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ETH-Studie: Zustimmung zu Neutralität seit Ukrainekrieg klar gesunken

Die kriegerischen Handlungen in der Ukraine halten seit über zwei Jahren an.
Die kriegerischen Handlungen in der Ukraine halten seit über zwei Jahren an.Bild: keystone

So sicher fühlt sich die Schweizer Bevölkerung – das Wichtigste in 8 Punkten

26.03.2024, 14:0226.03.2024, 14:31
Ralph Steiner
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Der russische Angriffskrieg in der Ukraine, der Krieg in Gaza, die Zukunft der NATO: Es existieren derzeit zahlreiche geopolitische Faktoren, welche das Sicherheitsempfinden der Schweizer Bevölkerung beeinflussen.

Die für die Deutschschweiz, die Romandie und das Tessin repräsentative Studie «Sicherheit 2024» ergründet die Haltung der Schweizerinnen und Schweizer bezüglich Aussen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Herausgebende sind die Dozentur Militärsoziologie der Militärakademie (MILAK) an der ETH Zürich und das Center for Security Studies (CSS) der ETH.

Das sind die acht wichtigsten Punkte:

Allgemeines Sicherheitsempfinden

Die aktuellen Zahlen zeigen, dass sich die Schweizer Bevölkerung im Allgemeinen fast gleich sicher fühlt wie vor einem Jahr. Aktuell liegt der Wert («Sehr sicher» und «Eher sicher») bei 92 Prozent, zwei Prozentpunkte tiefer als im vergangenen Jahr.

Frauen und Personen mit geringer Bildung fühlen sich weniger sicher als andere Kohorten, insgesamt verbleibt das Sicherheitsgefühl der Schweizerinnen und Schweizer aber auf hohem Niveau.

Vergleicht man die Zahlen mit denen vom Januar 2022, also vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine, zeigt sich, dass der Anteil an Personen, die sich «sehr sicher» fühlen, von 36 auf 29 Prozent gesunken ist.

Einschätzungen zur Zukunft

Die Veränderungen zu den Werten aus dem Jahr 2022 manifestieren sich auch in den Zukunftsaussichten für die Schweiz aus Sicht der Schweizer Bevölkerung. 79 Prozent («Sehr optimistisch» und «Eher optimistisch») der Befragten zeigten sich in der aktuellen Erhebung optimistisch, sieben Prozentpunkte weniger als noch vor zwei Jahren.

Gleichzeitig ist der Anteil an Personen, welche die Zukunft der Schweiz als «eher pessimistisch» betrachten, um sieben Prozentpunkte gestiegen. Menschen mit geringer Bildung sind in der Tendenz weniger optimistisch; je sicherer sich eine Person fühlt, desto optimistischer ihr Blick in die Zukunft.

Vertrauen in Institutionen

Die Studie «Sicherheit 2024» hat sich auch mit dem Vertrauen in öffentliche Institutionen und Behörden befasst. Die Zahlen zeigen, dass das Vertrauen der Schweizer Bevölkerung in die Wissenschaft am grössten ist, danach folgen die Polizei und die Gerichte.

Am geringsten ist das Vertrauen in die politischen Parteien, in die Medien und in die künstliche Intelligenz. Gesamthaft erreicht das Vertrauen auf einer Skala von 1 bis 10 einen Wert von 6,8 und verbleibt damit auf einem überdurchschnittlichen Niveau. Das Vertrauen in den Bundesrat und das eidgenössische Parlament sind jedoch gemäss den Studienautoren signifikant gesunken.

Die Werte zur «öffentlichen Verwaltung» und zur «künstlichen Intelligenz» wurden erstmalig erhoben.

Das Vertrauen in die Wissenschaft steigt mit Zunahme des Bildungsniveaus; besonders hoch ist es zudem bei Personen, die sich als politisch links einstufen. Frauen weisen ein geringeres Vertrauen in die Wissenschaft vor als Männer, ebenso Personen ab 50 Jahren.

