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Als Netanyahu wegen einer Mossad-Panne in Köniz unter Druck geriet

Israeli Prime Minister Benjamin Netanyahu, right, is seen during a meeting Monday May 18 1998 in Jerusalem with Swiss President Flavio Cotti. The Swiss president is winding his mideast tour in which h ...
Annäherung nach schwerer Krise: Israels Premierminister Benjamin Netanjahu (rechts) und der damalige Bundespräsident Flavio Cotti (CVP) am 18. Mai 1998 in Jerusalem.Bild: AP

Als Netanjahu wegen einer Mossad-Panne in Köniz BE unter Druck geriet

Das Versagen der israelischen Geheimdienste beim Terrorangriff der Hamas belastet Premierminister Benjamin Netanjahu schwer. Bereits vor 25 Jahren war dieser wegen einer Geheimdienst-Panne in Köniz BE unter Beschuss geraten. Rückblick auf einen spektakulären Vorfall, der zu schweren Verstimmungen zwischen der Schweiz und Israel führte.
26.12.2023, 15:1526.12.2023, 15:19
Christoph Bernet / ch media
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Mit jedem Tag, an dem die vermutlich mehr als hundert noch lebenden israelischen Geiseln in der Gewalt der Hamas im Gaza-Streifen bleiben, gerät Israels Premierminister Benjamin Netanjahu stärker unter Druck.

Der Hamas-Terrorangriff auf Israel vom 7. Oktober hat rund 1200 Menschen das Leben gekostet. Er hat nicht nur Netanjahus Image ramponiert. Dass die Hamas unbemerkt eine Operation dieser Grössenordnung vorbereiten konnte, stellt auch das grösste Versagen der israelischen Geheimdienste seit dem Yom-Kippur-Krieg von 1973 dar. Damals wurde Israel von einem Angriff syrischer und ägyptischer Truppen überrascht.

Israels Langzeitpremier Netanjahu sah sich bereits in seiner ersten, kurzlebigen Amtszeit in den 1990er-Jahren mit einem Geheimdienstversagen konfrontiert. Dieses ging allerdings deutlich glimpflicher aus als jenes im Vorfeld des Hamas-Terrorangriffs vom Oktober 2023.

Vor 25 Jahren, im Februar 1998, brachte eine missglückte Operation von Israels legendärem Auslandsgeheimdienst Mossad Netanjahu in die Bredouille. Der damals erst 48-jährige Politiker musste sich in der Folge offiziell bei der Schweiz entschuldigen.

Das Abhörgerät in der Diplomatentasche

Schauplatz der Panne: ein unscheinbares Mehrfamilienhaus an der Wabersackerstrasse 27 in Köniz-Liebefeld bei Bern. Hier soll ein schweizerisch-libanesischer Doppelbürger wohnen, den der Mossad im Visier hat.

In den frühen Morgenstunden des 19. Februars 1998 alarmiert eine Anwohnerin per Telefon die Berner Kantonspolizei. Sie ist vom Motorengeräusch eines auf der Strasse stehenden Autos aufgewacht. Die Frau beobachtet, wie zwei Männer und eine Frau mit Taschen beladen den Keller des Wohnhauses betreten.

Die herbeigerufenen Streifenpolizisten treffen vor Ort eine «verwirrliche Situation» an, wie die «Sonntags-Zeitung» berichtet. Insgesamt befinden sich fünf Personen am Tatort.

Ein Mann und eine Frau sind als Aufpasser vor dem Haus postiert. Der Mann täuscht beim Eintreffen der Polizei sofort einen Herzinfarkt vor. Die herbeigerufene Ambulanz bringt ihn nach Überprüfung der Identität und Ausweisentzug ins Spital.

Auch die drei im Keller angetroffenen Personen spielen den Beamten etwas vor. Zwei von ihnen ziehen sich dafür aus. Der «Blick» berichtet von einem «halbnackten Liebespaar in höchst verfänglicher Stellung». Was die Polizisten zu dem Zeitpunkt nicht ahnen: Sie haben es mit fünf Mossad-Agenten zu tun.

Tatort: Mehrfamilienhaus an der Wabersackerstrasse 27 in Köniz-Liebefeld.
Tatort: Mehrfamilienhaus an der Wabersackerstrasse 27 in Köniz-Liebefeld.Bild: Alessandro della Valle/Keystone

Bereits im Januar haben israelische Geheimdienstmitarbeitende einen Abdruck des Türschlosses der Liegenschaft genommen – und daraus einen Schlüssel gefertigt. Die Aktion vom 18. Februar wird minutiös vorbereitet. Die Mossad-Leute installieren in einem Kellerabteil eine vorfabrizierte Holzlatte. Darin versteckt ist eine Abhöreinrichtung, die an den Telefonverteilerkasten des Hauses angeschlossen wird.

