«Ich habe nie gegen das russische Militär gekämpft», sagt Ivan Matweitschenko. Das, obwohl der ukrainische Unternehmer rund ein Jahr lang im Krieg war. «In der Gegend von Bachmut kämpften wir nur gegen Wagner-Soldaten», erklärt der 33-Jährige im Gespräch mit CH Media. Die hätten ihm und seiner Einheit während sieben Monaten das Leben schwer gemacht – «besonders am Anfang».
Als Russland am 24. Februar 2022 in die Ukraine einmarschierte, war Matweitschenko Finanzchef einer Immobilienentwicklungsfirma in Kiew. Innerhalb weniger Tage reiste er mit seiner Frau und seinen beiden Kindern (sechs und sieben Jahre alt) in die Westukraine. Dort trennten sich ihre Wege. Sie reisten weiter nach Polen und er meldete sich beim nächsten Rekrutierungszentrum an. Seine Familie sah er erst ein Jahr später wieder.
Ein paar Wochen später meldete sich Matweitschenko bei der «10th Mountain Assault Brigade» an. Einer spezialisierten Infanterieeinheit, ausgebildet für Operationen im Gebirgskrieg. Mit der wurde er einen Monat nach seinem Beitritt zur Armee in die Donbass-Region in den Raum Bachmut geschickt, wo er sieben Monate lang blieb. Einen Grossteil davon an vorderster Front. Seine Vorstellung vom Krieg sei bis zu diesem Zeitpunkt relativ vage gewesen. «Ich hätte mir nie ausmalen können, was mich erwartet», erzählt er.
«Die Russen wissen, wann die ukrainischen Truppen rotieren», sagt Matweitschenko. Begrüsst worden seien sie mit sechs bis acht Stunden Dauerbeschuss. «Wir sassen im Schützengraben und konnten kaum unseren Kopf hochhalten. Sie schossen mit allem, was sie hatten. Um uns flog alles durch die Luft. Manchmal fielen Teile so nahe an mir zu Boden, dass mir der Dreck beim Aufprall ins Gesicht flog.»
Eine Reaktion von der eigenen Armee blieb zunächst aus, weil die Ukraine in den ersten Monaten des Krieges kaum Munition und moderne Waffen hatte. Die Wagner-Gruppe hingegen sei bestens ausgerüstet und die Truppen gut ausgebildet gewesen. Im Laufe der Zeit hätten sich die Rollen aber geändert. «Wir bekamen immer mehr Waffen und ihnen gingen die Munition und die Soldaten aus.» Zuletzt drohte Wagner-Chef Jewgeni Prigoschin im Frühling der russischen Regierung damit, seine Söldner aus Bachmut abzuziehen.
«Als wir im Sommer 2022 gegen die Wagner-Gruppe kämpften, gingen sie sehr taktisch vor. Dadurch hatten sie nur geringe Verluste», sagt Matweitschenko. Ein paar Monate später habe die Qualität der Kämpfer drastisch abgenommen. «Sie rannten einfach möglichst schnell nahe zu uns und fingen an, zu graben, um uns dann zu beschiessen», sagt er. Dadurch hätten sie schnell sehr viel mehr Verluste verzeichnet. «Weil sie mit der Rekrutierung in Gefängnissen aber genügend Leute hatten, um die gefallenen Söldner zu ersetzen, waren sie dennoch effektiv.»
Das Gebiet ist mittlerweile unter russischer Kontrolle. Matweitschenko sagt, die Eroberung Bachmuts wäre ein Gewinn für Russland gewesen, hätten sie die Stadt nach einem Monat eingenommen. «Aber sie kämpften praktisch ein Jahr lang um Bachmut. Zuerst in den Vororten und dann in der Stadt selber», so der Infanteriesoldat.
Tausende Leben gingen während der Kämpfe um Bachmut verloren – darunter auch aus Matweitschenkos Einheit. Wie viele genau darf er nicht sagen. «Als ich den ersten Toten im Krieg gesehen habe, hatte ich schreckliche Angst», sagt er.
Mit der Zeit gewöhne man sich aber daran.
Dennoch seien die Monate an vorderster Front nicht einfach an ihm vorbeigegangen. Wenn etwas schwerwiegendes Vorgefallen ist, können die Soldaten jeweils für ein paar Tage weg von der Front, um Energie zu tanken. «Wenn man das so oft macht, und wie gesagt, wir haben sieben Monate lang gekämpft, sieben Monate am Stück ohne Wechsel und ohne Pause, dann wird es irgendwann zu viel.»
Verlassen hat Matweitschenko das Militär aber letztlich wegen Rückenproblemen. Die seien bei Infanteriesoldaten häufiger, als man denkt. «Wir tragen so viel Gewicht und schlafen in den kalten Gräben. Mit der Zeit führt das dazu, dass man kaum mehr laufen kann.»
Nach etwa drei Monaten im Spital ist Matweitschenko nun in Polen bei seiner Familie. «Ich fühle mich zwar wie ein alter Mann, der Abstand zum Krieg und die Zeit mit meinen Kindern und meiner Frau haben aber Wunder für meine Psyche getan», erzählt der Immobilienunternehmer. Bald will er mit seiner Familie aber in sein Heimatland zurückkehren - nicht an die Front.
Seine Truppe unterstützt er aber dennoch weiter: «Ich bringe ihnen und auch anderen Einheiten regelmässig Uniformen, Nachtsichtgeräte, Pick-up-Trucks und was ich sonst noch so auftreiben kann.» Auch ein Freund von ihm engagiere sich für die Zivilbevölkerung im Kriegsgebiet – mit Schweizer Hilfe: Swiss Aid to Ukraine und Ukrainian Victim Support unterstützten dessen Organisation.
Matweitschenko will auch nach dem Krieg weiter helfen und sich am Wiederaufbau der Ukraine beteiligen. «Ich baue gerne Dinge, ich bin ein Immobilienentwickler. Ich werde helfen, wo es geht.» (aargauerzeitung.ch)
Und gut ist er jetzt in Polen, wo die ukrainischen Flüchtlinge mit offenen Armen herzlich empfangen werden und ihm und seiner Familie sehr viel Verständnis entgegengebracht wird. Das wird sicher dabei helfen, dass seine psychischen und physischen Wunden wieder heilen können und er sich nach dem Krieg mit voller Kraft am Wiederaufbau beteiligen kann.
Seine Familie hat grosses Glück gehabt, dass sie ihn nun wieder haben. Was er erlebt hat, werden sie aber niemals verstehen können.
Wie ihn gibt es Hunderttausende: Vom Büro direkt in den Schützengraben.
Ein solcher Krieg mit einer solchen Konstellation ist für den Angreifenden nie zu gewinnen.
Siehe diverse Bsp in der Geschichte: Vietnam, Irak (seit 80-ern), Afghanistan (ebenfalls seit den Achtzigern).
Leider ist all diesen Kriegen aber noch etwas anderes gemeinsam: Sie dauerten allesamt lange und hatten einen extrem hohen Blutzoll vor allem auf Seiten der Einheimischen.
Leider steht nun der Ukraine genau dasselbe bevor.