Die Solidarität, die flüchtenden Menschen aus der Ukraine entgegengebracht wird, ist gross. So gross, dass sich die Nichtregierungsorganisationen und freiwilligen Helfenden an den Grenzen inzwischen gegenseitig auf die Füsse treten. Journalisten vor Ort berichten von Kleintransportern, die die Strassen verstopfen, von Bergen an Toilettenpapier, Windelpackungen und Kuscheltiere, die vom Regen zerfressen werden. Und von religiösen Gruppierungen, die mit oder für die Flüchtenden beten und ihnen ihr Propagandamaterial in die Hände drücken.
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Die Hilfe von Zivilgesellschaft und Kirchen ist in Krisenzeiten zweifellos unverzichtbar. «Doch wenn hinter dem Mitgefühl eine eigennützige Absicht steht, wird es problematisch», sagt der Sekten- und Religionsexperte Hugo Stamm. Dies sei der Fall bei der Sekte Scientology, deren «Volunteer Ministers» derzeit an der ungarisch-ukrainischen Grenze Hilfsgüter verteilen oder Schlafplätze organisieren. Und nebenbei ihre pseudo-psychotherapeutischen Bücher verschenken und Berührungshilfen zur Glaubensheilung anbieten. Die Sekte wird von Experten als gefährlich eingestuft, weil sie ihre Mitglieder stark psychisch beeinflusst, unter Druck setzt und finanziell ausbeutet.
Auch in der Schweiz kümmern sich religiöse Gruppierungen und Kirchen bereitwillig um die ankommenden Flüchtenden aus der Ukraine. Die Freikirche Chrischona Frauenfeld hat fünf Frauen und sieben Kinder aus der Ukraine in ihren Räumlichkeiten untergebracht. Paul Bruderer, Initiant dieser Hilfsaktion, sagt gegenüber dem evangelikalen Webportal «livenet.ch»: «Es ist unsere Pflicht als Christen, dieser Not zu begegnen, mit den Möglichkeiten, die wir haben.» Paul Bruderer hofft, dass weitere Kirchen und Privatpersonen dem Beispiel seiner Gemeinde folgen. Auf einer neu gegründeten Internetplattform werden die Angebote koordiniert. Bereits haben sich acht weitere Landes- und Freikirchen sowie ein Kloster eingetragen.
Solange die Hilfe aus Nächstenliebe geschehe, sei das kein Problem, sagt Hugo Stamm, der regelmässig auf watson für einen Sektenblog schreibt. Heikel werde es, wenn hinter der Barmherzigkeit eine Missionierungsabsicht stehe. Am stärksten betreffe das Freikirchen. «Bei Evangelikalen ist der Auftrag, zu missionieren, ein zentraler Glaubensinhalt. Viele Gläubige befürchten, sündig zu werden, wenn sie die Botschaft Gottes nicht weiterverbreiten.»
Flüchtende seien deswegen für Evangelikale besonders interessant. «Jede gerettete Seele bringt den Gläubigen näher zu Gott. Flüchtende sind traumatisiert und sehr empfänglich für Trost und potenziell auch für die Botschaft Gottes», sagt Stamm.
Der Religionswissenschaftler und Leiter der evangelischen Informationsstelle «Relinfo», Georg Otto Schmid, sieht das ähnlich. Der Antrieb sei keineswegs ein bösartiger, denn aus ihrer Sicht wollten die Gläubigen den Flüchtenden ja tatsächlich helfen, indem sie ihnen die Wahrheit schenken. «Das Problem ist aber, dass es Schutzsuchenden keineswegs hilft, wenn ihnen eine Weltanschauung aufgedrückt wird und sie in eine Gemeinschaft gedrängt werden.»
Die meisten grossen Freikirchen hätten aber erkannt, dass es Grenzen gibt für ihren Missionierungsauftrag. «Sie wissen, dass sie beispielsweise am Arbeitsplatz nicht für den eigenen Glauben werben sollten», so Georg Otto Schmid. Und die meisten wüssten auch, dass sie die Situation von Menschen in Not nicht für ihre Mission ausnutzen dürfen. Ein Problem seien kleinere Gruppierungen, die unter dem Radar der Verbände aktiv sind. Oder Privatpersonen, die zu Hause Flüchtende aufnehmen und sie dann missionieren.
Georg Otto Schmid weiss von Fällen in Deutschland, wo ukrainische Geflüchtete den Platz wechseln mussten, weil sie von ihren Gastgebern missionarisch bearbeitet wurden. Von ähnlichen Fällen in der Schweiz hat der Religionswissenschaftler bisher nichts gehört. Es würde ihn aber nicht überraschen, wenn auch hier einzelne radikale Missionswerke Flüchtende gezielt angehen. «Das darf natürlich nicht passieren. Darum müssen die Gastgeber, die jetzt ukrainische Menschen aufnehmen, gut überprüft und gecoacht werden.»
Ich fand auch die Aktion Weihnachtspäckli eine gute Sache, bis ich an einem Vortrag über die Verteilung war und mir die Absicht der Hilfswerke klar wurde. Schade, sind die Seelenfänger nicht aus reiner Nächstenliebe für die Geflüchteten da.
Ich denke, es ist für die Flüchtlinge ebenso unangenehm (oder noch unangenehmer), wenn sie als billige Arbeitskräfte dienen, sexuelle Handlungen vornehmen sollen oder auf irgendeine Art und Weise psychischem Druck ausgesetzt werden..