Er bereiste alle Länder der Welt – dieses Land behielt er sich bis zum Schluss auf
Es war 2015, als Nicolai Petek beschloss, dass er jedes Land der Welt sehen möchte. Eine Deadline gab er sich vorerst nicht. Doch kurz bevor der Basler 2020 sein 100. erreichte, sagte er sich, dass er das Projekt vor seinem 40. Geburtstag abgeschlossen haben will.
Im September 2025, zwei Tage vor seinem 40. Geburtstag, setzte er seinen Fuss auf das 197. und letzte Land. «Ein Land, wie ich es zuvor noch nie gesehen hatte, es war wie ein anderer Planet», sagt Nicolai zu watson. Bewusst hatte er sich dieses Highlight für den Schluss aufgespart. Welches Land dies war, was die Reiserei mit ihm machte, wo es ihm richtig gefiel und wo nicht, das verrät er uns im Interview.
Nicolai, du hast in den letzten rund zehn Jahren alle Länder der Welt bereist. Vor wenigen Wochen warst du in deinem letzten Land. Wie hat sich das angefühlt?
Nicolai Petek: Überraschenderweise ziemlich emotionslos. Es war ein Dienstagabend, kurz vor Mitternacht. Ich landete und lief aus dem Flughafen, wie ich das schon oft machte.
Das hätte ich jetzt nicht erwartet.
Vermutlich war das auch, weil ich in den Wochen zuvor meine letzten Länder in Ozeanien und Afrika erreichte. Das waren für mich die «Endboss-Reisen». Als ich die letzten Inselstaaten im südwestlichen Pazifik erreichte, da wusste ich: Ich habe es geschafft. Das letzte Land war ja in Europa und vergleichsweise einfach zu erreichen.
Wir kommen nachher darauf zurück. Aber erzähl erst einmal von deinem Projekt.
Unter Road to 197 setzte ich mir zum Ziel, alle Länder der Welt zu bereisen. Dabei arbeitete ich die ganzen Jahre immer Vollzeit bei Schweizer Unternehmen in der Finanzbranche. Ich machte meine Reisen also während meiner Freizeit und in den Ferien (siehe auch Infobox).
Fast 200 Länder in rund 10 Jahren, und das bei einem Vollzeitjob – das musst du mir erklären.
Ich habe sechs Wochen Ferien. Dazu konnte ich bei früheren Arbeitgebern Überzeit aufschreiben und kompensieren und bei meinem aktuellen kann ich bis zu drei Wochen unbezahlten Urlaub jährlich beziehen. Da bin ich sehr privilegiert, das ist mir bewusst. Dazu kommen die Feiertage und Wochenenden. Wenn man die Ferien geschickt legt, kommt einiges zusammen. Also insgesamt sind von 365 Tagen im Jahr rund 40 Prozent «Freizeit», das eröffnet viele Möglichkeiten.
Wie fing das denn alles überhaupt an?
Als ich 2012 das Studium abschloss, kündigte ich meinen Job und reiste einige Wochen durch Südostasien. Es war meine erste Backpacking-Reise. Alleine unterwegs sein, das kannte ich vorher so nicht. Ich tauchte ein in die fremde Kultur, neues Essen, lernte viele Leute kennen und lebte das ultimative Freiheitsgefühl. Es war eine lebensverändernde Reise.
Aber da hast du das Projekt ja noch nicht gestartet?
Nein, aber von da an wusste ich, dass ich noch viel reisen wollte. Es wurde fast zur Sucht. Das Projekt startete ich dann 2015, als ich erstmals auch Freunde einweihte und mein Ziel, alle Länder der Welt zu besuchen, auch offen aussprach.
Wie waren die Reaktionen?
Niemand dachte, dass ich das wirklich durchziehe. Ehrlich gesagt: ich auch nicht ganz. Aber ich fing einfach mal an. In den ersten Jahren machte ich «einfache» Länder und nach zwei Jahren wurde mir bewusst: Doch, es ist möglich.
Welches war eigentlich dein allererstes besuchtes Land ausserhalb der Schweiz?
Ich bin in Basel aufgewachsen. Da ist es nicht weit bis Deutschland oder Frankreich. Aber ich weiss nicht mal mehr genau, wo ich zuerst war. Ich reiste mit meinen Eltern auch einige Male. Aber meine erste eigene Reise ging – ich darf es kaum sagen – nach Lloret de Mar in Spanien. Die erste «richtige Reise» als Jugendlicher waren einige Tage in Bratislava.
