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Syrien

Syrien nach Assad: Experte berichtet von Massengrab in Syrien

Nach dem Fall der Assad-Regierung tauchen im Land Massengräber auf.
Nach dem Fall der Assad-Regierung tauchen im Land Massengräber auf.Bild: imago images / Fadel Itani

«Überall verstreute Knochen»: Experte berichtet von Massengrab in Syrien

22.12.2024, 20:5923.12.2024, 14:39
Anne-Kathrin Hamilton / watson.de

Triggerwarnung: Im folgenden Text werden Gewalthandlungen geschildert, die belastend und retraumatisierend sein können.

Männer in Uniformen und mit Gewehren stehen vor einem Graben mitten in einem Wohngebiet. Zwischen dem grauen Schutt sticht ein roter Stofffetzen hervor, ein gelber Schuh, bunter Müll – und leblose, mit Blut verschmierte Körper. Es sind Bilder von Massenerschiessungen durch das Assad-Regime, die bereits 2012 um die Welt gingen.

Es ist kein Geheimnis oder eine Überraschung, dass jetzt, nach dem Sturz des brutalen Machthabers, Massengräber auftauchen.

Assads Soldaten stehen 2012 vor einem Massengrab in einem Vorort von Damaskus.
Assads Soldaten stehen 2012 vor einem Massengrab in einem Vorort von Damaskus.Bild: imago images / XINHUA

Seit Beginn des syrischen Bürgerkrieges 2011 ging Assad brutal gegen die Protestierenden und oppositionellen Kräfte vor. Das zeigen auch die Foltergefängnisse des syrischen Geheimdienstes, bekannt als «Assads Schlachthäuser».

Syrien: Regierungschef al-Dscholani fordert Aufklärung

50 Jahre lang regierte die Assad-Familie mit eiserner Hand das Land. Überraschend schnell gelang es islamistischen Rebellengruppen, dieser tyrannischen Herrschaft nun ein Ende zu setzen.

Abu Mohammed al-Dscholani, bisher Regierungschef der nordwestlichen Provinz Idlib, übernimmt die Führung einer Übergangsregierung. Er ist Anführer der islamistischen Rebellengruppe «Haiat Tahrir al-Scham» (HTS), die als treibende Kraft der Grossoffensive gegen das Regime gilt.

Laut ihm sollen die systematischen Menschenrechtsverletzungen der vergangenen Jahrzehnte aufgearbeitet werden. Der Menschenrechtsorganisation, Human Rights Watch (HRW), gelang es schon in den Jahren 2021 und 2022 ein Massengrab in Syrien ausfindig zu machen.

So fand Human Rights Watch schon 2021 ein Massengrab in Syrien

«Anhand eines Videos haben wir das Massengrab verifiziert – und sichergestellt, dass es authentisch ist – und es geolokalisiert», sagt Sam Dubberley auf watson-Anfrage. Er ist Leiter der HRW-Abteilung «Technologie, Rechte und Ermittlungen».

Damals haben er und sein Team die Merkmale des Gebäudes mit Satellitenbildern verglichen und den Standort im Tadamon-Viertel von Damaskus lokalisiert. «Diese digitale Untersuchung war von entscheidender Bedeutung zu einer Zeit, als es für HRW unmöglich war, nach Syrien zu gelangen», meint er. Das habe sich in den vergangenen zwei Wochen geändert.

Nun konnte das HRW-Team das Massengrab vor Ort besuchen.

Experte zu Syrien-Massengrab: Das ganze Gebiet sei ein Tatort

«Als wir das Gebiet besuchten, fanden wir überall verstreute Knochen. Wir wissen nicht, ob die Leichen der im Video hingerichteten Menschen noch dort begraben sind, aber wir glauben, dass viele andere in der Gegend von Tadamon getötet wurden», sagt Dubberley. Das ganze Gebiet sei ein Tatort.

Das Massengrab erstreckt sich laut ihm sieben Meter mal drei Meter und ist etwa zwei Meter tief. «Das haben wir mit photogrammetrischen Verfahren anhand der Daten im Video gemessen. Es befindet sich in einer engen Gasse zwischen zwei Gebäuden», führt der Experte aus.

Wie viele Menschen dort insgesamt begraben liegen, könne er nicht sagen. «Am Ort des Angriffs befanden sich 13 Leichen in der Grube, und in dem Video ist zu sehen, wie weitere elf Personen hingerichtet und in die Grube geworfen wurden», sagt er. Aber wie viele weitere Opfer dort oder in der Umgebung von Tadamon getötet oder begraben wurden, sei unbekannt.

Deshalb fordere HRW, dass das Gebiet gesichert wird. «Nur so ist eine ordnungsgemässe Exhumierung möglich und es können Beweise für die Verbrechen gesammelt werden», betont Dubberley.

HRW wird laut ihm die Standorte im Rahmen der laufenden Forschung weiter untersuchen. Das von HRW gefundene Massengrab ist allerdings nur eines von mehreren Massengräbern, die gerade im ganzen Land entdeckt werden.

In der Nähe der syrischen Hauptstadt Damaskus wurde ein Grab entdeckt, das sterbliche Überreste von rund 100'000 Menschen enthalten könnte, berichtet der arabische Nachrichtensender Al-Dschasira. Im Süden Syriens wurden zwölf Massengräber gefunden, heisst es weiter.

Eines davon enthielt 22 Leichen, darunter Frauen und Kinder, deren Überreste Anzeichen von Folter und Hinrichtung aufweisen sollen.

Al-Dscholani fordert die Vereinten Nationen und andere internationale Institutionen auf, bei der Dokumentation der vom Regime begangenen Menschenrechtsverletzungen zu helfen. Es kam bereits zu einem Treffen zwischen ihm und einem UN-Beauftragten. Auch die deutsche Regierung will Kontakt mit dem Islamisten aufbauen.

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25 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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Dr. Rodney McKay
22.12.2024 20:51registriert September 2024
Ich hoffe, dass diese Bilder den Weg in die Wohnzimmer der Russen/innen finden, damit sie sehen, was für ein herzensguter Mensch ihr Diktator….ehm ich meine natürlich Präsident doch ist das er dem Assad hilft.
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Rivka
22.12.2024 21:17registriert April 2021
Schlimm. Ich hoffe der neue Machthaber lässt weiterhin internationale Organisationen an der Aufklärung dieser Morde mitarbeiten. So nebenbei gibt es eigentlich einen internationalen Haftbefehl gegen Assad? Kann man den Typen und seine mörderische Sippe irgendwie zur Verantwortung ziehen...?
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    Noch hält Erdoğans wichtigste Stütze
    Trotz Massenprotesten und leisem Unmut in der eigenen Partei: Der türkische Präsident Recep Erdoğan kann weitermachen. Für die Unterstützer im Ausland ist er zu wichtig.

    «Erdoğan ist unser Vater, die Türkei ist unser Haus.» Als Strassengraffiti ist dieser Spruch schon seit Jahren auf Mauern oder Stromkästen in zahlreichen Dörfern und Städten der Türkei zu sehen. Hinter dem Satz steckt ein durch viele Generationen getragenes Verständnis vom geachteten bis gefürchteten Staat. Proteste gegen die Regierung waren selten. Bis zuletzt. Nach der Verhaftung des oppositionellen Istanbuler Bürgermeisters Ekrem Imamoğlu strömten erstmals seit zwölf Jahren Hunderttausende auf die Strassen. Polizisten nahmen Tausende Demonstrierende fest. Richter ordneten Hausarrest oder Untersuchungshaft an. Alles, um die alte Hierarchie zu schützen.

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