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GPDel rügt bundesrätliches Management des Ukraine-Kriegs scharf

GPDel rügt bundesrätliches Management des Ukraine-Kriegs – die Vorwürfe haben's in sich

Die Geschäftsprüfungsdelegation (GPDel) des eidgenössischen Parlaments rügt das Management des Bundesrats im Ukraine-Krieg mit ausserordentlich scharfen Worten. Schlecht weg kommt unter anderem der Sicherheitsausschuss der Landesregierung. Es ist nicht die erste Rüge der GPDel beim Krisenmanagement.
22.04.2022, 15:5322.04.2022, 17:04
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Funktion des Sicherheitsauschusses

Dem bundesrätlichen Sicherheitsausschuss gehören neben dem bereits seit längerem kritisierten Aussenminister Ignazio Cassis Verteidigungsministerin Viola Amherd und Justizministerin Karin Keller-Sutter an. Das Magistratentrio muss die Sicherheitslage beobachten und den Gesamtbundesrat im Notfall alarmieren.

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Viola Amherd, Ignazio Cassis und Karin Keller-Sutter.Bild: keystone

Dabei stützt es sich auf die Kerngruppe Sicherheit. Diese war bis Anfang April aus EDA-Staatssekretärin Livia Leu, Nicoletta Della Valle, Chefin des Bundesamts für Polizei, und Jürg Bühler, dem Vizechef des Nachrichtendienstes des Bundes zusammengesetzt. Seit dem 1. April gehört ihm von Amtes wegen der neue Nachrichtendienstchef Christian Dussey an.

Zuerst hatte die Westschweizer Zeitung «Le Temps» über den Brief geschrieben. Den Tamedia-Redaktionen lag das Schreiben der Delegation selbst vor und sie berichteten am Donnerstag darüber. Die Nachrichtenagentur Keystone-SDA gelangte am Freitag in den Besitz des Briefs.

Bundesrat unvorbereitet auf die Krise

Bei je zwei Treffen hätten die beiden Sicherheitsgremien vor dem russischen Angriff auf die Ukraine am 24. Februar die Lage analysiert, aber ohne die Landesregierung zu informieren. Der Sicherheitsausschuss und die Kerngruppe Sicherheit seien verantwortlich, dass der Bundesrat «derart unvorbereitet auf die Krise» war, konstatiert die Delegation zur Überwachung der Regierungstätigkeit in ihrem Brief vom 4. April.

Um seine Arbeit als Vorbereitungsorgan machen zu können, stütze sich der Sicherheitsausschuss auf die Fähigkeit der Kerngruppe Sicherheit, relevante Dossiers zu erkennen. Im Fall der Ukraine seien diese Ziele «nicht erfüllt» worden. So sei das für Sanktionen zuständige Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) ebenso wenig einbezogen worden wie das Staatssekretariat für Migration (SEM) wegen der Flüchtlinge.

Rügen ignoriert

Die Fähigkeit, die direkten Folgen des Kriegsausbruchs und insbesondere der nie dagewesenen Wirtschaftssanktionen und der Flüchtlingsströme einzuschätzen, habe gefehlt. Diese Mängel habe die GPDel bereits beim Kosovo-Krieg 1999, nach der Cyberattacke auf die Ruag 2016, bei der Crypto-Affäre und letztmals bei der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan gerügt.

Schleierhaft ist der GPDel, weshalb in der Kerngruppe Sicherheit das Verteidigungsdepartement nur durch den Nachrichtendienstchef vertreten ist.

Die Abwesenheit von Armeechef Thomas Süssli oder anderer hoher Offiziere bei den Sitzungen der Kerngruppe seit Kriegsausbruch kommentiert die GPDel mit den Worten:

«Allem Anschein nach herrscht im Verteidigungsdepartement und im Bundesrat die Meinung vor, dass die Frage des Kriegs in der Ukraine die Armee nicht betrifft.»

Immerhin sei der Ukraine-Krieg der grösste militärische Konflikt in Europa seit dem Zweiten Weltkrieg.

