Erstmals seit Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine hat Kremlchef Wladimir Putin offenbar besetzte Gebiete des Nachbarlandes besucht. Wie der Kreml in der Nacht zum Sonntag mitteilte, hatte Putin der in schweren Kämpfen zerstörten Hafenstadt Mariupol am Asowschen Meer einen «Arbeitsbesuch» abgestattet.
Das russische Staatsfernsehen zeigte den 70-Jährigen am Steuer eines Autos beim Fahren durch die nächtliche Stadt. Zu sehen waren am Rande auch Zerstörungen an Gebäuden.
Nach seiner Ankunft in einem Hubschrauber habe er sich bei einer Rundfahrt über die Lage informiert und sich auch mit Bewohnern der Stadt unterhalten, teilte der Kreml weiter mit. Russlands stellvertretender Regierungschef Marat Chusnullin habe Putin über den Stand der Wiederaufbauarbeiten informiert. «Die Menschen beginnen, in die Stadt zurückzukehren», sagte Chusnullin auf dem Beifahrersitz. In Mariupol gebe es wieder Strassenbeleuchtung und Busverkehr, hiess es weiter.
Das Staatsfernsehen zeigte dem Bericht zufolge auch den Besuch Putins in der Philharmonie der Stadt, wo der Präsident auf einem Stuhl in einem Saal Platz nahm. Nach Darstellung Chusnullins ist zudem ein Universitätsgebäude samt Studentenwohnheim intakt. Gezeigt wurden auch Bürger, die Putin für den unangekündigten Besuch dankten. Unabhängig überprüfbar sind diese Darstellungen nicht.
An diesen Darstellungen gibt es auch Zweifel. Immer wieder veröffentlicht die Kreml-Propaganda Bürger-Gespräche, bei denen sich die Teilnehmer im Nachhinein als Schauspieler oder als besonders regierungstreu herausstellen (wie etwa bei dieser Gelegenheit).
«Erstaunlicherweise scheint Putin Mariupol tatsächlich besucht zu haben», schrieb etwa der Osteuropawissenschaftler Stephen Hall von der britischen Universität Bath und führte weiter aus: «Ich behalte mir immer noch ein Urteil vor. Putin hat viele Doppelgänger und die 'dankbaren' Bewohner waren wahrscheinlich Sicherheitspersonal in Zivil.»
Der Ukraine-Korrespondent des «Wall Street Journals», Matthew Luxmoore, teilte den TV-Ausschnitt, in dem Putin die angeblichen Anwohner trifft. «In Moskau werden ganze Strassenzüge geräumt, wenn er vorbeikommt, aber das russische Staatsfernsehen will den Russen weismachen, dass diese Welle der Dankbarkeit spontan ist», schreibt er dazu.
Russian state TV clip of Putin’s visit to Mariupol, with “local residents” thanking him for coming. Entire streets are cleared in Moscow when he passes through, but Russian state TV wants Russians to believe this outpouring of gratitude is spontaneous. pic.twitter.com/QMsKsf9r79
— Matthew Luxmoore (@mjluxmoore) March 19, 2023
Der Berater des ukrainischen Innenministeriums, Anton Gerashchenko, hat eine weitere Vermutung: «Dieser Besuch wirkt übereilt und ungeplant», schreibt er bei Twitter. «Es wirkt wie eine erbärmliche Reaktion auf die Entscheidung des Internationalen Strafgerichtshofs.» Der Gerichtshof hatte vergangene Woche einen Haftbefehl gegen Putin erlassen.
War criminal Putin visited Crimea and Mariupol for the first time since the full-scale invasion began.
— Anton Gerashchenko (@Gerashchenko_en) March 19, 2023
This visit looks hasty and unplanned.
It seems like a pathetic response to the decision of International Criminal Court.
Putin looks lost, uncertain, and weak. pic.twitter.com/gixRv7kK04
Der Berater von Präsident Wolodymyr Selenskyj, Mychailo Podoljak, verurteilte Putins Besuch mit den Worten: «Der Verbrecher kehrt immer an den Tatort zurück.» Auf Twitter schrieb er weiter: «Während die zivilisierte Welt die Verhaftung des 'Kriegsdirektors' (...) für den Fall ankündigt, dass er ihre Grenzen überschreitet, kam der Mörder von Tausenden von Familien aus Mariupol, um die Ruinen der Stadt und die Gräber zu bewundern.» Podoljaks Fazit: «Zynismus und Mangel an Reue.»
Nach Kremlangaben führte Putin in der russischen Stadt Rostow am Don nahe der Ukraine zudem eine Sitzung in einer Kommandostelle für die «militärische Spezialoperation» gegen die Ukraine, wie der Krieg in Russland offiziell genannt wird. Dort liess sich der Präsident von Kommandeur Waleri Gerassimow, der auch Chef des russischen Generalstabs ist, und anderen Offizieren über den Gang der Kampfhandlungen in dem Nachbarland unterrichten.
Putin hatte am Samstagnachmittag die 2014 annektierte ukrainische Schwarzmeer-Halbinsel Krim besucht. Das Staatsfernsehen verbreitete zum 9. Jahrestag der Einverleibung Bilder, auf denen der Kremlchef wiederum selbst am Steuer eines Autos und bei der Eröffnung einer Kunstschule für Kinder in der Hafenstadt Sewastopol zu sehen war. Auch hier sorgten Bilder des Besuches für Spekulationen, wie Sie hier sehen können.
Russland hatte den Angriffskrieg gegen die Ukraine am 24. Februar des Vorjahres begonnen. Mariupol wurde von russischen Truppen belagert und geriet erst am 20. Mai unter vollständige Kontrolle des russischen Militärs. Die Stadt wurde während der Kämpfe weitgehend zerstört. Die Ukraine kündigte an, Mariupol zu befreien.
(t-online/dpa)
Er wurde wegen Deportation von Kindern angeklagt - nicht?
Nein.... das stimmt nicht.