International
Serbien

Mit Schallkanone gegen Demonstrierende: Schwere Vorwürfe in Serbien

Ein Video zeigt, wie Polizisten die Menschenmenge verlassen und kurz danach Panik ausbricht.Video: watson/watson

Schallkanone gegen Demonstrierende eingesetzt? Schwere Vorwürfe in Serbien

Die Bilder der Proteste in Serbien gingen am Wochenende um die Welt. Hunderttausende strömten auf Belgrads Strassen, um gegen die autoritäre Regierung und Korruption zu demonstrieren. Nun werden schwere Vorwürfe gegen die Polizei laut.
17.03.2025, 03:3117.03.2025, 14:45

Die Studierendenproteste sind in Serbien zu einer Massenbewegung geworden, die am Wochenende ihren bisherigen Höhepunkt erreichte. Über 300'000 Menschen versammelten sich in der Hauptstadt Belgrad, um für Rechtsstaatlichkeit und Freiheit und gegen Korruption und die autoritäre Regierung von Präsident Aleksandar Vucic zu protestieren.

Tens of thousands gather in front of the Serbian parliament during a major anti-corruption rally led by university students in Belgrade, Serbia, Saturday, March 15, 2025. (AP Photo/Marko Drobnjakovic) ...
Über 300'000 Menschen gingen am Samstag in Belgrad auf die Strasse.Bild: keystone

Diese begegnete dem Menschenaufmarsch mit einem extrem grossen Polizeiaufgebot rund um die Demo – offiziell zum Schutz der Teilnehmenden. Doch Kritiker werfen Vucic vor, die Menschen damit vor allem einschüchtern gewollt zu haben.

epa11966473 Riot police secure the area during the student-led rally in Belgrade, Serbia, 15 March 2025. University students staged a protest, demanding accountability after fifteen people lost their  ...
Das Polizeiaufgebot in Belgrad war immens.Bild: keystone

Diese Kritik erhält nun neuen Nährstoff: In den sozialen Medien kursieren zahlreiche Videos, die eine verstörende Szene zeigen. Urplötzlich stieben Tausende Menschen schreiend auseinander, ohne wirklich ersichtlichen Grund. Der Vorwurf an die Polizei: Sie soll mit einer LRAD-Schallkanone, einer akustischen Waffe (siehe unten), auf die protestierende Menge gezielt haben, wie unter anderem das Portal BalkanEU schreibt.

Dies just während der Schweige-Viertelstunde, die der Protestzug für 15 bei einem Dacheinsturz eines Bahnhofs Verstorbene abhielt, was der ursprüngliche Auslöser für die grossangelegte Kundgebung war. Videos zeigen, wie die Menschen, zuvor still und ruhig dastehend, plötzlich anfangen zu schreien und panikartig auseinander rennen.

Video: watson/watson

Ein Augenzeuge berichtete gegenüber der Bild, sie hätten ein nicht identifizierbares Geräusch gehört, das über die Menschen «hinweggerollt» sei:

«Auf einmal gab es ein Geräusch. Es fühlte sich an, als ob es über uns hinwegrollte.»

Tatjana Ohm, Journalistin bei der deutschen Zeitung WELT, war beim Vorfall anwesend. Sie schilderte ihre Erfahrung auf X. Auch sie berichtet von einem Geräusch, das sie «nicht richtig einordnen» konnte. Nach dem Vorfall sei ihr 30 Minuten schwindlig gewesen, zudem habe sie eine innere Unruhe gespürt.

ohm belgrad sonic cannon
Bild: x

Viele Protestteilnehmer vermuten hinter dem sonderbaren Geräusch den Einsatz eines sogenannten Long Range Acoustic Device (kurz LRAD). Das ist eine Art Schallkanonen, die einen gezielten Strahl von hochfrequenten Geräuschen von bis zu 160 Dezibel abgeben kann.

Für das menschliche Gehör können bereits Lautstärken ab 85 Dezibel schädlich sein, ab 120 Dezibel sind Hörschäden schon innert kurzer Beschallungszeit wahrscheinlich. LRAD-Geräte sind nicht tödlich und werden als effektive Variante, um Menschenmengen zu kontrollieren oder aufzulösen, angepriesen. Ihr Einsatz ist ethisch hochumstritten.