Thomas Suessli, Chef der Armee, spricht an einer Medienkonferenz ueber eine Staerkung der militaerischen Cyber-Abwehr und das neue Kommando Cyber fuer die elektronische Kriegsfuehrung, am Mittwoch, 1. ...
Armeechef Thomas Süssli.Bild: keystone

Zudem missachtete die Kerngruppe mit der Abwesenheit der Armeespitze eine bereits nach der Crypto-Affäre ausgesprochene Empfehlung der GPDel. Auch im Sicherheitsbericht 2000 gezogene Lehren aus der Kosovo-Krise seien nicht in die neuen Direktiven zur Steuerung der Sicherheitspolitik 2011 eingeflossen, bemängelt die Delegation weiter.

Nachrichtendienst soll raus

Der Ukraine-Krieg bestätigt für die GPDel, dass der Nachrichtendienst einem Stab wie der Kerngruppe Sicherheit nicht angehören muss. Dessen Aufgabe sei die Zulieferung von Informationen. Überhaupt sei die Gruppe zur «Nabelschau» für die Polizeiorgane verkommen.

Der Bundesrat stellte zwar am 11. März eine interdepartementale Koordinationsgruppe für den Ukraine-Komplex auf die Beine. Deren Zusammensetzung aus den Generalsekretärinnen und -sekretären hält die Delegation aber für verfehlt. Stattdessen sollten die für die Sicherheitspolitik befähigten Bundesstellen diese Aufgabe übernehmen.

Angesichts der Risiken in Europa erwartet die GPDel, dass der Bundesrat sich möglichst schnell mit den Anforderungen entsprechenden Organen zur Führung der Sicherheitspolitik versieht. Sie verlangt weiter, dass die Landesregierung die Mängel bis Ende Jahr behebt.

Brief eigentlich nicht für Öffentlichkeit gedacht

GPDel-Präsidentin und Ständerätin Maya Graf (Grüne/BL) schrieb auf Anfrage von Keystone-SDA, die Delegation diskutiere nicht öffentlich über den Inhalt ihrer vertraulichen Schreiben an den Bundesrat. Die GPDel bedauere, dass der Brief den Medien weitergegeben wurde.

Seitens des Bundesrats gibt es keine Stellungnahme, wie Bundesratssprecher und Vizekanzler André Simonazzi auf Anfrage sagte. Am 5. Mai ist der Sicherheitsausschuss des Bundesrats vor die Delegation geladen.

Die GPDel setzt sich aus je drei National- und Ständeräten der grössten fünf Parteien zusammen. Neben Graf gehören ihr aus dem Ständerat Philippe Bauer (FDP/NE) und Werner Salzmann (SVP/BE) an. Der Nationalrat ist mit Yvonne Feri (SP/AG), Stefan Müller-Altermatt und Alfred Heer (SVP/ZH) vertreten. (saw/sda)

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44 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Majoras Maske
22.04.2022 16:28registriert Dezember 2016
Wie immer, sie warten und beobachten und analysieren die Lage und dann sind sie überrascht.
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Päule Freundt
22.04.2022 16:40registriert März 2022
Sapperlot, das ist aber ganz dicke Post, welche die GPDel an den Bundesrat sandte. Dass der Brief in die Medien kam, ist ebenfalls schlecht. In der Bevölkerung scheint sich mehr und mehr die Meinung zu bilden, dass unsere Landesregierung nicht krisenfest ist. Und um dies festzustellen, braucht es - leider - ganz einfach zuerst mal eine Krise. Leider. Trotzdem dürfen wir Schweizer froh sein, dass wir eine funktionierende Gewaltentrennung haben und unsere GPDel überhaupt die Möglichkeit hat, unserem Bundesrat auf die Finger zu schauen.
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Hösch
22.04.2022 16:33registriert März 2022
Der Brief war eigentlich nicht für die Öffentlichkeit gedacht.
Was bei einer schonungslosen Kritik welche Lehren alle schon seit 1999 nicht gezogen wurden auch nicht wirklich erstaunt.
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