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NATO wird 75 – die wichtigsten Zahlen und Fakten zum Militärbündnis

Die Flagge der Nato weht vor dem Hauptquartier des Verteidigungsbündnisses in Brüssel.
Die Flagge der NATO weht vor dem Hauptquartier des Verteidigungsbündnisses in Brüssel.Bild: www.imago-images.de

75 Jahre NATO – wieder die gleiche Aufgabe, aber unter anderen Vorzeichen

«No Action, Talk Only» – lange galt die NATO als tot oder als Relikt des Kalten Krieges. 75 Jahre nach seiner Gründung erlebt der Nordatlantikpakt wegen des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine aber neue Relevanz. Das sind die wichtigsten Zahlen und Fakten zum westlichen Militärbündnis.
04.04.2024, 17:0505.04.2024, 07:41
Philipp Reich
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Die Gründung

Wir schreiben den 4. April 1949, als die Tinte auf dem Nordatlantikpakt gerade zu trocknen beginnt. Es ist die Geburtsstunde der nach dem Pakt benannten «North Atlantic Treaty Organization» – besser bekannt als NATO. Zwölf Länder unterzeichnen das Bündnis:

  • 🇧🇪 Belgien
  • 🇩🇰 Dänemark
  • 🇫🇷 Frankreich
  • 🇬🇧 Grossbritannien
  • 🇮🇸 Island
  • 🇮🇹 Italien
  • 🇨🇦 Kanada
  • 🇱🇺 Luxemburg
  • 🇳🇱 Niederlande
  • 🇳🇴 Norwegen
  • 🇵🇹 Portugal
  • 🇺🇸 USA

Das grosse Ziel: mehr Sicherheit. Nach dem Zweiten Weltkrieg spitzt sich der Konflikt zwischen dem Westen und der Sowjetunion schnell zu. Spätestens nach der Machtergreifung der Kommunisten in der ehemaligen Tschechoslowakei 1948 wächst die Angst des Westens vor einer zunehmenden Einflussnahme der Sowjetunion in Europa. Das Verteidigungsbündnis soll als Bollwerk gegen die Bedrohung des Kommunismus fungieren.

Der Engländer Baron Hastings Ismay, erster Generalsekretär des Bündnisses, erklärte die Kernaufgaben der NATO einst kurz und prägnant so: Man müsse die «Sowjetunion draussen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen klein halten». Mit der Zeit pendelt sich ein Gleichgewicht des Schreckens ein. Sowohl die NATO als auch der Warschauer Pakt verfügen über genügend Atomwaffen, um einander zu vernichten.

Stetige Erweiterung

In den letzten 75 Jahren sind zu den 12 Gründerstaaten 20 weitere hinzugekommen. Jüngst traten Finnland und Schweden bei, weil sie Schutz vor Russland suchen. Der Ukraine und Georgien ist ein Beitritt bereits 2008 zugesichert worden, aus dem gleichen Grund. Denn der NATO-Bündnisfall (Artikel 5), der in Kraft tritt, wenn ein Mitgliedsstaat angegriffen wird, besagt, dass alle anderen NATO-Staaten einem betroffenen Land zu Hilfe eilen müssen. Auch militärisch.

Die Erweiterung der NATO nach Osten begann vor 25 Jahren mit ehemaligen Mitgliedern des Warschauer Paktes, also des aufgelösten Militärbündnisses des Ostblocks: Polen, Tschechien und Ungarn. Damals herrschte in ganz Europa Aufbruchstimmung. Den Kalten Krieg wähnte man gewonnen, Russland wurde als Partner angesehen.

Präsident Boris Jelzin hatte 1997 vertraglich zugesichert, keine Einwände gegen eine Osterweiterung zu erheben. Als Mitglieder folgten 2004 die baltischen Staaten, die Slowakei, Slowenien, Bulgarien und Rumänien. 2009 traten Albanien und Kroatien der Allianz bei. 2017 und 2020 nahm die NATO mit Montenegro und Nordmazedonien weitere Teile des ehemaligen Jugoslawiens auf.

Die jüngste Entwicklung

Der Kampf gegen den Terror schien nach der Jahrtausendwende die neue Aufgabe der NATO zu werden. Nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Beitritt vieler osteuropäischer Staaten wiegte sich das Bündnis in Sicherheit. Eine Phase der finanziellen und militärischen Trägheit begann. NATO – «No Action, Talk Only» wurden die vier Buchstaben einem damals geläufigen Witz zufolge übersetzt.

Doch Anfang der 2000er-Jahre begann Russlands neuer Präsident Wladimir Putin plötzlich, die Osterweiterung der NATO scharf zu kritisieren. Er behauptete, dass der Sowjetunion bei der Wiedervereinigung Deutschlands versprochen wurde, dass die NATO sich nicht in den ehemaligen sowjetischen Einflussbereich ausdehnen werde. Allerdings wurde eine solche Vereinbarung nie zugesichert.

Russian President Vladimir Putin gestures speaking during a joint news conference with German Chancellor Olaf Scholz following their talks in the Kremlin in Moscow, Russia, Tuesday, Feb. 15, 2022. Put ...
Russland-Präsident Wladimir Putin fordert die NATO offen heraus.Bild: keystone

Spätestens nach den Beitrittsversprechen der NATO an die Ukraine und an Georgien legte Putin einen strategischen Schalter um: 2008 brachte er Teile Georgiens unter russische Kontrolle, 2014 annektierte Russland die ukrainische Krim und unterstützte Separatisten in der Ostukraine. 2022 folgte schliesslich der Angriff auf die gesamte Ukraine.

