22. So viele Frauen und Mädchen sind seit Anfang des Jahres in der Schweiz Opfer von Femiziden geworden.
Femizide sind Tötungsdelikte, die sich gegen Frauen richten, weil sie Frauen sind. Sie gelten als die Spitze des Eisbergs der geschlechtsbezogenen Gewalt, die laut der Fachstelle für Gleichstellung in den allermeisten Fällen von Partnern, Ex-Partnern oder dem familiären Umfeld ausgeht.
Die Schweiz hat sich mit der Ratifizierung der Istanbul-Konvention 2018 dazu verpflichtet, Gewalt gegen Frauen zu bekämpfen. Die dokumentierten Fälle nehmen jedoch nicht ab, sondern zu.
Während der Begriff des «Femizids» bei Expertinnen, Aktivistinnen und zunehmend auch in breiteren Teilen der Gesellschaft Verwendung findet, ist er nicht Teil der offiziellen Sprache des Bundes.
So sucht man auch vergeblich nach offiziellen Statistiken zu Femiziden. watson beruft sich auf die Rechercheplattform Stop Femizid, die Medienberichte und Polizeirapporte nach Morden an Frauen durchforstet und zusammenträgt. Die Dunkelziffer dürfte hingegen hoch sein, heisst es dort.
Gemäss den Zahlen von «Stop Femizid» hat im laufenden Jahr alle 11 Tage ein Mann eine Frau getötet. Damit sind in diesem Jahr bereits mehr Frauen ermordet worden als im gesamten vergangenen Jahr. Setzt sich dieser Trend fort, könnte die Schweiz Ende des Jahres einen historischen Höchstwert an Femiziden erreichen.
Während geschlechtsspezifische Gewalt und die Zahl getöteter Frauen in der Schweiz zunehmen, zeigt ein Blick nach Spanien, dass es auch anders geht. Dort haben die Morde an Frauen durch Männer in den vergangenen Jahren abgenommen.
In Spanien war es der Fall von Ana Orantes, der zu einem Umdenken über Gewalt gegen Frauen führte. Spanien schrieb das Jahr 1997, als die damals 60-jährige und frisch geschiedene Orantes in einem Fernsehprogramm erzählte, wie ihr Mann sie über Jahrzehnte misshandelt hatte.
Wenige Tage nach dem Fernsehauftritt wurde Orantes ermordet. Von ihrem Ex-Mann, der sie bei lebendigem Leib verbrannte. Es war ein Mord mit Ankündigung. Doch es fehlten Gesetze, um Ana Orantes zu schützen.
Die Anteilnahme war gross – und der Protest. 2004 beschloss die sozialistische Partei ein umfassendes Gesetz über Gewalt gegen Frauen. So wurde Spanien in Europa zur Vorreiterin bei der Bekämpfung geschlechtsspezifischer Gewalt.
2017 folgte ein nationaler Pakt gegen geschlechtsspezifische Gewalt, der parteiübergreifend unterstützt wurde. Für entsprechende Massnahmen stellte der spanische Staat eine Milliarde Euro über fünf Jahre zur Verfügung.
Spanien verfügt heute über spezialisierte Gerichte, die Fälle von Gewalt gegen Frauen verhandeln, über speziell geschultes Personal und über niederschwellige Hilfsangebote. Prävention gegen geschlechtsspezifische Gewalt ist Teil des Lehrplans.
Im spanischen Sexualstrafrecht gilt seit 2022 ausserdem das Prinzip «Nur Ja heisst Ja». Anders als in der Schweiz, wo das Sexualstrafrecht seit einem Jahr nach dem Grundsatz «Nein heisst Nein» funktioniert, muss in Spanien im Zweifelsfall die Zustimmung zu sexuellen Handlungen bewiesen werden.
Zur Bekämpfung von Femiziden gehört in Spanien auch der Schutz potenzieller Opfer: So listet eine digitale Datenbank Täterprofile, und Behörden führen Risikoanalysen durch.
Als besonders wirksam gilt ein elektronisches Überwachungs- und Warnsystem («Electronic Monitoring»), mit dem Kontaktverbote durchgesetzt werden. Sowohl potenzielle Täter als auch potenzielle Opfer werden rund um die Uhr elektronisch überwacht. Nähert sich der potenzielle Täter der bedrohten Person in einem bestimmten Umkreis, wird diese mit einem Alarm benachrichtigt. Der Gefährder wird telefonisch angewiesen, sich zu entfernen. Die Polizei hält sich bereit, falls dieser den Anweisungen nicht Folge leistet.
Das «Electronic Monitoring» könnte auch der Schweiz als Vorbild dienen. So sieht es zumindest Bundesrat Beat Jans, der im Juli nach Spanien reiste, um sich mit den spanischen Behörden über die Verhinderung von Femiziden auszutauschen. Pilotprojekte laufen bereits in verschiedenen Kantonen.
Die Wirksamkeit des «spanischen Modells» lässt sich anhand der Zahlen ablesen: So ist das Risiko für Frauen, von einem Mann ermordet zu werden, in der Schweiz fünfmal höher als in Spanien.
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So wie ich das verstanden habe, haben sich die spanischen Behörden auf potenzielle Täter fokussiert, statt das Leben der Opfer einzugrenzen.