Einstellung zur Neutralität

Die Interpretation ist klar: 91 Prozent der Schweizer Bevölkerung befürwortet die Beibehaltung der Neutralität. Dieser Wert liegt allerdings signifikant unter demjenigen von 2022, also vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine (97 Prozent), und auch leicht unter dem Durchschnitt der vergangenen zehn Jahre (Ø 2014 – 2024: 95 Prozent).

Die Zustimmung zur differenziellen Neutralität (blaue Kurve) beträgt im Januar dieses Jahres 51 Prozent, 6 Prozentpunkte tiefer als im Vorjahr.

Nur 26 Prozent der Befragten sind der Meinung, dass die Schweiz nicht nur bei politischen (differenzielle Neutralität), sondern auch bei militärischen Konflikten im Ausland klar Stellung beziehen sollte. Dieser Wert liegt mit plus 9 Prozentpunkten signifikant höher als noch im Januar 2021.

Weltpolitische Lage

Der Krieg in der Ukraine und der Konflikt im Nahen Osten wirken sich deutlich auf die Einschätzung bezüglich Entwicklung der weltpolitischen Lage aus. Lediglich 18 Prozent der Schweizer Bevölkerung sind «Sehr optimistisch» oder «Eher optimistisch».

Dieser Wert liegt einerseits 6 Prozentpunkte unter demjenigen des Vorjahrs und ist andererseits am tiefsten, seit die Frage in der Erhebung in dieser Form gestellt wird.

Im Gegenzug ist der Pessimismus («Sehr pessimistisch» und «Eher pessimistisch») hinsichtlich weltpolitischer Lage verglichen mit den Werten von 2022 (+10 Prozentpunkte) und 2023 (+7 Prozentpunkte) signifikant angestiegen.

NATO

Die Frage ist seit dem Einmarsch Russlands in die Ukraine auch in der Schweiz omnipräsent: Soll sich die Schweiz der NATO annähern oder gar beitreten?

52 Prozent der Befragten («Sehr einverstanden» und «Eher einverstanden») sprechen sich im Januar 2024 für eine Annäherung an die NATO aus, 30 Prozent («Sehr einverstanden» und «Eher einverstanden») sind für einen NATO-Beitritt. Diese Werte haben sich verglichen mit den vergangenen zwei Jahren nicht signifikant verändert, steigen seit 2019 aber tendenziell leicht an.

EU-Beitritt

Sehr interessant sind auch die Studienresultate zur Europäischen Union. Lediglich 17 Prozent sind «sehr» (3%) oder «eher» (14%) einverstanden mit einem vorbehaltlosen EU-Beitritt.

Ältere Personen befürworten einen Beitritt eher als jüngere Menschen. Bei vergangenen Erhebungen (bis 2007) waren die über 65-Jährigen in der Tendenz eher kritisch eingestellt, während die jüngsten Stimmberechtigten einem EU-Beitritt am offensten gegenüberstanden. Ein weiterer Befund: Je politisch linker eine Person, desto eher unterstützt sie einen Beitritt (links: 34 %, rechts: 9%).

82 Prozent der befragten Personen («Sehr einverstanden» und «Eher einverstanden») befürworten im Januar 2024 eine stärkere wirtschaftliche Zusammenarbeit mit der EU, allerdings ohne ihr beizutreten.

Die Zustimmung zu einer Zusammenarbeit ohne Beitritt sinkt im politisch linken Spektrum signifikant. Auch Menschen, die sich als stark rechts einstufen, vertreten diese Haltung weniger. Ebenso Personen, die in der Westschweiz wohnhaft sind.

Armee

In der Studie «Sicherheit 2024» wurden die Teilnehmenden auch zur Legitimation einer Armee befragt. Die Zahlen zeigen, dass 82 Prozent («Unbedingt notwendig»: 40% und «Eher notwendig»: 42%) die Armee als staatliches Gewaltinstrument unterstützen, ein signifikanter Anstieg der Zustimmung im Vergleich zu den Vorjahren.

