Rüfenacht im Kanton Bern: Rund 3500 Menschen leben im überschaubaren Dorf. Auch eine kleine Gruppe Eritreer. Auf Social Media entdecken sie eine Einladung für ein eritreisches Kulturfest. Sie sind etwas verwundert darüber, dass ausgerechnet in Rüfenacht der erste September als Feiertag bejubelt werden soll: «Das ist der Tag, an dem der 30-jährige Unabhängigkeitskrieg begann, der Hunderttausende Menschenleben gekostet und den Diktator BBC Afewerki an die Macht gebracht hat», sagt Elyas*, der in Wirklichkeit einen anderen Namen hat.
Auf der Einladung sind Bilder der eritreischen Armee zu sehen und in Tigrinya steht geschrieben: «Sieg für das Volk! Ewige Erinnerungen an unsere Helden!» Bei den Eritreern im Rüfenachter Exil macht sich Unmut breit, als die Einladung auf Facebook und Instagram Tausende Likes bekommt und geteilt wird: «Das sind Parolen und Bilder unseres Diktators in der Heimat!» Elyas und seine Freunde leiten die Einladung weiter an andere Flüchtlinge, die genauso denken, wie sie. «Es haben sich rasch rund 150 andere Flüchtlinge aus Eritrea gefunden, die nach Rüfenacht kommen wollen, um gegen das Festival zu demonstrieren», sagt Elyas.
In den letzten Tagen und Wochen ist es an mehreren Orten in Europa und Kanada zu Demonstrationen gegen die geplanten «Kulturfestivals» gekommen. Im deutschen Giessen etwa musste ein Grossaufgebot von Polizisten einschreiten. Mindestens 26 Polizisten wurden bei Auseinandersetzungen verletzt, 131 Personen wurden in Gewahrsam genommen und über 1800 Personen wurden kontrolliert. Auch in Stockholm kam es bei Demonstrationen gegen die «Kulturfestivals» zu schweren Auseinandersetzungen mit 55 Verletzten.
Pikant: In Rüfenacht waren ähnliche Redner angekündigt, die auch bei den Festivals in Giessen und Stockholm aufgetreten sind. Droht der kleinen Berner Gemeinde ein ähnliches Schicksal mit Tränengas und einem Grossaufmarsch der Polizei? Der Vermieter der Räumlichkeiten und des Festplatzes, ein Sigrist der lokalen Kirchgemeinde, erfährt erst durch unseren Anruf von der möglicherweise problematischen Situation: «Ich habe mich schon gewundert, warum die Polizei mit uns reden will», sagt er. Für ihn ist der Anlass kein Grund zur Sorge:
Immer wieder werden in der Schweiz «Kulturfestivals» von eritreischen Vereinen organisiert. Auffallend viele Politiker waren beispielsweise am 27. Juli 2022 in Sion zugegen. Anhand von diversen Videos, Fotos und Instagram-Stories kann diese Zeitung belegen, dass sechs Gouverneure aus Eritrea und andere hochrangige Politiker zugegen waren.
Geflüchtete Eritreer fragen sich, weshalb man diese Festivals nicht verbietet: «Können Sie mir sagen, was solche Politiker an einem zu suchen haben? Warum sollte ich da hingehen und diese Mörder bejubeln, die mitschuldig sind, dass unser Land von einem Horror-Regime regiert wird?», sagt Elyas.
An vielen Orten wurden an den Festivals flammende Reden von Awel Said, einem regimetreuen Freund des eritreischen Diktators Isaias Afwerki gehalten. Said trat bei mehreren Festivals in der eritreischen Militäruniform auf. Zudem liess er sich für ein Video in Militäruniform in Genf vor dem Hauptsitz der Vereinten Nationen (UN) bei einer Ansprache filmen. Im weiteren Videos ist Seid zu hören, wie er sich kriegsverherrlichend äussert, Russlands Ukraine-Krieg unterstützt und wie er dazu aufruft, geflüchtete Menschen aus Eritrea in Europa anzugreifen und endgültig auszulöschen.
In Yverdon fand am 25. Mai 2023 ein Fest zur Unabhängigkeit Eritreas statt. Dabei trugen nebst einigen Rednern auch Kinder Militäruniformen der eritreischen Armee. Ebenso sind auf diversen Videos und Fotos auf Instagram, Tiktok und Youtube Personen zu erkennen, die mit Kalaschnikow-Sturmgewehren in der Hand tanzen. Diese Bilder beschäftigen die eritreische Community in der Schweiz sehr. Surafe*, der früher als Richter in Eritrea tätig war, ist von diesen Bildern mehr als aufgebracht: «Da wird den Menschen, die oft unwissend und mit guter Absicht an diese Festivals gehen, Propaganda eingetrichtert. Obwohl Eritrea so schlimm ist wie Nazideutschland!»