Die Proteste in Belgrad waren trotz des immensen Menschenaufmarschs friedlich. Die Studierendenbewegung legt grossen Wert darauf, sich von jeglichen Krawallen oder Ausschreitungen zu distanzieren und diese im Keim zu ersticken. Unterstützer der Proteste werfen Serbiens rechtspopulistischer Regierung vor, dass die Kundgebung «zu friedlich» war. Mit dem Einsatz der Schallkanone hätte die Polizei Chaos stiften und Ausschreitungen provozieren wollen, so ein vielfach geäusserter Vorwurf.

Serbiens Präsident Vucic hat die Berichte als «Lüge» zurückgewiesen. Ein Anti-Drohnen-Gewehr habe für die Panik unter den Menschen gesorgt. Den angeblichen Einsatz einer Schallkanone bezeichnet er als «brutale Desinformation». Jemand müsse für die Verbreitung dieser Berichte zur Verantwortung gezogen werden.

epa11958125 Serbian President Aleksandar Vucic talks during a joint press conference with the president of Burundi following their meeting in Belgrade, Serbia, 12 March 2025. The president of Burundi  ...
Aleksandar Vucic hat eine andere Erklärung für die Panik unter den Protestierenden.Bild: keystone

Gegen Vucics Darstellung spricht Videomaterial von der Szene. Darauf ist auch zu sehen, wie Polizisten kurz vor dem Ausbruch der Panik den Protestzug verlassen und in eine Nebenstrasse rennen – als ob sie gewusst hätten, was demnächst passiert.

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
Das könnte dich auch noch interessieren:
Du hast uns was zu sagen?
Hast du einen relevanten Input oder hast du einen Fehler entdeckt? Du kannst uns dein Anliegen gerne via Formular übermitteln.
39 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Habedi
17.03.2025 06:45registriert Januar 2016
Ich vermute mal, dass die Polizei versucht hat eine Eskalation zu provozieren. Warum sonst, sollten sie so eine widerliche Waffe ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt einsetzen? Jedenfalls sehr stark von den Studenten das zu durchschauen und sich nicht darauf einzulassen.
2025
Melden
Zum Kommentar
avatar
Cosmopolitikus
17.03.2025 06:37registriert August 2018
Der oder die Einzige, die hier zur Verantwortung gezogen werden müssen, ist die Polizei und der den Befehl zu einem solchen Einsatz gegeben hat.
Hier eine Unschuldsvermutung zu äussern würde an Ironie grenzen.
1656
Melden
Zum Kommentar
avatar
cucumberworld
17.03.2025 07:15registriert September 2019
Einfach nur widerlich und die Videos zeigen ziemlich klar, dass das nicht einfach nur eine "normale" Massenpanik war, sondern dass die Menschen alle gleichzeitig, plötzlich auf einen Reiz reagiert haben. Vucic gehört gestürzt.
1443
Melden
Zum Kommentar
39
Zahl der Geflüchteten erreicht Höchststand in der Schweiz – die Sonntagsnews
Aussenminister Ignazio Cassis wird nächste Woche eine Reise in den Nahen Osten antreten und in der Schweiz sind 780'000 ungeprüfte Fahrzeuge unterwegs: Das und mehr findet sich in den Sonntagszeitungen.
Aussenminister Ignazio Cassis wird laut «SonntagsBlick» nächsten Mittwoch zu einer viertägigen Reise in den Nahen Osten aufbrechen. Sie führe ihn nach Jordanien, in den Irak und nach Kuwait, wie ein Sprecher des Eidgenössischen Departements für Auswärtige Angelegenheiten (EDA) der Zeitung bestätigte. Die Reise werde offiziell als Standardvisite deklariert, auf dem Programm stehe unter anderem eine Botschaftseröffnung. Tatsächlich stehe Cassis jedoch vor einer heiklen diplomatischen Mission, da die Schweiz nach dem Gaza-Waffenstillstand international an Einfluss verloren habe, schrieb die Zeitung weiter. Am Friedensgipfel in Sharm el-Sheikh sei sie nicht eingeladen gewesen, während andere europäische Länder prominent vertreten gewesen seien. Beobachter würden den Verlust der Schweizer Vermittlungsrolle darauf zurückführen, dass der Bund im Frühling auf eine Völkerrechtskonferenz zu Gaza in Genf verzichtet habe.
Zur Story