Er war noch gar nicht zurück, da war er schon wieder da. Schöner Zufall oder Scoop? Im Bundestag debattierten die Abgeordneten über die Streichung des sogenannten Majestätsbeleidigungsparagrafen 103 genau an jenem Tag, den Jan Böhmermann nach einer längeren theatralen Pause für die Rückkehr seiner Sendung «Neo Magazin Royale» ins Internet und Fernsehen anvisiert hatte.
Aber dass er für seine Show ein solches Warm-Up bekäme, konnte nun wirklich keiner vorhersehen: Der CDU-Hinterbänkler Detlef Seif rezitierte in der Sitzung noch einmal vollumfänglich Böhmermanns Erdogan-Schmähgedicht, phonetisch um Akkuratesse bemüht, vielleicht die Worte «Gelöt», «Schwanz» und «Schrumpelklöten» ein wenig überakzentuierend. Der Mann hatte nun mal einen Auftrag: Seif glaubte festgestellt zu haben, dass viele Menschen, die über das Gedicht reden, es in Wirklichkeit gar nicht kennen. Seine Bitte an den Plenarsaal: «Lassen Sie das in Gänze mal auf sich wirken!»
Die mit parlamentarischer Erregungspose formulierte Antwort Böhmermanns folgte flugs auf Twitter: «Ich beantrage hiermit die Aufhebung der Immunität des CDU-Abgeordneten Detlef Seif wegen Verstoßes gg. §103 StGB.»
Zeitgleich verschickte das Nachrichtenmagazin «heute plus» ein Mini-Interview über Twitter und YouTube, in dem sich der Moderator wie eine Mischung aus Graf von Montechristo, George Clooney und Til Schweiger inszenierte. War er nur vier Wochen vom Bildschirm weg oder vier Jahre in unschuldig in einem gottverlassenen Kerker eingeschlossen?
Der Bart im «heute-plus»-Interview schien jedenfalls voller, die Tolle grauer, der Tonfall salbungsvoller. Ein Auftritt zwischen verfolgter Unschuld, Elder Statesman und Erlöser mit Brechstange; die, Hallelujah, frohe Botschaft lautete: «Ich bin derjenige, der die Tür auftritt, und die Leute müssen gucken, was hinter der Tür ist. Mein Job ist das Sondereinsatzkommando, ich trete die Tür ein, nach mir kommt die Polizei, und guckt was in dem Raum drin ist.» Was für ein Aufritt. Bei Twitter und YouTube.
Bei ZDFneo war später vom Sondereinsatzkommando mit Brechstange dann nicht mehr so viel zu spüren. War Böhmermann am Mittwochnachmittag offiziell noch nicht zurück und doch schon überall, so war er beim «Neo Magazin Royale» zwar endlich zurück. Aber dann irgendwie auch schon wieder weg, zumindest gedanklich. Eine Sendung wie auf Autopilot; jedenfalls in grossen Teilen.
Dann werden auf einmal Ausschnitte aus der Demütigungs-Soap «Schwiegertochter gesucht» auf RTL gezeigt und man bekommt ein wenig Angst, dass sich Böhmermann mit diesen Samples der Menschenverachtung an Stefan Raabs ironischem Zitatvoyeurismus aus «TV Total» orientiert hat, weil er hier so ausgiebig Material aus Vera Int-Veens zynischer Sendung recyclet. Was ja auch nur zynisch wäre.
Doch das Ganze ist nur die Einleitung zu einem Projekt, das tatsächlich als kleiner Scoop zu werten ist: «Team Royaleraff». Böhmermanns Mannschaft imitiert und karikiert unter diesem Titel die Techniken des Enthüllungsjournalisten Günter Wallraff von RTL – um Missstände bei RTL aufzudecken. Bei «Schwiegermutter gesucht» wurden zwei Schauspieler mit versteckten Kameras eingeschleust, die aufdecken sollten, wie Int-Veens beim RTL-Publikum sehr beliebter Menschenzoo inszeniert wird.
Eine technisch gelungene, moralisch einwandfreie Enthüllung aus den unteren Sektionen des Privatfernsehens – die einen allerdings nicht wirklich vom Glauben an Vera Int-Veen und RTL abfallen lässt, schliesslich gerieten Moderatorin und Sender schon 2011 mit ihrer Denunzianten-Soap «Mietprellern auf der Spur» ins Visier der Landesmedienanstalten; bei den Aufnahmen war eine Treibjagd auf einen hier tatsächlich behinderten Menschen veranstaltet worden.
So besitzt #verafake nicht solche Sprengkraft wie #varoufake. Hier wird niemand in seinem Glauben erschüttert. Dass die über Monate geplante Undercover-Aktion gerade jetzt fertig produziert worden war, ist jedoch eine schöne Fügung. Sonst hätte Böhmermann wirklich komplett blank dagestanden.
Denn sein Gast Gregor Gysi entpuppt sich schliesslich als eher nicht so lustig. Und auch als nicht so provokant. Dabei wird er doch so schön eingeführt. Da erklärt Sidekick William Cohn im schönsten Serienchecker-Idiom: «Die neue Staffel von 'Bundestag' gefällt mir gar nicht, ohne ihn funktioniert die Serie nicht mehr.»
Und mit ihm funktioniert Böhmermann nicht. «Sie müssen schweigen», sagt Gysi. Das tut Böhmermann dann auch. Er schweigt sogar seeehr ausführlich. Der Rinderzüchter und Jurist Gysi erklärt dann erstmal das Rinderzüchten («Ich kann künstlich besamen») und darauf die Juristerei rund um Böhmi und Angie. Letzteres ebenfalls seeehr ausführlich.
Kurz: Die Witze waren schlecht, #verafake war gut. Aber die Gäste müssen jetzt mal endgültig weg. Und der Bart ab. Wir wollen wieder weniger von Montechristo, der verfolgten Unschuld, und mehr vom Böhmermann.