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Darum steckt noch immer Schweizer Technik in russischen Kriegswaffen

Eine beim ostpolnischen Dorf Wohyn abgestürzte russische Drohne wird abtransportiert.
Eine beim ostpolnischen Dorf Wohyn abgestürzte russische Drohne wird abtransportiert.Bild: EPA

Darum steckt noch immer Schweizer Technik in russischen Kriegswaffen

In dem Drohnenmodell, mit dem Russland den polnischen Luftraum verletzte, wurden in der Vergangenheit mehrfach Schweizer Komponenten gefunden. Weshalb das trotz Sanktionen möglich ist und was dagegen unternommen wird.
13.09.2025, 06:3613.09.2025, 06:36
Christoph Bernet / ch media
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Es ist die bislang grösste Provokation von Kreml-Herrscher Wladimir Putin in Richtung Nato: In der Nacht auf Mittwoch drangen mindestens 19 russische Drohnen in den Luftraum über Polen ein und flogen dabei hunderte Kilometer ins Landesinnere des Nato-Mitgliedstaats Polen.

Gemäss bislang vorliegenden Informationen verletzten Drohnen vom Typ Gerbera den polnischen Luftraum. Diese sind in der Herstellung kostengünstig und aus billigen Materialien wie Sperrholz und hartem Schaumstoff gefertigt.

Russland setzt die Gerbera bei Drohnenangriffen auf die Ukraine oftmals als unbewaffnete Attrappen ein, um die Luftabwehr zu überlasten. Doch gewisse Varianten sind auch mit einem Gefechtskopf bestückt.

Elektronik aus Genf und Thalwil in Russlands Drohnen

In der Gerbera steckt auch Schweizer Technologie. Dies zeigt ein Blick auf eine Datenbank des ukrainischen Militärgeheimdiensts HUR. Diese Datenbank listet westliche Komponenten in russischen Drohnen auf, die über ukrainischem Territorium niedergegangen sind. Im Model Gerbera wurden seit November 2024 mehrfach Mikroprozessoren des Unternehmens ST Microelectronics aus Genf und GPS-Empfänger der Firma U-Blox aus Thalwil ZH identifiziert.

Diese Firmennamen tauchen nicht zum ersten Mal im Zusammenhang mit russischen Drohnen auf. Bereits im Sommer 2023 fand eine internationale Expertengruppe in den Modellen Shahed, Lancet-3 und Orlan-10 Komponenten dieser und anderer Schweizer Unternehmen.

Wie gelangt Schweizer Technologie mehr als drei Jahre nach Inkrafttreten der Sanktionen gegen Russland in die Drohnen von Putins Armee? Für die Durchsetzung der Sanktionen und die Exportkontrolle zuständig ist das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco). Dieses schreibt auf Anfrage, die Problematik sei seit Kriegsbeginn im Februar 2022 bekannt.

Laut Sprecher Fabian Maienfisch steht das Seco in engem Kontakt mit der Ukraine, den Partnerstaaten und den betroffenen Unternehmen. Ziel sei es, die Beschaffung und Weiterleitung solcher Komponenten nach Russland zu unterbinden und Gegenmassnahmen zu koordinieren.

Bei den in russischen Drohnen entdeckten Schweizer Komponenten handelt es sich gemäss Maienfisch um «industrielle Massengüter mit einer breiten zivilen Anwendung». Es seien keine sogenannten Dual-Use-Güter mit militärischer und ziviler Anwendung, die internationalen Exportkontrollen unterliegen.

Allerdings gelten sie gemäss Sanktionsverordnung als «Güter hoher Priorität». Deren direkter Export nach Russland ist untersagt, und beim Verkauf in Drittstaaten müssen Schweizer Unternehmen besondere Sorgfaltspflichten erfüllen. Oftmals werden diese Komponenten ausserhalb der Schweiz produziert, was die Kontrolle zusätzlich erschwert.

