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Warum russische Neonazis freiwillig die Ukraine entnazifizieren

Warum russische Neonazis freiwillig die Ukraine «entnazifizieren»

Die Gruppe Russitsch und die Russische Reichsbewegung kämpfen in der Ukraine gegen mutmassliche Nazis, sind aber selber welche. Ein Widerspruch, den sie zum vermeintlichen Wohle grösserer Ziele ausblenden.
25.08.2022, 10:2325.08.2022, 12:46
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Es sind schaurige Aussagen, die Evgeny Rasskazov in seinen sozialen Medien verbreitet. Der russische Soldat teilte am Dienstag ein Video auf Telegram, in dem er erzählt, welch sexuelle Erregung er beim Töten von Ukrainern verspürt:

«Zu wissen, dass du seine Frau zur Witwe gemacht hast, bereitet dir Vergnügen. Zu wissen, dass du seine ganze Familie zum Weinen gebracht hast, bereitet dir Vergnügen. Zu wissen, dass er in einem Sarg nach Hause kommen wird, bereitet dir Vergnügen. Dein Schwanz wird hart. Zumindest ein kleines bisschen.»

Die Aussagen erreichen ein neues Level der Fragwürdigkeit, wenn man erfährt, dass Rasskazov ein bekennender Neonazi ist. Ein Neonazi, der sich an einem Krieg beteiligt, um die Ukraine zu «entnazifizieren». Wie kam es dazu?

FILE - A Russian soldier guards an area at the Alley of Glory exploits of the heroes - natives of the Kherson region, who took part in the liberation of the region from the Nazi invaders in Kherson, K ...
Ein russischer Soldat steht Wache in Cherson.Bild: keystone

Rasskazov, der in den sozialen Medien als «Topaz» bekannt ist, hat sich 2014 der russischen Söldnergruppe Russitsch angeschlossen. Mit dieser Gruppe ist er nun in der Ukraine unterwegs. Gegründet wurde sie im Sommer 2014 von Alexei Miltschakov und Jan Petrowski. Zuvor hatten beide an einem paramilitärischen Trainingsprogramm der Russischen Reichslegion teilgenommen, die der Russischen Reichsbewegung angehört.

Was haben diese Personen und Organisationen mit dem Krieg in der Ukraine zu tun? Und wieso gehen diese rechtsextremen Gruppen gegen ihre vermeintlichen, ideologischen Verbündeten in der Ukraine vor?

Die Russische Reichsbewegung

Die Russische Reichsbewegung (auch RIM, kurz für «Russian Imperial Movement») ist eine ultranationalistische, rechtsextreme Bewegung, die 2002 gegründet wurde. Die Bewegung sehnt sich nach dem Wiederaufbau des Zarismus und des alten russischen Reichs, welches sie als «Noworossija» wiederherstellen will. Seit 2020 steht die RIM auf der Terrorliste der USA, seit 2021 auf derjenigen von Kanada.

2008 gründete die RIM ihren paramilitärischen Arm, die Russische Reichslegion, welche zwei Trainingszentren ausserhalb St. Petersburgs unterhält. Bekannt ist dabei vor allem das Trainingszentrum Partizan, welches seit 2014 als Anziehungspunkt für die ultrarechte Szene gilt.

An der Spitze der Legion steht Denis Valliullovich Garijew, der unter anderem mit dem «Spiegel» und der «Zeit» Gespräche führte und aus seinen rechtsextremen Absichten keinen Hehl macht. Er wünsche sich wieder einen Zaren, sagte er im September 2014 zum «Spiegel» und bezeichnet Putin als eine Marionette des Westens. Auch wenn diese Meinung Putin nicht gefallen dürfte, scheint er die Organisation und ihre Legion zu dulden. Nicht zuletzt wohl wegen der grossen gemeinsamen Feindin: der Ukraine. «Die Ukraine ist gar kein Land», polterte Garijew im Gespräch mit dem «Spiegel».

Ende Februar 2014 brach in der Ostukraine Krieg aus. Ein Wendepunkt für die RIM, denn für Garijew eröffnete sich plötzlich ein neuer Spielraum. Ab Mitte Juni begann er Männer zu rekrutieren, die sich freiwillig gegen den «Völkermord am russischen Volk» in der Ukraine engagierten. Ihnen offerierte er die militärische Grundausbildung im Partizan, die üblicherweise 250 Euro kostet.

Auch Alexey Miltschakov und Jan Petrowski haben sich 2014 im Partizan ausbilden lassen.

