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Interview

Ex-Geheimdienstchef: «Russischer Nachrichtendienst arbeitet miserabel»

FILE - Russian President Vladimir Putin chairs a meeting with members of the government via teleconference in Moscow, on March 10, 2022. (Mikhail Klimentyev, Sputnik, Kremlin Pool Photo via AP, File)
Der russische Präsident Wladimir Putin soll gemäss US-Geheimdienstinformationen Entscheidungen meist alleine treffen. Bild: keystone
Interview

Ex-Geheimdienstchef: «Der russische Nachrichtendienst hat miserabel gearbeitet»

Die globalen Nachrichtendienste laufen während des Kriegs auf Hochtouren. Eine besonders wichtige Rolle kommt dem ukrainischen Geheimdienst zu. Der arbeite «absolut professionell», sagt Ex-Geheimdienstchef Peter Regli.
16.03.2022, 06:0817.03.2022, 10:52
Helene Obrist
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Herr Regli, wie wichtig sind Geheimdienste während des Krieges?
Peter Regli: Für einen demokratischen Rechtsstaat ist der Nachrichtendienst die erste Linie der Verteidigung.

Wie sieht das im konkreten Fall in der Ukraine aus?
Der ukrainische Nachrichtendienst muss dafür sorgen, dass die politische und militärische Führung permanent weiss, was Russland macht.

Macht der ukrainische Geheimdienst einen guten Job?
Wenn ich zurückfragen darf, was denken denn Sie?

Es scheint, als würden die ukrainischen Streitkräfte stets ziemlich genau wissen, wo sich das russische Militär gerade befindet. Oder eben stecken bleibt.
Genau. Der ukrainische Nachrichtendienst arbeitet absolut professionell. Man hat den Nutzen daraus gezogen, dass man schon seit acht Jahren mit Russland im Krieg ist. Nach der Annexion der Krim 2014 hat sich der ukrainische Geheimdienst die russische Kriegsführung einverleibt.

Peter Regli, ehemaliger Chef des Geheimdienstes, spricht an einer Veranstaltung in Zuerich am Mittwoch, 3. Oktober 2012. (KEYSTONE/Walter Bieri)
Peter Regli (78) war von 1991 bis 1999 Chef des schweizerischen Nachrichtendienstes. Bild: KEYSTONE

Die gute Arbeit des ukrainischen Geheimdiensts ist also ein Grund, warum sich die ukrainischen Streitkräfte trotz massiver Unterlegenheit weiterhin gegen die russischen Truppen behaupten können.
Richtig. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj und sein Generalstab sind bestens informiert. Sie wissen, woher die russischen Streitkräfte kommen und in welche Richtung sie sich bewegen. Das gibt den Ukrainer die Möglichkeit, umgehend darauf zu reagieren. Darum sind sie auch relativ erfolgreich gegen russische Marschflugkörper und Kampfflugzeuge.

FILE - In this image taken from footage provided by the Ukrainian Defense Ministry Press Service, a Ukrainian soldiers use a launcher with US Javelin missiles during military exercises in Donetsk regi ...
Ukrainische Soldaten benutzen einen Raketenwerfer mit US-Javelin-Rakete während einer militärischen Übung im Januar 2022 in der Region Donezk. Bild: keystone

Wieso nur relativ?
Alle russischen Luftangriffe kann die ukrainische Armee schlicht nicht abwenden. Russland hat bislang mehr als 700 Marschflugkörper abgefeuert. Es ist die grosse Menge an Angriffen, die für die Ukraine schwierig zu bewältigen ist.

Ist es nur der ukrainische Geheimdienst, der Selenskyj informiert? Oder helfen die westlichen Geheimdienste ebenfalls mit?
Selbstverständlich wird Selenskyj und sein Generalstab regelmässig und sehr effizient von westlichen Nachrichtendiensten über die Lage informiert. Sehr viele Informationen kommen von der CIA (Central Intelligence Agency), der DIA (Defense Intelligence Agency) und der NSA (National Security Agency). Das ist aber auch nicht erst seit dem Einmarsch der russischen Truppen der Fall. In den letzten acht Jahren wurde die ukrainische Armee mit grosser Unterstützung aus dem Westen auf Vordermann gebracht. Die ukrainischen Streitkräfte sind professionell organisiert und verwenden zu einem grossen Teil Arbeitsmethoden der Nato. Das Gleiche gilt für den ukrainischen Geheimdienst.

