Der Anfangsverdacht, wonach die Schweizer Diplomatin Sylvie B. im Mai 2021 in Teheran Opfer eines Tötungsdelikts wurde, habe sich «nicht erhärten» lassen, teilte die Bundesanwaltschaft im letzten November mit. Sie stellte das Verfahren zum «aussergewöhnlichen Todesfall» aus Mangel an Beweisen ein.
Jetzt präsentiert eine Reportage des Westschweizer Fernsehens in der Sendung «Mise au point» neue Elemente, die Fragen aufwerfen.
Der Bruder der Diplomatin sagt im Beitrag, seine Schwester habe sich vor ihrem Tod bedroht gefühlt. Sie sei überzeugt gewesen, vom iranischen Geheimdienst überwacht zu werden. Dass ihr Telefon abgehört wurde.
Die hochrangige Diplomatin – sie war Erste Sekretärin der Schweizer Botschaft – stürzte in den ersten Stunden des 4. Mai 2021 vom Balkon ihrer Wohnung im 17. Stock eines Teheraner Hochhauses.
Im Fernsehbeitrag sagt ihr Bruder: «Sie wusste, dass sie im Visier des iranischen Geheimdienstes war. Er nutzte ihre Abwesenheiten aus, um in ihre Wohnung einzudringen.» Als sie von der Arbeit nach Hause kam, habe sie einmal Schuhabdrücke in der Wohnung festgestellt. «Sie merkte, dass sie überwacht wurde. Sie hatte Angst, sie hatte Angst vor diesen Besuchen, das ist sicher», erzählt ihr Bruder, der in der Schweiz lebt.
Sylvie B. hatte bei der Botschaft einen heiklen Posten: Sie leitete die Abteilung, die die Interessen der USA im Iran vertritt. Also jene Abteilung, die auch jetzt wieder besonders exponiert ist.
Im Aussendepartement glaubte schon 2021 niemand an Selbstmord. Auch die Teheraner Rettungsdienste taten dies nicht. Ein Sprecher sagte laut lokalen Medien: «Selbstmord kommt nicht infrage.»
Die Diplomatin fühlte sich vor ihrem Tod bedroht, aber die Bundesanwaltschaft konnte dieser Spur laut Westschweizer Fernsehen nicht nachgehen: weil sie keinen Zugang zum Iran bekam, dort weder Untersuchungen vornehmen noch Zeugen befragen konnte.
Brisante Aussagen macht im Beitrag ein nach Deutschland geflüchteter iranischer Geheimdienst-Kadermann, der 2021 noch in Teheran war. Der Tod der Diplomatin sei damals ein grosses Thema im iranischen Geheimdienst gewesen: «Es hiess, dass es der Sepah war, der Geheimdienst der Revolutionsgarden, der eine Operation vermasselt hatte. Es war ein Mord. Eine Spionageoperation, die schiefging.»
Die Bundesanwaltschaft liess die Leiche der Diplomatin gerichtsmedizinisch untersuchen. In der Einstellungsverfügung, die CH Media vorliegt, ist die Rede von einem «durch stumpfe Gewalt verursachten Polytrauma», unter anderem einem Genickbruch. «Dieses Befundbild ist mit einem Sturz aus grosser Höhe vereinbar», steht da. Was die Möglichkeit nicht ausschliesst, dass die Frau über das Balkongeländer geworfen wurde.
Eine vollständige Obduktion war für die Schweizer nicht möglich. Die Iraner hatten der Leiche eine Reihe von Organen entnommen und nicht mitgegeben: eine Niere, das Gehirn, das Herz. Auch Blut und Urin konnten nicht mehr untersucht werden. Wie die Bundesanwaltschaft in der Einstellungsverfügung schreibt, sei eine noch von den iranischen Behörden in Auftrag gegebene «Analyse der Urinprobe auf Betäubungsmittel, Medikamente oder Gift negativ ausgefallen».
Die Diplomatin litt offenbar zeitweise unter Depressionen und brauchte Medikamente. Allerdings ging es ihr laut Bekannten zuletzt besser. Eine Quelle sagt zu CH Media, sie sei erst kurz vor ihrem Tod eine neue Beziehung eingegangen.
Die Bundesanwaltschaft stützte ihr Fazit Suizid nicht zuletzt auf ein Telefonat, das die Frau am Abend ihres Todes mit einem Ex-Freund hatte und das sie aufwühlte. Der Ex-Freund habe ihr erklärt, dass ihre Beziehung aus seiner Sicht definitiv beendet sei.
Sie schickte ihm laut Bundesanwaltschaft etwa anderthalb Stunden vor ihrem Tod noch eine SMS mit dem Inhalt: «Good buy and have fun with your new relationship...» Die Frau schrieb also «Goodbye» falsch, obwohl sie zuvor jahrelang in den USA gearbeitet hatte.
Dieser Vorgang lässt sich in Einklang bringen mit der Behauptung des iranischen Ex-Geheimdienstlers, die Diplomatin sei über den Balkon geworfen worden. Falls der Geheimdienst der Revolutionsgarde wirklich ihr Telefon abhörte, sah er im Beziehungsstreit vielleicht die Chance, glaubhaft einen «Selbstmord» zu inszenieren. Die Diplomatin kann die Geheimdienstler aber auch in ihrer Wohnung überrascht haben, als sie nach Hause kam.
Die Iraner hatten, wenn sie in der Wohnung waren, auch Zugriff auf das Handy der Frau. Sie hatte den Code ihres Telefons auf einem Zettel notiert, der später als Abschiedsbrief interpretiert wurde.
Fest steht, dass die Diplomatin einst mit einem in den USA lebenden Exil-Iraner verheiratet war. Das Paar hatte sich zwar, offenbar im Streit, wieder scheiden lassen. So oder anders interessierte sich der iranische Geheimdienst zweifellos verstärkt für die Frau.
Im welschen Fernsehen sagte der frühere iranische Chef-Agent: Die Revolutionsgarden seien eine paranoide, mafiaartige Struktur, sie sähen überall Spione. Er wisse nicht, warum die Diplomatin gestorben sei. «Aber man sollte nicht vergessen: Die Revolutionsgarden betrachten die Schweizer Botschaft im Iran als Infiltrationspunkt der Amerikaner». Der Iran sei überzeugt, dass gewisse Botschaftsangestellte für die CIA arbeiteten.