Donald Trump und Wladimir Putin haben sich kürzlich getroffen, um über einen Waffenstillstand im Ukraine-Krieg zu reden. Nach dem Gespräch schien der US-Präsident einige von Putins Standpunkten zu übernehmen. Weshalb lässt sich Trump so leicht von Putins Version des Kriegs einfangen?
Sylvia Sasse: Donald Trump ist sein Amt mit dem Versprechen angetreten, den Krieg in der Ukraine zu beenden. Aber ich glaube, er versteht Putins Krieg nicht. Immer dann, wenn er merkt, dass die Friedensverhandlungen nichts bringen, sucht er andere Schuldige – mal ist es Biden, mal Selenskyj. Dabei übernimmt er auch die Erzählung von Putin.
Putin beeinflusst mit seiner Darstellung des Krieges nicht nur Trump, sondern auch seine eigene Bevölkerung. Wie schafft er es, Russinnen und Russen dazu zu bringen, den Krieg weiterhin zu unterstützen?
Indem er ihnen die Geschichte verkehrt herum erzählt: Russland werde angegriffen, Russland sei in Gefahr und müsse zusammenhalten, um sich selbst zu verteidigen. Das macht es der Bevölkerung einfach, den Krieg gutzuheissen. Laut dieser Erzählung führt sie den Krieg zu Recht, um ihre Souveränität zu verteidigen.
Trotzdem sehen die Menschen täglich Bilder und Berichte aus dem Kriegsgebiet. Wie schafft es Putin, seine Version dennoch durchzusetzen?
Den Krieg wegzuerzählen, ist gar nicht so einfach. In Russland wird der zwar immer noch als Spezialoperation bezeichnet, die Bilder, die in den sozialen Medien dennoch kursieren, erzählen aber eine andere Geschichte. Die Lösung: Die Fotos werden systematisch uminterpretiert. Es gibt zum Beispiel eine Sendung im russischen Fernsehen, die heisst «Anti Fake». Die macht jedoch kein Fact-Checking, sondern produziert – entgegen ihrem Namen – vor allem Fakes. Den Zuschauerinnen und Zuschauern werden Bilder aus dem Kriegsgebiet serviert. Der Blick wird aber sofort auf Details gelenkt. Auf eine Person im Bild, die angeblich ein Schauspieler ist, auf das Blut, das nicht echt sein soll. Man entwickelt so einen forensischen Blick auf Kriegsbilder. Der Inhalt des Bildes wird kaum mehr angeschaut, nur noch, ob es echt ist. Dieser nüchterne, kalte Blick lässt auch kaum Mitgefühl oder Mitleid zu. Sondern nur Wut darüber, dass man angeblich getäuscht werde. Man fühlt sich betrogen. So entsteht eine Affektumkehr, ein Hass auf die Falschen. Die Menschen können mit Fug und Recht zurückhassen und müssen sich dafür nicht schämen. Und das funktioniert leider ziemlich gut.
Auch bei uns im Westen ist russische Propaganda verbreitet. Wie können wir diese erkennen?
Russische Propaganda wird gezielt für eigene Interessen genutzt. So bot Alice Schwarzers feministische Zeitschrift «Emma» Putins Chef-Propagandistin Margarita Simonyan eine Plattform, und auch Sahra Wagenknecht übernahm bereits Teile von Putins Pseudo-Friedensargumentation. Die Propaganda reicht damit in verschiedene politische Lager, besonders jedoch in rechtspopulistische Parteien und zu Verschwörungstheoretikern, die damit teils auch ein Geschäft machen – in der Schweiz etwa der Historiker Daniele Ganser. Verbreitung findet die Propaganda zudem unter Massnahmengegnern und Impfskeptikern.
Wieso springen so viele verschiedene Gruppen auf russische Propaganda an?
Es ist wie ein Angebot, von dem jeder das nehmen kann, was er braucht. Die russische Propaganda hat Massnahmengegner oder Impfskeptiker schon zu Beginn der Coronapandemie mit einem Anschlussnarrativ versorgt. Beispielsweise als behauptet wurde, dass Russland in der Ukraine von den USA finanzierte Corona-Labore entdeckt habe. Russland schneidet die Narrative jeweils auch sehr lokal zu.
Wie?
In Afrika, insbesondere in Westafrika, inszeniert sich die russische Propaganda mit einem antiimperialistischen und antikolonialen Diskurs. Stimmen ehemaliger Freiheitskämpfer werden dabei für eigene Zwecke instrumentalisiert – während Russland selbst einen imperialistischen und kolonialen Krieg führt. Ähnlich verfährt Moskau auch in Lateinamerika und insgesamt im Globalen Süden, wo es sich als Stimme der Unterdrückten und Kolonialisierten positionieren will. In Deutschland fällt vor allem ein extremes Bashing der Grünen auf, insbesondere gegen die ehemalige Aussenministerin Annalena Baerbock, die etwa bei RT DE (das deutschsprachige Programm des russischen Staatssenders) nur beim Vornamen genannt und als «dumm» diffamiert wurde. Der Grund: Die Grünen gehören in Deutschland zu den schärfsten Kritikern der russischen Politik.
Und in der Schweiz?
In der Schweiz richtet sich russische Propaganda vor allem gegen Geflüchtete aus der Ukraine und gegen die angebliche Bedrohung der Neutralität. Auf RT DE erscheinen Beiträge entweder anonym oder unter dem Namen Hans-Ueli Läppli – vermutlich ein Pseudonym und eine Anspielung auf die fiktive Figur HD-Soldat Läppli aus dem Schweizer Film von 1959. Auf der Plattform wird behauptet, die Schweiz habe ihre Neutralität bereits aufgegeben, weil sie ukrainische Flüchtlinge aufnimmt oder über Waffenlieferungen an die EU diskutiert. Die lokale Ausrichtung bedeutet zugleich, dass Journalistinnen und Journalisten im jeweiligen Land rekrutiert werden, die die Innenpolitik genau kennen. Besonders stark richtet sich die Propaganda gegen Medien selbst: Russische Sender inszenieren sich in Westeuropa als letzte Bastion der Meinungsfreiheit im Westen – während sie in Russland zensieren.
Wie können wir besser mit Propaganda umgehen?
Gäbe es ein Rezept, müssten wir uns nicht die ganze Zeit damit beschäftigen. Ich denke aber, die Medien tragen eine grosse Verantwortung, weil man die Propaganda auch für Unterhaltung hält. Es ist wichtig, Diktatoren nicht wie Stars zu behandeln. Natürlich muss man aufklären – auch ich beschäftige mich ja mit diesem Thema –, in der Berichterstattung würde ich mir aber wünschen, dass Propaganda nicht andauernd zitiert, sondern kritisch eingeordnet wird. (aargauerzeitung.ch)
Und recht hat sie: Der Starkult um Trump und all die anderen Möchtegerns, Selbstdarsteller und Machthungrigen, ist für die Menschen und ihre Meinungsbildung schlecht.