Vor Ausbruch des Krieges in der Ukraine – bei der Befragung im Januar 2022 – lag die Zustimmung bei 75 Prozent, ein Jahr später (2023) bei 78 Prozent.

Die soziodemografische Auswertung zeigt, dass Personen, die sich als rechts einstufen, die Armee deutlich öfter als notwendig erachten. Allerdings ist die Zustimmung auch im politisch linken Lager gegenwärtig ausgesprochen hoch, wie es in der Studie heisst (links: 67%, Mitte: 87%, rechts: 91%).

Die Zustimmung zur Notwendigkeit einer Armee ist in der Deutschschweiz höher als in der Romandie und im Tessin. Ausserdem ist bei der aktuellen Erhebung auffällig, dass – im Vergleich zu früheren Messungen – deutlich mehr Personen mit hoher Bildung die Armee als notwendig erachten.

Methodik
Für die Studie «Sicherheit 2024» wurden durch YouGov Schweiz (ehemals LINK Marketing Services AG) zwischen dem 3. Januar 2024 und dem 22. Januar 2024 insgesamt 1223 Personen befragt, welche repräsentativ für die Schweizer Stimmbevölkerung in den drei grossen Sprachregionen (Deutschschweiz, Romandie und Tessin) sind. Zu den jährlich gestellten Standardfragen wurden auch Fragen zu aktuellen sicherheitspolitischen Themen gestellt.

Bei der Befragung liegt der mögliche Stichprobenfehler bei einem Sicherheitsgrad von 95% im ungünstigsten Fall bei ± 2,9 Prozentpunkten. Damit bedeutet ein gemessener Wert von 50%, dass der wahre Wert mit einer Wahrscheinlichkeit von 95% zwischen 47,1% und 52,9% liegt.
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71 Kommentare
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Die beliebtesten Kommentare
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scrum-half
26.03.2024 14:37registriert Oktober 2023
Im Falle eines mörderischen, völkerrechtswidrigen, imperialistischen Angriffs in der unmittelbaren Nachbarschaft, wie dem Überfall des Russischen Reiches auf die Ukraine, kann es keine „Neutralität“ geben. „Neutralität“ bedeutet Gleichbehandlung der Konfliktparteien. Damit wird jedoch der Angreifer belohnt. „Neutralität“ ist also bei Lichte betrachtet Komplizenschaft mit Aggressoren, zb mit Wladimir dem Schrecklichen
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Lowend
26.03.2024 14:20registriert Februar 2014
Die Neutralität ist im Prinzip ein Ding, dass uns von fremden Mächte am Wiener Kongress gegen unseren Willen aufgezwungen wurde, um unsere damaligen Grossmachtphantasien einzudämmen.

Dass sich jetzt eine Partei, die gegen das Diktat von fremden Richtern kämpft, voll hinter das damalige Verdikt von fremden Mächten stellt, ist im Grunde ein Treppenwitz der Geschichte, wenn auch ein ganz miserabler.
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Triumvir
26.03.2024 15:22registriert Dezember 2014
Die Schweden und Finnen sind cleverer als wir und haben ihre Neutralität aufgegeben. Wir sollten das auch in Erwägung ziehen, bevor es zu spät ist...Wir könnten dann auch endlich unser peinliches herumlamentieren punkto Waffenlieferungen an die Ukraine aufgeben. Die Ukrainer verteidigen nämlich derzeit Europa im Alleingang und wir tun so gut wie gar nichts...
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    Erwerbsquote bei Ukraine-Geflüchteten bleibt unter dem Zielwert von 40 Prozent

    Immer mehr Geflüchtete aus der Ukraine haben in der Schweiz eine Arbeitsstelle. Die Erwerbstätigenquote von Personen mit Schutzstatus S lag per Ende 2024 bei knapp 30 Prozent. Das vom Bundesrat vorgegebene Ziel von 40 Prozent wird jedoch weiterhin nicht erreicht.

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