Manche Krisen erfüllen einen Zweck. Zumindest kann das so sein, wenn man es wirtschaftlich betrachtet. Die Ökonomen sprechen von kreativer oder schöpferischer Zerstörung. Schlecht aufgestellte Unternehmen gehen unter, aber neue Unternehmen mit besseren Ideen setzen sich durch.
Doch von solch schöpferischer Zerstörung habe Corona nur sehr wenig gebracht, stellt Michael Siegenthaler fest. Der Arbeitsmarktexperte an der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich hat überwiegend das Gegenteil gesehen, nämlich willkürliche Zerstörung:
Corona diktierte das Schicksal vieler Betriebe, nach dem Zufallsprinzip. Beispiele dafür fand Siegenthaler in den Statistiken, welche die Schweizer Warenexporte nachzeichnen.
Das vielleicht typischste Beispiel von einem Gewinner waren die Exporteure von Handschuhen. In der Pandemie wollte man Oberflächen möglichst nicht mit blossen Händen berühren. Und so schossen die Exporte von Handschuhen in der Krise empor. Im Vergleich zur gleichen Zeitspanne vor Corona wurden über 50 Prozent mehr verkauft.
Solche mehr oder weniger zufälligen Gewinner gab es einige. So gingen auch die Exporte von «Zweiradfahrzeugen» in die Höhe, also hauptsächlich Velos. Sie erlebten einen Boom, vor allem in den Wochen des Lockdowns wurden sie als Zeitvertreib entdeckt. Der Export nahm gleich um 49 Prozent zu. Und Haushaltsmaschinen waren gefragt, weil die Menschen mehr Zeit daheim verbringen mussten. Es wurde ein Viertel mehr ins Ausland verkauft.
Pech hatten dagegen Exporteure von Krawatten. Ihre Verkäufe im Ausland halbierten sich in der Pandemie. Im Homeoffice waren Krawatten zumeist überflüssig: Etwas um den Hals band man sich höchstens mal in Videokonferenzen. Auch Pech hatten Zulieferer für die Luftfahrt. Viele Flieger blieben auf dem Boden oder sie durften weniger häufig abheben. Ersatzteile brachen um 44 Prozent ein. Und Hersteller von Papeteriewaren mussten sich bei den Verlierern einreihen. Wohl, weil sie im Homeoffice weniger benötigt wurden als im Büro.
Alles in allem gab es jedoch nicht allzu viel Zerstörung von Betrieben. Die Zahl der Firmenkonkurse ging im Gegenteil gar zurück inmitten der Pandemie. Ende 2021 ging sie dann hoch, blieb jedoch auf dem Niveau, wie man es vor der Coronakrise kannte. Damit blieb sie bis heute aus, die oftmals befürchtete «Welle von Konkursen». Vielmehr gelang jene «Überlebensstrategie», zu der viele Ökonomen in einem Positionspapier geraten hatten: die Wirtschaft «einzufrieren». So wurde ein kräftiger Neustart möglich. Zum Beispiel sank die Arbeitslosenquote so schnell, wie seit über 20 Jahren nicht mehr.
Auf dem Arbeitsmarkt gab es das gleiche Spiel von Glück und Pech. Krisengewinner schufen Jobs, Verlierer bauten ab. Am härtesten traf dies Mitarbeitende in der Gastronomie, wie eine weitere Analyse von Ökonom Siegenthaler zeigt. Es gab deutlich weniger Jobs im Frühherbst 2020 als zwei Jahre zuvor. Umgerechnet auf Vollzeitstellen, waren es gleich 10.6 Prozent weniger. Danach kommt die Luftfahrt, die aber deutlich weniger Menschen beschäftigt. Dort verschwanden 10.1 Prozent aller Arbeitsplätze.
Zu den grossen Krisengewinnern gehörte das «Grundstücks- und Wohnungswesen». In der Branche mieten und vermieten die Mitarbeitenden, sie kaufen oder verkaufen. Anscheinend haben sie profitiert vom Boom am Immobilienmarkt, der in der Coronakrise nochmals neuen Schub bekam. So erreichten auch die Preise neue Höchststände. Es entstanden 10.9 Prozent mehr Jobs. In Forschung und Entwicklung gab es ebenfalls grosses Jobwachstum, plus 10.6 Prozent.
Die grössten Verlierer finden sich in der Gastronomie. Darauf deutet auch eine weitere Auswertung hin. Und zwar hat die KOF geschaut, wo die Jobverluste vor allem zu verzeichnen waren: eher in gut bezahlten Berufen oder in eher gering verdienenden Berufen? Das Bild war recht klar. Es gab viele Stellenverluste bei weniger gut bezahlten Berufen, wie: Verkäuferinnen und Verkäufern, oder eben Gastroberufen. Siegenthaler erklärt sich dies so: «Es haben in der Pandemie vor allem Niedriglohnbranchen wie die Gastronomie gelitten.»
Dagegen wurden bei gut bezahlten Berufen in etwa gleich viele Stellen geschaffen wie gestrichen. So zum Beispiel bei «intellektuellen und wissenschaftlichen Berufen». Und gar viele neue Stellen kamen im Jahr 2020 bei den Führungskräften dazu. Siegenthaler sagt darum:
Wenn sich die Wirtschaftslage ändert, gibt das noch ein böses Erwachen.