Lange hatte Saudi-Arabien bestritten, etwas mit dem Verschwinden des kritischen Journalisten Jamal Kashoggi zu tun zu haben. Aber auch die plötzliche Erklärung, Khashoggi sei im Istanbuler Konsulat des Königreichs bei einer Schlägerei zu Tode gekommen, stösst international auf Kritik: Die Erklärung sei nicht ausreichend – und sogar «unglaubwürdig».
US-Präsident Donald Trump etwa zeigte sich am Wochenende mit der saudischen Erklärung «nicht zufrieden, bis wir die Antwort finden». Er denke weiterhin über Sanktionen nach, sagte er vor Journalisten. Es sei aber auch möglich, dass der junge saudische Kronprinz Mohammed bin Salman nichts von der Tötung Khashoggis gewusst habe. Einen Waffendeal mit Saudi-Arabien zurückzunehmen «würde uns mehr schmerzen als sie», sagte Trump. Die USA gelten international als einer der wichtigsten Verbündeten Saudi-Arabiens.
Auf massiven Druck hin hatte das Königreich am Wochenende völlig überraschend die Tötung des regimekritischen Journalisten Jamal Khashoggi im Istanbuler Konsulat eingeräumt. Vorläufige Ergebnisse zeigten, dass es zwischen Khashoggi und mehreren Personen zu einer tödlichen Schlägerei gekommen sei, berichtete unter anderem die staatliche Nachrichtenagentur Spa. 18 saudische Staatsangehörige seien deshalb festgenommen worden, zudem seien zwei enge Berater des Kronprinzen Mohammed bin Salman aufgrund des «bedauerlichen und schmerzhaften Ereignisses» entlassen worden.
Mit der Stellungnahme versucht die saudische Regierung offenbar, den Kronprinzen aus dem Fokus der Kritik zu nehmen. Denn eine Verbindung zu der Tat könnte dem 33-Jährigen, der als starker Mann des Wüstenstaats gilt, massiv schaden. Der junge Thronfolger gilt als wichtige Kraft bei den wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Reformen des Landes. Er steht wegen der aggressiven Aussenpolitik des Königreiches aber auch in der Kritik.
Grossbritannien hält die Erklärung der Todesumstände für unglaubwürdig. Das Land wolle dennoch an den Beziehungen zu Saudi-Arabien festhalten, sagte Brexit-Minister Dominic Raab der BBC. Zuvor hatten die Oppositionsparteien in einem gemeinsamen Brief unter anderem Waffenlieferungen an Saudi-Arabien angeprangert.
Die deutsche Regierung wird Saudi-Arabien nach Angaben von Kanzlerin Angela Merkel vorerst keine Waffen mehr liefern. Die CDU-Chefin verurteilte die Tötung des Journalisten Jamal Khashoggi «in aller Schärfe». Darin stimme sie all denen zu, die einen Stopp der ohnehin schon eingeschränkten Rüstungsexporte in die Golf-Staaten forderten. Suadi-Arabien ist der zweitgrössten Empfänger deutscher Rüstungsexporte.
Auch die EU-Aussenbeauftragte Federica Mogherini forderte eine «angemessene Aufklärung» der Todesumstände des Journalisten, der für die US-amerikanische Washington Post schrieb. Sie sprach von einer «schockierenden Verletzung» des Wiener Übereinkommens über konsularische Beziehungen von 1963.
Kanadas Aussenministerin Chrystia Freeland nannte die Erklärung Saudi-Arabiens ebenfalls unglaubwürdig. Es mangele zudem an Konsistenz. Zahlreiche Fragen seien noch unbeantwortet, sagte auch der französische Aussenminister Jean-Yves Le Drian.
In der Türkei gehen die Ermittlungen zu den genauen Todesumständen unterdessen weiter. Wie der türkische Sender NTV berichtete, seien 25 weitere Zeugen vorgeladen worden. Bereits am Freitag hatte die türkische Polizei dem Bericht zufolge 20 Zeugen verhört.
Der Vize-Vorsitzende der türkischen Regierungspartei AKP, Numan Kurtulmus, mahnte am Sonntag erneut zur Geduld. Sobald die Ermittlungen abgeschlossen seien, würden die Ergebnisse veröffentlicht, sagte er in einem Interview mit dem Sender CNN Türk.
Veröffentlichungen türkischer Medien aus Ermittlerkreisen hatten zuletzt Saudi-Arabien und das Königshaus unter Druck gesetzt. Der im US-Exil lebende Regierungskritiker Jamal Khashoggi hatte am 2. Oktober das saudische Konsulat in Istanbul betreten, um Papiere für seine Hochzeit mit einer Türkin abzuholen – und verschwand.
Türkische Regierungs- und Geheimdienstkreise streuten die These, Khashoggi sei im Konsulat gefoltert und zerstückelt worden – Riad hatte diese Vorwürfe zunächst vehement bestritten. Medienberichten zufolge ist die türkische Regierung im Besitz von Audio- und Videoaufnahmen, die nachweisen sollen, dass Khashoggi schwer gefoltert worden sei.
Am Wochenende änderte sich dann die Erklärung Saudi-Arabiens plötzlich: Der saudischen Agentur Spa zufolge war ein Verdächtiger – dessen Identität nicht aufgeklärt wird – nach Istanbul gereist, um Khashoggi zu treffen. Es habe Anzeichen gegeben, dass dieser möglicherweise zurück nach Saudi-Arabien habe gehen wollen. Das Treffen im Konsulat sei nicht «wie erwartet» verlaufen, am Ende sei Khashoggi tot gewesen. Die Täter hätten danach versucht, die Tat zu vertuschen.
Der Fall Khashoggi hat Auswirkungen auf eine wichtige internationale Investorenkonferenz, die ab Dienstag in der saudischen Hauptstadt Riad stattfinden soll. Zahlreiche internationale Unternehmen und Spitzenpolitiker haben ihre Teilnahme an der «Future Investment Initiative» bereits abgesagt. (wst/sda/dpa)