Es sind Geschichten wie jene Rami Adhams, die einem angesichts des unermesslichen Leids in Syrien etwas Hoffnung zurückgaben. Immer wieder machte sich der sechsfache Familienvater aus seiner finnischen Wahlheimat auf, um Waisenkindern im belagerten Aleppo Hilfsgüter zu überbringen. Den letzten Abschnitt seiner gefährlichen Reise in seine Heimatstadt legte er zu Fuss zurück.
Von den Medien wurde der «Spielzeugschmuggler von Aleppo» frenetisch gefeiert. Alle grossen englisch- und deutschsprachigen Titel berichteten über ihn, von CNN und «Bild» bis BBC und ZDF. Erst vor drei Wochen widmete ihm NBC News einen grossen Beitrag:
Doch jetzt bekommt Adhams Heldenimage Risse. Die grösste Tageszeitung Finnlands, «Helsingin Sanomat», erhebt schwere Vorwürfe gegen den 42-Jährigen.
Auf einem inzwischen gelöschten Facebook-Post ist Adham mit dem bekannten Extremisten Abdullah al-Mohaisany zu sehen, den er als «geliebten Scheich» und «beispielhaften Freiheitskämpfer» bezeichnet. Al-Mohaisany soll über die Jahre mit grossen extremistischen Gruppierungen in Syrien zusammengearbeitet haben, darunter «IS», Nusra, Ahrar al-Sham und Liwa al-Tawhid. Adham bestreitet jegliche Verbindungen zu Extremisten.
Adhams Anhänger werfen ein, ohne Verbindungen zu Leuten wie al-Mohaisany könne niemand im Osten Aleppos arbeiten, der zu grossen Teilen von islamistischen Rebellengruppen kontrolliert wird. Allerdings gibt es Hinweise, dass der Spielzeugschmuggler selbst extremistische Ansichten hegt: Mehrmals soll er auf Facebook über die Schiiten geschimpf haben, die er als «kranke und extreme Sekte» bezeichnet, und forderte ihre vollständige Vertreibung aus Syrien. Die finnische Polizei hat Ermittlungen wegen Anstiftung zu ethnischem Hass eingeleitet.
Einen Grossteil der Recherchen von «Helsingin Sanomat» drehen sich um diesen Facebook-Post von Suomi–Syyria-yhteisö (Finnland-Syrien-Community), Adhams Hilfsorganisation, die für Syrien Spenden sammelt.
Demnach soll Adham im Januar 2016 bei einem Angriff auf Aleppo verletzt worden sein. «Helsingin Sanomat» sind von einem ehemaligen Mitarbeiter Text- und Sprachnachrichten zugespielt worden, die belegen, dass sie die Verletzung inszeniert haben.
In einem Whatsapp-Chat (siehe oben) schreibt Adham, dass er fast fertig sei in Aleppo und am darauffolgenden Tag in die Vororte gehen werde, wo sich der Unfall ereignen werde. Anderswo schreibt er, er werde einen Bericht und zwei drei Fotos schicken und wie wichtig es sei, dass die finnischen Medien die Geschichte aufnähmen.
Gegenüber «Helsingin Sanomat» bestreitet Adham die Vorwürfe, er habe die Geschichte mit der Verletzung erfunden. Möglicherweise habe er «über ein paar Dinge gescherzt», aber nichts davon sei irreführend. «Das ist ein lächerlicher Vorwurf. Niemand könnte eine solche Geschichte erfinden. Ich war in einem Kriegsgebiet, einem wirklich gefährlichen Ort», wird er von der Zeitung zitiert.
All dies erscheint höchst unerfreulich – aber der Zweck heiligt die Mittel, könnte man einwerfen. Um der Zivilbevölkerung im belagerten Ostteil von Aleppo zu helfen, braucht Adham gute Beziehungen zu den Dschihadisten, die dort den Ton angeben. Dazu gehört vielleicht auch, dass er vorgibt, die Schiiten zu hassen, denen auch Syriens Präsident Baschar Assad sowie seine iranischen Verbündeten angehören.
Doch auch am Zweck – Hilfe für die Waisenkinder Aleppos – zweifelt «Helsingin Sanomat»: Von den Spenden, die Adham gesammelt hat, soll nur ein Bruchteil den Menschen dort zugute kommen. Die Zeitung hat mit dem Mitarbeiter einer Hilfsorganisation für Kriegswaisen in Aleppo gesprochen, die in der Vergangenheit mit Adham zusammengearbeitet hatte. Demnach seien von den 35 Euro, die Spender in Finnland (und Deutschland) pro Monat für ein Waisenkind überwiesen, nur zwischen 9 und 20 bei ihnen angekommen. Dies obwohl den Leuten versprochen wurde, dass die volle Summe den Kindern zugute komme.
Adham bestreitet auch diese Vorwürfe, wobei er eine Differenz zwischen den Zahlungen einräumt: Neben Bargeld habe er auch nicht-monetäre Güter nach Syrien geschickt, alles in allem hätten die Spenden so pro Kind rund 33 Euro betragen. «Helsingin Sanomat» hat er Quittungen gezeigt, die seine Version stützen.
Vieles an der Geschichte Rami Adhams ist wahr: Er war während des Bürgerkriegs mehrmals in Aleppo. Gemäss seinen Kritikern kamen die Spielsachen auf den Bildern tatsächlich Kindern in der belagerten Stadt zugute. Gleichzeitig ist klar, dass Adham ein gewisses Gespür für Marketing hat: Eigenhändig einen Sack mit Spielzeug von Finnland nach Syrien zu bringen, ergibt keinerlei Sinn. Aber es war eine gute Geschichte, der kaum ein Journalist widerstehen konnte. Wo all das Geld hingeflossen ist, das er aufgrund seiner Bekanntheit eingesammelt hat, müssen nun die Behörden klären. Die finnische Polizei hat ein Verfahren wegen Veruntreuung eingeleitet.
https://propagandaschau.wordpress.com/2016/10/22/recyceln-die-syrischen-white-helmets-ihre-kinderopfer/