Du hast also 2015 nicht bei null angefangen?
Nein, ich war bis dahin in rund 30 Ländern. Etwa 20 davon besuchte ich dann erneut während dem Projekt. Allerdings sind dies praktische Transitländer wie Singapur oder Nationen wie Italien, Grossbritannien oder Frankreich.
Weisst du eigentlich, wie viele Schweizer schon in allen Ländern der Welt waren?
Genau weiss das wohl niemand. Aber in der Schweizer Vielreiser-Community haben es mit mir sicher fünf schon geschafft, wobei ich der Jüngste bin. Allerdings kann ich dir alleine in Basel problemlos 8 Leute aufzählen, die schon in mindestens 100 Ländern waren.
Was lernt man auf Reisen?
Bescheidenheit. Wir können so unfassbar zufrieden sein mit dem, was wir in der Schweiz haben. Und Gelassenheit. In der Schweiz haben wir vor allem First World Problems. Natürlich rege ich mich auch immer noch auf, wenn etwas nicht klappt. Aber dann sage ich mir: Ich kann es nicht beeinflussen, es passiert dann schon, wenn es passieren muss.
Wenn man so reist wie ich, macht man keine «Deep Dives» in die jeweilige Kultur, aber man nimmt schon einiges mit.
Was hast du über die Schweiz gelernt?
Man lernt richtig zu schätzen, was wir hier haben. Es gab diesen einen Moment zu Beginn meines Projekts. Ich war viel in Asien unterwegs. Und dann kam eine Gruppe Einheimischer und schwärmte mir vom Matterhorn vor. Ich nickte nett, aber ich wusste ja: Ich sah das Matterhorn selbst noch nie live.
Hast du das geändert?
Ja. Das Treffen gab mir einen Kick, auch die Schweiz zu entdecken. Zumindest will ich alle Kantone besucht haben und die bekanntesten Sehenswürdigkeiten gesehen haben. Denn eines wurde mir im Ausland auch bewusst.
Jetzt bin ich gespannt.
Man lernt, dass es für viele ein Traum ist, mal in die Schweiz zu kommen. Sie wollen das Land mal sehen, vor allem in Asien gilt die Schweiz teilweise als Sehnsuchtsort.
Zurück zu deiner Reise. Warst du eigentlich immer alleine unterwegs?
Nein, das war unterschiedlich. Ich hatte verschiedene Mitreisende. Vor allem auch in «schwierigeren» Ländern wie Turkmenistan, Mauretanien oder Nordkorea. Teilweise waren dies Freunde oder Bekannte, teilweise auch Leute aus der Vielreiser-Community.
Apropos Mauretanien: Ich würde ja gerne mal mit dem Iron Ore Train fahren. Hast du das gemacht?
Das war sicherlich eines meiner Top-10-Erlebnisse. Aber ich bin nicht sicher, ob ich es nochmals tun würde. Wir waren 12 Stunden auf dem Zug, bei der Abfahrt hatten wir 6 Grad in der Wüste, angekommen sind wir bei 35 Grad. Ich glaube übrigens auch, dass die Fahrten auf dem offenen Wagen für Ausländer mittlerweile verboten wurden.
Wenn wir schon bei den Top-10-Erlebnissen sind – welche Länder, die vielleicht nicht so als Reisedestinationen bekannt sind, kannst du empfehlen?
Da gibt es sehr viele. Palau ist für mich eines der schönsten Länder. São Tomé und Principe haben viele nicht auf dem Radar und Pakistan fand ich gut.
Und welches Land war speziell oder bescherte dir besondere Erlebnisse?
Auch hier ist die Liste lang. Geblieben ist mir meine Reise 2018 nach Afghanistan. Das war noch, bevor die Taliban die Kontrolle übernahmen. Nie war ich in einem Land so angespannt. In dieser Zeit war es üblich, dass regelmässig Autobomben in Kabul hochgingen. Ich war zwei Tage da, das Risiko war klein, aber es war mir doch unwohl. Ich trug das lokale Gewand und durch meine dunklen Haare fiel ich nicht sehr auf.
Wo hast du übernachtet?
In einem Hotel. Aber das war eher ein Hochsicherheitstrakt. Es war nirgends angeschrieben, du musstest wissen, wo es lag. Es ging dann erst durch eine Schleuse, dann durch Metalldetektoren wie am Flughafen, dann warst du drin.
Du bist ja auch auf Nauru vorbeigekommen. Wie war das?
