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Ukraine

Chinesischer Journalist berichtet vom Krieg – mit russischen Infos

Ein chinesischer Journalist berichtet aus dem Krieg – mit russischen Informationen

Ein chinesischer Reporter scheint exklusiven Zugang zu Moskaus Seite der Invasion in der Ukraine zu haben: Seine Live-Berichte sind gespickt mit exklusivem Material von der russischen Seite – und russischen Falschinformationen.
16.03.2022, 13:4416.03.2022, 14:02
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Mit Splitterschutzweste und Helm hetzt der chinesische Reporter Lu Yuguang vom chinesischen Nachrichtensender Phoenix TV einer Strasse entlang, während hinter ihm ein russischer Panzer vorbeidonnert: «Ich bin an der Front in Mariupol», sagt er ins Mikrofon. In einer anderen Szene interviewt er einen russischen Soldaten, der sagt, er sei nicht nervös, da er «seit acht Jahren kämpft». Lus Sonnenbrillen sind dabei mindestens erwähnenswert.

Video: watson

Lu sei ein erfahrener Kriegsreporter – und sehr wahrscheinlich der einzige Auslandskorrespondent, der direkten Zugang zu russischen Informationen habe, schreibt der britische «The Guardian».

>>> Alle Entwicklungen im Ukraine-Krieg im Liveticker <<<

Keiner ist so nahe an den Russen dran

Die Zeitung hat die Beiträge Lus ausgewertet, die seit Beginn der Invasion vor fast drei Wochen gesendet werden – immer aus Städten, die von den Russen angegriffen werden. Dabei hat der «Guardian» festgestellt: Lu scheint laufend exklusiven Zugang zur russischen Seite des Konflikts zu erhalten.

In einem Bericht vom 2. März interviewte er zum Beispiel den Führer der selbsternannten Republik Donezk, Denis Puschilin. Und erklärte dem chinesischen Fernsehpublikum, dass die örtlichen Milizen sich eigentlich nicht mit den ukrainischen Streitkräften messen könnten, «aber mithilfe der russischen Armee haben die ostukrainischen Milizen 40 Wohngebiete befreit. Der Sieg weitet sich immer weiter aus.»

Der Guardian verweist darauf, dass kein anderer ausländischer Journalist mit so unmittelbarer Nähe von der russischen Seite der Invasion berichte. Lus Beiträge stehen somit in krassem Gegensatz zu allen anderen Beiträgen ausländischer Kriegsberichterstatter.

Die Frage nach der Freundschaft zwischen Peking und Moskau

Dass China und Russland eine partnerschaftliche Beziehung pflegen, ist bekannt. Just vor den Olympischen Spielen in Peking, am 4. Februar 2022, unterzeichneten der chinesische Präsident Xi Jinping und der russische Präsident Wladimir Putin eine 5300 Wörter umfassende Erklärung, in der sie die NATO-Erweiterung anprangerten, erklärten, dass ihre Partnerschaft «keine Grenzen» hätte und versicherten, dass sie eine neue globale Ordnung mit echter «Demokratie» schaffen wollten.

Chinese President Xi Jinping, right, and Russian President Vladimir Putin talk to each other during their meeting in Beijing, China, Friday, Feb. 4, 2022. Putin on Friday arrived in Beijing for the op ...
Der chinesische Präsident Xi Jinping und der russische Präsident Wladimir Putin am 4. März in Peking.Bild: keystone

Nun hat Peking seit Beginn des Krieges damit zu kämpfen, seine Unterstützung für Moskau mit den zahlreichen internationalen Sanktionen in Einklang zu bringen. Darum hat China sich stets bemüht, in dem Konflikt eine scheinbar neutrale Position einzunehmen – weigert sich aber, Russlands Vorgehen als «Krieg» zu bezeichnen. Zudem zementieren Xis Sprecher regelmässig das antiwestliche Narrativ, indem sie die USA und die Nato für den «Konflikt» in der Ukraine verantwortlich machen.

Regelmässige Desinformationen

Lu sei in China einer der bekanntesten Journalisten, schreibt der «Guardian». Da ist es umso bemerkenswerter, dass seine Berichte regelmässig russische Desinformationen enthalten – zum Beispiel die Behauptung, dass mehr als 1000 Menschen von ukrainischen Kämpfern als menschliche Schutzschilde festgehalten würden.

Allerdings soll es auch Kritik an Lus Arbeit von chinesischer und russischer Seite gegeben haben: Ein Interview mit ukrainischen Zivilisten sowie die geäusserte Kritik, dass chinesische Internetnutzer ukrainische Frauen objektivieren würden, hätten chinesische und russische Trolls auf den Plan gerufen, weiss der «Guardian».

Laut den Profilen auf der Website von Phoenix TV und Reportagen über Lu sei der Korrespondent ein ehemaliger Marineoffizier der Volksbefreiungsarmee, der mehrere Jahrzehnte in Moskau gelebt und von dort als Auslandskorrespondent berichtet habe. Zudem habe er immer wieder live aus dem Tschetschenienkrieg berichtet, wo er bereits unter dem Schutz des russischen Militärs gestanden habe. Für seine Berichterstattung wurde er mehrfach von der russischen Regierung und dem Militär ausgezeichnet.

Der ungewöhnliche Zugang von Lu zu russischen Informationen hat jetzt erneut Fragen über das Ausmass der Zusammenarbeit zwischen Moskau und Peking im laufenden Krieg aufgeworfen.

Über eine weitere russische Infokriegerin:

(yam)

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73 Kommentare
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smartash
16.03.2022 13:54registriert Dezember 2016
„Lu sei in China einer der bekanntesten Journalisten, schreibt der «Guardian». Da ist es umso bemerkenswerter, dass seine Berichte regelmässig russische Desinformationen enthalte“


Dass seine Berichte regelmäßig russische Fehlinterpretationen enthalten, finde ich überhaupt nicht „bemerkenswert“, sondern absolut logisch.
Es wäre Bemerkenswert wenn ein chinesischer „Journalist“ ohne Falschinformationen berichten würde
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DontPeng
16.03.2022 14:39registriert Januar 2021
Da lach ich mir einen Schranz in den Bauch, dass Moskau und Pekinig "echte Demokratien" in einer neuen Weltordnung errichten wollen. Die haben doch Alle nicht alle Tassen im Schrank.
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Major Tupperware
16.03.2022 15:00registriert November 2019
Was die Chinesen unter "echter Demokratie" verstehen haben sie in Hong Kong der Weltöffentlichkeit bereits gezeigt. Als nächstes Planen sie "echte" Demokratie in Taiwan zu installieren.

Herzliche Grüsse aus Absurdistan
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