Der Autohändler der Hisbollah

Abgehört werden sollte der schweizerisch-libanesische Doppelbürger Abdallah E. Der Mossad verdächtigt ihn, als Autohändler getarnt durch Europa zu reisen und Geld für die Schiitenmiliz Hisbollah zu sammeln. Die Hisbollah kämpfte damals im Südlibanon gegen die israelischen Besatzungstruppen – und verübte weltweit Attentate auf jüdische Ziele.

Auch die Bundesbehörden haben Abdallah E. zuvor wegen Hisbollah-Kontakten observiert. Strafrechtlich verfolgt wird er in der Schweiz nie. Später kommt eine weitere Hamas-Peinlichkeit ans Licht: Abdallah E. lebt schon länger in der Westschweiz. An der Wabersackerstrasse 27 wohnt nur noch seine Ex-Frau.

Der diensthabende Fahndungsoffizier der Kantonspolizei Bern befragt die fünf dort angetroffenen Personen mehrere Stunden lang. Doch um 7 Uhr morgens lässt er bis auf einen der Männer alle frei.

«Es lagen keine belastenden Momente vor, die einen Antrag auf Polizeihaft gerechtfertigt hätten», rechtfertigt sich ein Sprecher der Kapo Bern eine Woche nach dem Vorfall. Doch er räumt ein: «Klar sieht die Freilassung nach heutigem Kenntnisstand nicht gut aus.»

Der festgehaltene Mann – gemäss seinem israelischen Reisepass heisst er Isaac Bental – soll sich geweigert haben, eine schwarze, mit einem Zahlenschloss gesicherte Reisetasche zu öffnen. Es handle sich dabei um diplomatisches Gepäck, so Bental. Die Tasche war laut «Sonntags-Zeitung» mit einem diplomatischen Siegel Israels gesichert.

Die Fahnder der Kantonspolizei Bern informieren die Bundespolizei. Als diese eintrifft, sind die vier freigelassenen Israeli längst abgetaucht und wohl ausser Landes.

Den Bundespolizisten wird schnell klar: Beim Verhafteten handelt es sich um einen Mossad-Agenten. Das Material, das bei ihm gefunden wird, ist Abhörtechnologie der allerneusten Generation.

Der Entschuldigungsbrief von Netanjahu

Die missglückte Geheimdienstaktion auf Schweizer Boden bleibt eine Woche lang im Dunkeln. Im Hintergrund jedoch laufen die Drähte heiss. Drei Tage nach dem Vorfall zitiert das Aussendepartement EDA den israelischen Botschafter ein und protestiert formell gegen die Verletzung der schweizerischen Souveränität.

Erst am darauffolgenden Donnerstag, wir schreiben den 26. Februar 1998, erfährt die Schweizer Öffentlichkeit von der Mossad-Panne in Köniz-Liebefeld. Und zwar, weil israelische Medien davon Wind bekommen haben.

Sie brechen nach zwei Tagen Stillhalten eine Zensuranordnung der Regierung und berichten über den Vorfall. Regierungsnahe Kreise kritisieren die Presse dafür: Mit ihrer Berichterstattung habe sie eine einvernehmliche und stillschweigende Lösung mit der Schweiz verhindert. Die Schweizer Bundesanwaltschaft wird später abstreiten, dass eine solche Lösung angestrebt worden sei.

Aufgrund der blamablen Operation in Köniz war Mossad-Direktor Danny Yatom am Dienstag, dem 24. Februar 1998, zurückgetreten. Mit Yatom unzufriedene Agenten hatten die Episode auf eigene Faust dem israelischen Parlament zugespielt. Nach Bekanntwerden des Debakels in Köniz ist Yatoms Rücktritt unausweichlich.

Denn der Mossad und sein Direktor sind bereits schwer unter Druck wegen einer weiteren Fehlleistung: Ende September 1997 wollte der Mossad in Jordaniens Hauptstadt Amman den Hamas-Führer Khaled Meschaal vergiften. Der Anschlag misslingt, zwei Mossad-Agenten werden dabei verhaftet.

Der Vorfall belastet die Beziehungen zu Jordanien schwer – einem von nur zwei arabischen Ländern, die Israel damals anerkennen. Netanjahu ist gezwungen, zur Besänftigung Jordaniens Dutzende prominente Palästinenser aus dem Gefängnis freizulassen, darunter auch Hamas-Gründer Scheich Ahmed Yassin.