Dass Männer und Frauen mit der Uniform «Kultur» vermitteln sollen und gleichzeitig zum Genozid an Minderheiten aufrufen mit Kalaschnikows in der Hand, sei eine riesige Schande, sagt Surafe und ergänzt:
Diese Festivals würden primär dazu dienen, Geld für das Regime zu sammeln, indem Flaggen und Uniformen verkauft werden. Surafe verlangt, dass sich die Behörden die Bilder dieser Anlässe anschauen und die Leute zur Rechenschaft ziehen.
Dass die Festivals viel Geld kosten, zeigen Recherchen verschiedener deutscher Medienportale: Das Festival in Giessen hat rund 90'000 Euro gekostet. Das sei doch ein Grund mehr, misstrauisch zu sein, sagt Surafe: «Woher sollen ehrliche Flüchtlinge in der Schweiz denn bitte das Geld haben, um solche Anlässe zu finanzieren?»
Eine Nachfrage beim Departement für Verteidigung, Bevölkerungsschutz und Sport (VBS) hat ergeben, dass die Auftritte in den eritreischen Uniformen illegal waren. VBS-Mediensprecher Mathias Volken erklärt:
Vom Verbot ausgenommen seien offizielle Verteidigungsattachés, die bei der Ausübung ihrer Funktion Uniform tragen dürfen. Volken ergänzt:«Allfällige Widerhandlungen würden in die Zuständigkeit der zivilen Strafverfolgungsbehörden fallen.» Weder Awel Said noch eine der anderen Personen liessen sich von dieser Zeitung als Verteidigungsattachés von Eritrea identifizieren.
Nur wenige Stunden nachdem die Organisatoren die Einladung für das eritreische Kulturfestival im Internet verbreitet hatten, formierten sich im Internet mehrere Dutzend aus Eritrea geflüchtete Menschen, um in Rüfenacht gegen die geplante Veranstaltung zu demonstrieren. Bei der Gemeinde wurde eine Demonstrationsbewilligung gestellt, bestätigt der Sigrist auf Nachfrage.
Annelies Müller vom Verein «giveahand», der sich auf die Beratung von geflüchteten Menschen vom Horn von Afrika spezialisiert hat, findet die Festivals untolerierbar: «Ich sehe nicht ein, warum ein Terrorregime in der Schweiz auf Spendentour gehen und seine Propaganda verbreiten darf. Diese Anlässe sind gefährlich und ein Affront gegenüber den Menschen, die geflüchtet sind.»
Müller beobachtet seit Jahren, wer hinter möglichen Propagandaaktionen des eritreischen Regimes steckt: Die Mitglieder der Young People's Front for Democracy and Justice, kurz YPFDJ - eine Art Jungabteilung der Regierungspartei von Diktator Afewerki. Müller sagt:
So würden unter anderem auch viele neue Dolmetscher angeworben, die zwar wegen der Eltern eine Sprache Eritreas verstehen, aber Deutsch als Muttersprache reden. «Auf der Suche nach ihrer Identität geraten die Jugendlichen an den Festivals in die Falle des Regimes und werden so unbemerkt für die Zwecke des Regimes missbraucht.»
Die Personen der Schweizerischen YPFDJ-Gruppierung, welche auch hinter dem Festival in Rüfenacht stecken, wollten sich gegenüber dieser Zeitung nicht äussern. Auf Facebook geben sich die angeschriebenen Vorstandsmitglieder des Vereins jedoch deutlich als Anhänger des Diktators zu bekennen: Bilder und Posts des Diktators werden geteilt, kommentiert oder gelikt. Für Müller und Surafe* ist klar:
Während der Recherchen zu diesem Artikel wurde auch die Kantonspolizei Bern aktiv in Rüfenacht. Man hat das geplante «Kulturfestival» abgesagt wegen der angekündigten Gegendemonstration. Der Sigrist schildert eine Sitzung mit der Polizei: «Dass jetzt plötzlich alle so eine Sache machen wegen diesen Demos in Schweden, ist für mich unverständlich. Wir wollten etwas Gutes tun für die Integration dieser Menschen und nun kommt heraus, dass da angeblich böse Mächte dahinter stecken sollen? Wir hatten es immer gut mit diesen Leuten.»
Diese Unwissenheit und Naivität der Schweiz stösst Surafe und Müller sauer auf: «Die Schweizer Behörden müssten Vertrauen schaffen bei den eritreischen Flüchtlingen. Ansonsten entsteht eine Parallelgesellschaft», sagt Annelies Müller. Für Surafe, Elyas und Müller ist klar: Das Festival in Rüfenacht wird nicht das letzte sein: «Solange der Diktator in Eritrea an der Macht ist, werden seine Gefolgsleute alles versuchen, um Einfluss und Druck auf ‹seine› Menschen in der Schweiz auszuüben, um schlussendlich durch Angst Geld einzutreiben.»
* Die Namen der Protagonisten wurden geändert. (bzbasel.ch)
Was bei der AKP Recht war wird es doch hoffentlich auch hier sein. Denn das ist doch wieder Eritrea. Das sind die welche hier ... & ... & ...
Da hilft kein guter Wille weiter.