert, erfolgreich mit unserer Agenda gedeckt. Viele Menschen, die Putin mochten, fühlen sich jetzt verraten. Ich denke, je erfolgreicher die ukrainische Armee operiert, desto mehr solcher Menschen werden es werden.»

Dass er damit recht haben dürfte, zeigt die Drohung Peskows, der damit dem Trend der öffentlichen Kritik-Äusserung entgegenwirken möchte. (saw)

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44 Kommentare
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Liebu
14.09.2022 12:47registriert Oktober 2020
Wenn die Lawine ins rollen kommt, sind auch Peskows Drohungen nicht mehr gefährlich.
Dann wird mit dem Machtapparat abgerechnet.
Jetzt ist es erst ein Schneeball, der sich erst noch zur Lawine entwickeln muss.
Noch vor kurzem war aber schonöffentliche Kritik eigentlich undenkbar. Ich hoffe noch immer auf die Russen, die sich endlich erheben.
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Majoras Maske
14.09.2022 12:30registriert Dezember 2016
Irgendwann wird es halt auch zu offensichtlich und lächerlich. Und Putin zeigt gerade breiten Bevölkerungskreisen die Vorteile der Demokratie. Denn erstens ist man nicht auf Gefeih und Verderb auf die Launen eines einzelnen Machthabers ausgesetzt und zweitens darf man aussprechen was sowieso schon alle wissen...
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Amateurschreiber
14.09.2022 13:02registriert August 2018
Wer in Russland Kritik übt, lehnt sich sehr weit zum Fenster raus!
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