Wie kommen die Geheimdienste an Informationen?
Dazu gibt es zahlreiche Möglichkeiten. Satelliten und Aufklärungsflugzeuge liefern Informationen über Boden- und Luftlage. Sie überwachen die Kommunikation und die Bewegung der russischen Truppen und liefern die Informationen beinahe in Echtzeit an die ukrainischen Streitkräfte. Das höchste Gut der Nachrichtenbeschaffung sind aber nicht Informationen.

Sondern?
Absichten. Wüsste jemand in der Nähe Putins wirklich, was dessen Absicht in diesem Krieg ist, wäre das einfacher für die Kriegsführung und Verhandlungsbasis der Ukraine.

Das heisst, Sie gehen nicht davon aus, dass es Spione im Kreml gibt?
Das glaube ich kaum. Putin ist unglaublich isoliert. Von ausländischen Nachrichtendiensten ist auch immer wieder zu vernehmen, dass der russische Präsident vollständig alleine entscheidet.

epa09825607 A handout satellite image made available by Maxar Technologies shows a colored infrared view of fires burning near Fontanna street, Eastern Mariupol, Ukraine, 14 March 2022. EPA/MAXAR TECH ...
Ein von Maxar-Technologies zur Verfügung gestelltes Satellitenbild, das Brände in der Nähe der Fontanna-Strasse im Osten der ukrainischen Stadt Mariupol zeigt. Bild: keystone

Wie sieht es denn mit dem russischen Inlandsgeheimdienst FSB aus. Dieser wird ja ebenfalls Wladimir Putin auf dem Laufenden halten?
Der russische Nachrichtendienst hat miserabel gearbeitet. Putin wurde schlecht orientiert. Auch die Nachrichtendienste scheinen Angst zu haben, ihm die Wahrheit zu überbringen. Vielleicht auch, weil man weiss, dass er nicht gerne schlechte Nachrichten hört. Das ist aber Spekulation.

Wie sieht die Arbeit des russischen Geheimdienstes vor Ort in der Ukraine aus?
Schon vor dem 24. Februar sollen russische Sonderkommandos in die Ukraine eingeschleust worden sein, um Selenskyj zu eliminieren. Diese Kommandos seien aber gemäss dem ukrainischen Geheimdienst rechtzeitig neutralisiert worden. Zudem gehe ich davon aus, dass Russland auch viele Leute zu Fuss in zivil in die Ukraine schickt, um Angriffsziele auszukundschaften.

Sind auch Agenten aus westlichen Nachrichtendiensten in der Ukraine tätig?
Das glaube ich nicht. Und wenn, wären sie sehr diskret. Das ukrainische Militär ist aber bestens ausgebildet und geschult, um den Job selbst zu machen.

Die Lockheed SRF-71 diente der US Air Force als Aufklärungsflugzeug. Der strategische Höhenaufklärer lieferte grundlegende und übergreifen Informationen über den Gegner.
Die Lockheed SRF-71 diente der US Air Force als Aufklärungsflugzeug. Der strategische Höhenaufklärer lieferte grundlegende und übergreifen Informationen über den Gegner.bild: wikimedia

Welche Rolle spielt der Nachrichtendienst der Schweiz im Ukraine-Krieg?
Die Aufgabe des Nachrichtendienstes des Bundes ist es in erster Linie, Verteidigungschefin Viola Amherd über alle Vorkommnisse zu informieren. Das wird sicherlich bereits seit dem Aufmarsch russischer Truppen im November der Fall sein. Man legt dar, was gerade passiert, welche Mittel die Schweiz hat und mit welchen Szenarien man in den nächsten Tagen rechnet. Danach ist es an den Bundesräten zu entscheiden, welche Strategie man aus den erhaltenen Informationen definiert.

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101 Kommentare
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Haarspalter
16.03.2022 07:27registriert Oktober 2020
„Putin soll Entscheidungen meist alleine treffen.“

Da er weder ein Wirtschaftsstudium abgeschlossen hat, noch General mit militärischer Ausbildung ist, sind seine Entscheidungen in der aktuellen Krise wohl mehrheitlich falsch.
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International anerkannter Experte für ALLES
16.03.2022 08:33registriert Juli 2021
Ich liebe die Lockheed SR-71. Elegant, schnell, sexy.

Aber was hat die mit dem Bericht zu tun? Das Flugzeug wird seit den späten 1990ern nicht mehr eingesetzt…
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Tokyo
16.03.2022 08:26registriert Juni 2021
man liefert halt wohl wie unter Stalin nicht die echten Informationen, sondern das was Putin hören möchte oder die Leute denken, was Putin hören möchte
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