Die NATO ist seither so gefordert wie seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Der Ukraine wurde bedingungslose Unterstützung zugesagt, viele Mitgliedsstaaten liefern Waffen und Munition. Zudem stärkt die NATO ihre Flanken in Europa wie noch nie zuvor. Multinationale Kampfgruppen sind an der Ostgrenze des Bündnisses in Ländern wie Bulgarien, Litauen, Polen und der Slowakei stationiert und nahe der rumänischen Hafenstadt Constanta entsteht derzeit die grösste NATO-Basis Europas.

Mehr als 10'000 Soldaten samt ihren Familien sollen dort stationiert werden können, insgesamt also womöglich mehr als 30'000 Menschen. Dabei gehe es der NATO vor allem um Abschreckung, erklärt Politikanalyst Dorin Peopescu gegenüber t-online. Da sich der Ukraine-Krieg und die russische Bedrohung Osteuropas hinziehen, sei eine verstärkte Präsenz des Verteidigungsbündnisses in der Region «zwingend erforderlich».

Die aktuellen Kräfteverhältnisse

Die neusten Zahlen des «Global Firepower Index», der die militärische Stärke von 145 Staaten weltweit misst, zeigen, dass die NATO Russland in allen wichtigen militärischen Kategorien deutlich überlegen ist. So besitzt das westliche Verteidigungsbündnis über mehr als doppelt so viel militärisches Personal, über die deutlich grössere Luftwaffe und über klar überlegene Seestreitkräfte. Allerdings darf man bei solchen Vergleichen nicht vergessen, dass Russland auch eine der grössten Atommächte der Welt ist und die NATO keine einheitlichen Absichten vertritt.

Zweifel an den USA

Nicht nur Wladimir Putin hat die NATO zuletzt aber aus ihrem Dornröschenschlaf geholt, auch Donald Trump hat daran seinen Anteil. Der einstige US-Präsident und aktuelle Präsidentschaftskandidat machte lautstark deutlich, dass er Unterstützung nur gegen zusätzliches Geld von den Mitgliedstaaten garantiere, und spielte gar mit dem Gedanken an einen NATO-Austritt der USA.

Sollten die USA als wichtigster Verbündeter tatsächlich aus der NATO aussteigen oder ernste Zweifel aufkommen, dass sie ihren Verbündeten im Ernstfall zur Hilfe kommen, wäre das vermutlich der Todesstoss für das Bündnis. Die Europäer müssten die politische Führungsleistung der USA kompensieren und gleichzeitig die militärischen Beiträge decken, welche die USA bisher in die NATO eingebracht haben. Eine Herkulesaufgabe – vor allem in Anbetracht des Fakts, dass sich die europäischen Staaten zuletzt selten einig waren.

Immerhin: Der amtierende US-Präsident Joe Biden beschwor zuletzt die Beistandsformel des Artikels 5 als «heilig und unverbrüchlich». Beim jüngsten NATO-Gipfel 2023 im litauischen Vilnius beschrieb er den Zustand des nordatlantischen Bündnisses so: «Heute ist unsere Allianz ein Bollwerk für globale Stabilität und Sicherheit, so wie sie es seit über sieben Jahrzehnten war. Die NATO ist stärker, energiegeladener und geeinter als jemals zuvor.» Dies gilt allerdings nur, wenn Biden im kommenden November US-Präsident bleibt.

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Die Geschichte der Nato
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Die Geschichte der Nato
1949: In Washington wird am 4. April der Nordatlantikvertrag unterzeichnet. Das Bündnis hat anfangs zwölf Mitglieder: Belgien, Dänemark, Frankreich, Grossbritannien, Island, Italien, Kanada, Luxemburg, die Niederlande, Norwegen, Portugal und die USA.
quelle: epa/u.s. national archives / u.s. national archives and records administration / handout
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55 Kommentare
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Kommentar*innen
04.04.2024 18:11registriert Juni 2018
Konträr zur Neutralitätsinitiative zur SVP finde ich, dass unsere Neutralität nicht mehr zeitgemäss ist und gehört abgeschafft. Sie dient v.a. nur noch irgendwelchen Finanzbaronen. Einen Beitritt ins Nato-Bündnis begrüsse ich sehr.
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Kellner
04.04.2024 18:28registriert März 2023
Hier wird im Zusammenhang mit der NATO vermutlich wieder x-fach geschrieben werden, dass die Schweiz nur Profiteurin oder Rosinenpickerin sei.

Dabei wird oft erwähnt, wie beschämend es doch ist, dass sich die Schweiz in der Ukraine viel zu wenig engagieren würde. Null Waffenlieferungen zum Beispiel.

Gegenüber allen, die sich stark in oder für die Ukraine engagieren ist dies eine Frechheit.

Die Schweiz hat von allen Ländern weltweit am 2. meisten für humanitäre Hilfen aufgewendet. Mit 2.4 Milliarden € stehen wir bei der Unterstützung für die Ukraine an 11. Stelle…
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scrum-half
04.04.2024 20:04registriert Oktober 2023
Wenn wir eine Armee wollen, die unser Land effektiv schützt, wenn wir darin investieren wollen, dann hat diese Armee im Rahmen der NATO zu operieren. Schweden und Finnland machen es vor. Tritt die Schweiz nicht der NATO bei, bleibt die Armee, was sie ist: eine Art Beschäftigungsprogramm ohne viel Wirksamkeit. Abgesehen von der Mithilfe am Lauberhorn und dergleichen.
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