Bundesanwältin Carla Del Ponte (links) informiert am 15. April 1995 über die Ermittlungen gegen den verhafteten Mossad-Agenten.
Bundesanwältin Carla Del Ponte (links) informiert am 15. April 1995 über die Ermittlungen gegen den verhafteten Mossad-Agenten.Bild: Alessandro della Valle/Keystone

Als die Nachrichten über die Mossad-Panne in Köniz die Schweiz erreichen, ergreifen die Behörden die Flucht nach vorne. Am Donnerstag, 26. Februar 1998, treten Bundesanwältin Carla del Ponte und Jakob Kellenberger, Staatssekretär im EDA, in Bern vor die Medien.

Del Ponte informiert, dass gegen den in U-Haft sitzenden Agenten ein Verfahren wegen Verdacht auf Spionage und illegalen Aufzeichnens von Gesprächen eröffnet worden sei. Gegen die vier Agenten, welche die Kapo Bern hat laufen lassen, sei ein Haftbefehl ausgestellt worden.

Staatssekretär Kellenberger spricht von einem «inakzeptablen und befremdlichen Vorfall». Ein für Mai geplanter Israel-Besuch von Aussenminister Flavio Cotti (CVP) sei dadurch infrage gestellt. Die Schweiz erwarte von Israel im Minimum eine Entschuldigung. Am Folgetag trifft bei Cotti ein im Namen von Premierminister Netanjahu verfasster Entschuldigungsbrief ein. Das EDA spricht von einem «positiven Schritt».

Die Reise nach Jerusalem

Der Brief ermöglicht eine einvernehmliche Lösung der Affäre. Ende April wird der verhaftete Mossad-Agent nach Abschluss der Ermittlungen freigelassen. Israel hat eine Kaution von drei Millionen Franken hinterlegt und zugesichert, dass er für den Gerichtsprozess in die Schweiz zurückkehren wird.

Mitte Mai reist Aussenminister Cotti in den Nahen Osten. In Jerusalem trifft er Premier Netanjahu. Die Mossad-Affäre sei nun Sache der Justiz, sagte Cotti, das Verhältnis der beiden Staaten «freundschaftlich».

Im Juli 2000 erscheint der Agent, der angeblich Isaac Bental heisst, tatsächlich vor dem Bundesgericht. Dieses verurteilt ihn wegen verbotener Handlung für einen fremden Staat, politischen Nachrichtendienstes und der Fälschung von Ausweisen zu einer bedingten Gefängnisstrafe von zwölf Monaten. Die dem Agenten auferlegten Verfahrenskosten von 100'000 Franken werden von den drei Millionen Franken abgezogen, die Israel als Kaution hinterlegt hat. Der Rest wird samt Zinsen zurückbezahlt.

Das Geheimdienstversagen in Netanjahus erster Amtszeit kommt Israel also nicht besonders teuer zu stehen. Anders als jenes in seiner unterdessen sechsten Amtszeit, im Vorfeld des Terrorangriffs der Hamas vom 7. Oktober 2023.

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25 Kommentare
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Demetria
26.12.2023 19:34registriert März 2020
Aha, das Einzige, was noch wachsamer ist als der Mossad ist eine Schweizer Nachbarin. Nein, ich bin nicht überrascht. Ganz und gar nicht. :-))
In der Schweiz wird eben jede noch so kleinste Abweichung von der Norm gnadenlos registriert. Und im Keller sowieso, denn dort befindet sich das Heiligtum aller Schweizer Mietskasernen: die Waschküche. Nicht mal der Mossad ist gut genug dieses sakrale Sanktum zu infiltrieren, das hätten wir nun amtlich. LOL
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Mme P
26.12.2023 17:34registriert Juni 2020
Ist es eine Verschwörungstheorie oder möglich, dass Israel bei den Vorbereitungen der Hamas weggeschaut hat, um einen Militäreinsatz zu rechtfertigen?
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Schlaf
26.12.2023 15:47registriert Oktober 2019
Nunja, wenn die israelischen Männer auf die Frauen in dem Militär gehört hätten und deren Aussagen ernst genommen hätten, dann hätte wohl viel Leid verhindert werden können.

Ist schon krass, wenn wegen Wichtigtuerei so etwas passieren kann.
Es gab glaube ich auch hier einen Bericht dazu.
Finde ihn aber auf die Schnelle nicht..
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