Beschaffung erfolgt über Zwischenhändler

Die in russischen Drohnen gefundenen Schweizer Bestandteile sind weltweit in grosser Masse verfügbar. Sie werden etwa in Autos, E-Scootern oder Maschinen verbaut. Die Beschaffung für die russische Drohnenproduktion erfolgt gemäss Seco oft via Zwischenhändler in Drittländern, die im Gegensatz zur Schweiz keine Sanktionen gegen Russland verhängt haben.

Die Firma U-Blox, deren GPS-Empfänger in Gerbera-Drohnen verbaut werden, hält auf Anfrage fest: «Wir verurteilen die russische Aggression gegen die Ukraine deutlich.» Der Verhaltenskodex und die Geschäftsbedingungen des Unternehmens verbiete es Vertriebspartnern und Kunden strikt, Produkte von U-Blox für Waffen oder Waffensysteme zu verwenden.

Unmittelbar nach Kriegsbeginn habe man den Verkauf nach Russland und Belarus eingestellt. Später habe U-Blox nach Hinweisen auf missbräuchlichen Weiterverkauf nach Russland auch Geschäfte mit Unternehmen in Armenien, Kasachstan und Kirgistan unterbunden.

Das Verkaufspersonal werde regelmässig geschult und setze Kunden und Vertriebspartner, die gegen die Vorgaben verstossen, auf eine schwarze Liste. Das Unternehmen arbeitet mit der britischen NGO Conflict Armament Research (CAR) zusammen. U-Blox helfe mit der Weitergabe von Daten an CAR, die Beschaffungswege der russischen Drohnenindustrie besser zu verstehen und unterbinden zu können.

Auch ST Microelectronics verweist auf Anfrage darauf, dass das Unternehmen Informationen mit staatlichen und nicht staatlichen Organisationen kooperiere und Informationen für Nachforschungen über Lieferketten zur Verfügung stelle.

«Wir genehmigen oder dulden keine Verwendung unserer Produkte ausserhalb ihres vorgesehenen Verwendungszwecks», schreibt das Unternehmen. Seit Kriegsbeginn habe man Massnahmen ergriffen, um die Anforderungen der internationalen Sanktionen und Exportkontrollen gegen Russland und Belarus zu erfüllen. Dazu habe man etwa die Compliance-Anforderungen verschärft und die Wachsamkeit gegenüber Sanktionsumgehungen und Umleitungen von Lieferungen erhöht. Zudem sei ST Microelectronics nicht mehr in Russland tätig.

Geringe Mengen sind schwer nachzuverfolgen

Trotz dieser Bemühungen, die auch andere betroffenen Firmen aus dem Westen unternommen haben, finden sich in 95 Prozent aller vom ukrainischen Militärgeheimdienst analysierten russischen Drohnen ausländische Komponenten.

«Russlands Drohenproduktion ist zweifelsfrei abhängig von westlichen Komponenten», sagt Ivo Capaul. Er forscht am Center for Security Studies der ETH Zürich zu Verteidigungspolitik und Rüstungsbeschaffung. Besonders ausgeprägt sei diese Abhängigkeit vom Westen im Bereich der Mikro- und Steuerungselektronik.

Wie das Seco verweist auch ETH-Forscher Capaul darauf, dass die zur Drohnensteuerung verwendeten Komponenten von Schweizer Firmen weltweit vielfältig zivil genutzt werden. «Die vergleichsweise geringen Mengen, die zur Drohnenproduktion in Russland gebraucht werden, fallen realistischerweise kaum auf beziehungsweise sind kaum nachzuverfolgen.» Den Import westlicher Bestandteile nach Russland vollständig zu unterbinden sei äusserst schwierig.

Ob die 19 russischen Gerbera-Drohnen, die diese Woche in den polnischen Luftraum eingedrungen sind, ebenfalls Schweizer Komponenten enthielten, ist bislang nicht bekannt.

(aargauerzeitung.ch)

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