Miltschakov und Petrowski

«Ich bin ein Nazi. Ich werde das nicht vertiefen und sagen, dass ich ein Nationalist, ein Patriot, ein Imperialist und so weiter sei. Ich sage es ohne Umschweife: Ich bin ein Nazi.»

So unverfroren äusserte sich Alexey Miltschakov vor zwei Jahren in einem Interview mit einem nationalistischen russischen YouTube-Kanal.

Miltschakov ist in Russland kein Unbekannter. Schlagzeilen macht er erstmals 2011, als er sich dabei filmt, wie er einen Hundewelpen tötet, köpft und isst. Die Aufnahmen verbreitet er im Anschluss im russischen Facebook-Pendant VKontakte, wo er auch rechtsextremistische Äusserungen veröffentlicht.

Im selben Jahr lernt er Jan Petrowski kennen. Petrowski ist gebürtiger Russe, zog aber im Teenageralter mit seiner Mutter nach Norwegen. Er verfolgt nationalistische Ideale und bezeichnet sich als russischen Patrioten – gegen die Bezeichnung des Neonazis wehrt er sich allerdings, wie er in einem Gespräch mit der russischen Exil-Zeitung «Meduza» erklärt. Dieser Vorwurf wird im Jahr 2010 laut, nachdem im Tattoo-Studio, in dem er arbeitet, illegale Waffen des russischen Neonazis Vyacheslav Datsik gefunden werden – einem russischen verurteilten Schwerverbrecher. Es wird vermutet, dass das Tattoo-Studio als Treffpunkt für bewaffnete Neonazis genutzt wird. Es liegen allerdings zu wenig Beweise vor, weshalb Petrowski nach einem Monat Untersuchungshaft wieder freigelassen wird. Im Anschluss an seine Freilassung reist er oft nach Russland, wo er Miltschakov kennenlernt.

Die beiden beginnen regelmässig zu jagen und zu trainieren – als «reine sportliche Aktivtität», wie Petrowski beteuert. Als 2014 schliesslich der Konflikt in der Ukraine ausbricht, nehmen sie am Trainingsprogramm der Russischen Reichslegion teil – die Anfänge von Russitsch.

Russitsch

Nach Absolvierung des Trainingsprogramms scharen Petrowski und Miltschakov freiwillige Kämpfer um sich und gründen so die Task Force Russitsch. Ihr Logo: eine slawische Swastika mit acht Haken. Sie ziehen 2014 als Teil des Separatistenbataillons Batman in den Ukraine-Krieg.

Neonazis der Taskforce Rusich
Neonazis der Taskforce Russitsch mit einer Valknut-Flagge, die in der heutigen Zeit mit der nationalsozialistischen Bewegung in Verbindung gebracht wird.Bild: belltower/instagram

Dort machen sie sich mit ihrer Brutalität einen Namen. Im September locken sie eine Kolonne ukrainischer Soldaten, die der freiwilligen Kampftruppe Ajdar angehören, in eine Falle und töten sie. Doch dabei bleibt es nicht: Sie verstümmeln und verbrennen die Leichen und verbreiten Fotos davon im Internet. Im Interview auf YouTube berichtet Miltschakov voller Stolz vom Ereignis und betont, wie sehr er den Geruch von verbranntem Menschenfleisch liebe:

«Die Typen verbrannten. ‹Ausgebrannt bei der Arbeit!› Sie rochen toll! Ich sag's dir ganz ehrlich, als wir auf die Strasse fuhren, begannen sich unsere Kiefer vom Geruch zu verkrampfen, so hungrig waren wir.»

Weiter erzählt er, wie er Fotos von den Leichen geschossen habe. Er sei ein Jäger und das seien seine Trophäen. Einigen Opfern hätten sie die Ohren abgeschnitten und als Geschenke mitgebracht. Dann setzt er noch einen obendrauf:

«Übrigens, das Foto mit dem abgeschnittenen Ohr ist alles, was ihr habt. Wir hatten noch viel mehr Dinge in unserer Bilder-Cloud.»

Auch in der folgenden Zeit teilen Miltschakov und Petrowski immer wieder Selfies von sich mit Leichen.

Nachdem sich 2015 die Situation im Donbass beruhigt, schliesst sich Miltschakov gemäss Meduza mutmasslich der Gruppe Wagner an. Offiziell ist die Gruppe Wagner ein privates Militärunternehmen, sie gilt jedoch als verlängerter Arm des Kremls – auch wenn Putin stets behauptet, nichts damit zu tun zu haben. In den Medien wird Russitsch mittlerweile häufig der Gruppe Wagner angerechnet.