Da bist du in vier Stunden rundherum spaziert. Das Visum war schwierig, die Anreise mühsam. Es gibt keine schönen Strände. Hin und wieder rostet was aus dem Zweiten Weltkrieg vor sich hin. Das lohnt sich nicht.
Du hast extrem viel erlebt. Aber durch die vielen Reisen auch viel «Alltag» verpasst. Was hast du vermisst?
Das eine oder andere Weihnachtsfest zu Hause. Das war halt immer eine gute Reisezeit. Auch mit dem Freundeskreis muss man aufpassen, dass man den nicht verliert. Oft hiess es dann: «Ah, du bist auch mal wieder im Land.» Dabei war ich ja die meiste Zeit da, aber auf Instagram sah man halt nur meine Reisen.
Kam dir eigentlich die Coronapandemie in die Quere?
Im März 2020 war ich im Senegal. Ich hatte wenig Internet und realisierte erst spät, dass das Virus sich auch in der Schweiz ausbreitet und es Probleme geben könnte. Ich machte mir keine Gedanken, dass ich nicht mehr zurückkommen könnte. Am Ende erwischte ich einen der letzten Flieger vor dem Shutdown.
Flugreisen und der CO2-Abdruck waren sicher auch ein Thema?
Mein CO2-Abdruck ist deutlich grösser als von anderen Menschen. Ich verzichtete auf unnötige Flüge und reiste –wenn möglich – über Land. Aber ja, der ökologische Preis ist mir klar.
Kam es deswegen auch zu Diskussionen?
Rund ab der Hälfte meines Projekts kam dies auf. Ich habe jetzt nie erlebt, dass Leute völlig gegen mein Projekt sind aufgrund der Flugreisen, aber es wurde immer mal wieder angesprochen. In den letzten Monaten hatte ich das Gefühl, dass die Flugscham wieder verschwunden ist.
Was machte all das Reisen mit dir?
Mein Konsum ging sehr zurück. Als Jugendlicher war ich ein sehr materialistischer Mensch. Heute sind mir Erinnerungen viel wichtiger. Die bleiben fürs Leben. Bevor ich etwas kaufe, frage ich mich immer, ob ich das wirklich brauche. Meist komme ich zum Schluss: brauche ich nicht.
Kannst du dir vorstellen, in der Schweiz alt zu werden, oder zieht es dich immer wieder fort?
Ich glaube, ich will den Rest meines Lebens in der Schweiz verbringen. Aber ja, vielleicht mal dem Winter entfliehen – warum nicht?
Du hast zu Beginn gesagt, dass du ziemlich emotionslos warst, als du dein letztes Land betreten hast. Wird man auch einfach müde vom Reisen?
Es war auf jeden Fall auch eine Erlösung. Zu Beginn ist man voller Euphorie. Man macht mal die einfachen Länder. Aber dann werden viele anstrengend, du nimmst die Korruption wahr und es kann auch gefährlich werden. Teilweise ist es den Preis nicht wert.
Was ist das Mittel, um trotzdem durchzuhalten?
Ab so 120 bis 130 Ländern entdeckst du nicht mehr so viel Neues. Da kam auch der Gedanke auf: Mach doch wieder einmal so richtig Ferien. Aber ich wollte durchbeissen. Ich habe mir bewusst auch einige coole Destinationen aufgespart. Kuba beispielsweise oder Myanmar. Und Island.
Island war dein 197. und letztes Land. Warum?
Das war nicht von Anfang an klar. Aber als ich so 80 bis 90 Länder besucht hatte, wollte ich mich festlegen. Ich wusste schon sehr bald, dass das letzte Land in Europa sein soll. Fünf waren da noch offen zu dem Zeitpunkt. Ich entschied mich für Island.
Und wie war's?
Es ist ein Land, wie ich es zuvor noch nie gesehen hatte, es war wie ein anderer Planet. Ich wäre eigentlich gerne schon früher hin, aber es hat sich definitiv gelohnt, Island bis zum Schluss aufzusparen.
Eine Mindestaufenthaltsdauer legte er nicht fest. Aber nur ein Flughafen-Zwischenstopp reichte nicht, er musste schon etwas «gesehen» haben. Der kürzeste Aufenthalt war in Monaco mit einem Nachmittag, in den meisten Ländern blieb er mindestens 24 Stunden, im Schnitt 6 Tage.
Auf roadto197.com und Instagram berichtete er von seinen Erlebnissen.