Einsatz in der Ukraine 2022

Nach dem Einfall russischer Truppen in die Ukraine fackelte RIL-Chef Garijew nicht lange. Nur einen Tag später verkündete er laut «Spiegel» auf Telegram:

«Ganz ohne Zweifel sprechen wir uns für die Liquidierung des separatistischen Gebildes Ukraine aus.»

Ein vertraulicher Bericht des deutschen Bundesnachrichtendienstes (BND) bestätigt die Präsenz von rechtsextremen Gruppen in der Ukraine. So sollen sowohl die RIL als auch die Gruppe Russitsch gegen die ukrainische Armee im Einsatz sein. Der offensichtliche Widerspruch entgeht den Analysten des deutschen Auslandsdienstes nicht – die Zusammenarbeit mit diesen Gruppierungen führe «den vorgeblichen Kriegsgrund der sogenannten ‹Entnazifizierung› der Ukraine ad absurdum», heisst es im Bericht.

Rief Gariev seine Kämpfer Anfang März zunächst noch zu Geduld auf, verkündete die RIL wenig später, in die Kampfhandlungen in der Ukraine eintreten zu wollen. Gemäss BND seien dafür unter anderem auch wieder Kämpfer aus dem Trainingszentrum Partizan rekrutiert worden. Ob diese Entscheidung auf Aufforderung oder in Absprache mit der russischen Führung fiel, sei unklar, so der BND.

Wie er weiter schreibt, soll Russitsch spätestens Anfang April auf ukrainischem Territorium aktiv geworden sein. Ob sich Miltschakov und Petrowski ebenfalls in der Ukraine aufhalten oder aufgehalten haben, ist nicht bestätigt. Allerdings wurde im Mai auf einem Telegram-Kanal, der mit Russitsch in Verbindung steht, ein Foto der beiden geteilt, berichtet die amerikanische Newsplattform Radio Free Europe. Dieses soll sie in der Ukraine vor einem halb zerstörten Panzerfahrzeug zeigen.

Wer sich sicher in der Ukraine aufhält, ist der am Anfang erwähnte Evgeny Rasskazov. Auf seinem Telegram-Kanal teilt er Beiträge über sein alltägliches Leben als «Entnazifizierer» in der Ukraine. Dass die Entnazifizierung allerdings nicht sein eigentliches Ziel ist, wird in einem Beitrag vom 20. April deutlich. An diesem Tag widmete er Adolf Hitler einen Geburtstagsgruss und nennt ihn einen Mitstreiter, Freund und ein Vorbild – wenn auch ohne ihn beim Namen zu nennen:

«Obwohl er schon lange von uns gegangen ist, leben seine Taten und Worte in unseren Herzen weiter und inspirieren uns, den ukrainisch-bolschewistischen Abschaum zu besiegen und den Ruhm des grossen Russlands zu mehren.»

Für diese Aussagen erntete er Kritik, was ihn aber wenig kümmert. Russitsch werde seine Symbole und Ansichten nicht ändern, verkündete er als Antwort darauf.

Kritik müssen die Gruppe Russitsch und die RIL auch aus dem eigenen Lager einstecken. Denn: Nicht alle rechtsextremen Nationalisten sprechen sich für den Krieg in der Ukraine aus. Nicht zuletzt, weil die rechtsextreme Bewegung der Ukraine mit derjenigen in Russland während der 2000er-Jahre eng verknüpft war und weil sie Putins Politik generell nicht unterstützen. Der Krieg trieb also nicht nur einen Keil zwischen die Bewegungen der Ukraine und Russland, sondern auch einen in die russische Bewegung selber. Was die Soldaten der Gruppe Russitsch und der RIL letztendlich vereinigt, ist das Streben nach dem Wiederaufbau des alten russischen Reiches – koste es, was es wolle.

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152 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Holunder
25.08.2022 10:43registriert Oktober 2018
Unschön sowas zu schreiben, aber es ist wirklich zu hoffen dass diese Psychos im Krieg so schnell wie möglich Fallen. Es wäre für die Ukraine, Russland und die restliche Welt das beste.
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Guerzo
25.08.2022 10:28registriert Februar 2016
Ekelhaft diese Typen! Die Ukraine muss diesen Krieg gewinnen!
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Heinz666
25.08.2022 10:30registriert Dezember 2020
Boah das wird einem ja schlecht beim lesen. Unvorstellbar diese Monster. Und jedes unter der Erde macht die Welt ein kleines Stück besser.
2018
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