Immer wieder gibt es Spekulationen über Wladimir Putins Aufenthaltsorte. Eine häufig geäusserte Vermutung: Der Kremlchef soll Doppelgänger nutzen, die an seiner Stelle öffentlich auftreten, während er sich in einem Bunker versteckt. In der russischen Bevölkerung wird Putin gar als «Bunker-Opa» bezeichnet. Der Kreml wies die Vermutungen rund um Doppelgänger mehrfach zurück.
Das Onlinemagazin «Business Insider» hat nun Baupläne einer riesigen Bunkeranlage am Schwarzen Meer veröffentlicht, die Teil eines Palastanwesens Putins sein soll.
Diese Pläne (siehe Quellen) zeigen zwei ausgeklügelte Tunnelsysteme, die unter dem Palast direkt an der Küste verlaufen sollen. Die mit dickem Beton ummantelten Tunnel sind offenbar über einen Aufzug miteinander verbunden, der bis zu 50 Meter unter die Erdoberfläche fährt.
Laut «Business Insider» sind die beiden Tunnel mit ausreichend Frischwasser, Belüftungssystemen und umfangreichen Kabeln ausgestattet, um Insassen tage- oder gar wochenlang zu versorgen.
Die Autoren des Artikels sehen in dem ausgeklügelten und aufwendigen Bunkersystem einen Beleg dafür, dass Putin sich bereits seit vielen Jahren auf Bedrohungen vorbereitet und Szenarien erdacht hat, wie er sich vor Gegenangriffen schützen oder flüchten könnte.
Die beiden Tunnel sind etwa 40 bzw. 60 Meter lang und 6 Meter breit. Das entspricht einem Aufenthaltsraum von etwa 6500 Quadratmetern. Das ist in etwa vergleichbar mit der Fläche von zwei Tenniscourts.
«Die Tunnelanlage verfügt über sämtliche Arten von Sicherheitsvorkehrungen», sagt Thaddeus Gabryszewski, ein mit Verteidigungsanlagen vertrauter Bauingenieur, der die Pläne für «Business Insider» geprüft hat. «Es gibt ein Feuersystem. Es gibt Wasser, es gibt Abwasser. Das ist dafür gedacht, dass jemand überlebt oder entkommt.»
Eine Luftaufnahme zeigt zwei Ausgänge des Bunkers im kahlen Felsen, auf dem das Anwesen am Schwarzen Meer thront. Direkt unterhalb davon befindet sich ein Strand. Die Tunnel könnten laut «Business Insider» zudem mit einer Strasse verbunden sein, über die Vorräte durch einen versteckten Aufzug in den Palastkomplex gebracht werden könnten.
Laut «Business Insider» gibt es auf den Architekturplänen zudem Anzeichen für Sprengstoffsicherheit. Ob das Bunkersystem auch einer nuklearen Explosion oder einer Bunkerbombe standhalten könne, lasse sich aus den Plänen allerdings nicht ablesen.
Eine Abbildung des Aufzugsschachts, der die beiden Tunnel verbinde, zeige sechs Lüftungsschächte, die frische oder gefilterte Luft ins Innere leiten könnten.
Laut dem Magazin könnten die zahlreichen Belüftungsschächte und die beiden separaten Tunnel in der Sorge vor einem chemischen Angriff entworfen worden sein. Diese Belüftungsschächte erschweren es demnach, die Versorgung des Palastes mit sauberer Luft zu unterbinden.
Zwei separate Portale am Hang «schaffen eine sekundäre und tertiäre Sicherung für die Belüftung», sagt der Bauingenieur Gabryszewski «Business Insider». «Im Falle eines Angriffs hat Putin zwei Quellen für die Luftzufuhr, eine hohe und eine niedrige.»
Mehrere Merkmale an der Architektur des Bunkersystems weisen Gabryszewski zufolge darauf hin, dass Putin das Bauwerk für alle Fälle absichern wollte. Besonders auffällig seien 16 in die Wand des unteren Tunnels eingelassene Kabelkanäle. Diese seien für Kabel vorgesehen, die Strom, Beleuchtung, Kupferdraht und Glasfaserkabel transportieren können, die für einen Kommandoposten benötigt werden.
Die grosse Menge an Leitungen, die durch den unteren Tunnel verlaufen, gehen laut Gabryszewski sogar über das hinaus, was allein für den Betrieb der Bunkeranlage nötig wäre. «Es könnte sich dabei um eine Art Reservesystem für den Palastkomplex handeln», so der Experte. Der Tunnel dient also möglicherweise nicht nur als Fluchtweg, sondern scheint eine Art Notfall-Rückgrat für den gesamten Palastkomplex zu sein.
Die Existenz der befestigten Tunnel, etwa 1000 Kilometer von Moskau entfernt, zeigt laut «Business Insider», dass Putin nicht nur seiner Vorliebe für das schöne Leben am Meer frönen wolle. Es gehe ihm auch darum, am Leben zu bleiben.
Ein ehemaliger Beamter des US-Aussenministeriums und heutiger Uni-Professor, Michael C. Kimmage, hält es laut dem Magazin für wahrscheinlich, dass Putin den Tunnel mit dem Gedanken an einen möglichen Überlebenskampf in Auftrag gegeben habe.
Kimmage sagte dem Magazin, dass Putins sorgfältige Vorbereitungen vor mehr als einem Jahrzehnt zeigten, wie lange das Denken des Machthabers bereits auf einen existenziellen Konflikt mit dem Westen ausgerichtet sei. «Das ist tödlich real. Putin weiss, dass er auf dem Gipfel eines Vulkans steht. Er scheint nicht so psychopathisch zu sein, als dass er einen Atomkonflikt auslöst – er hat Enkelkinder –, aber er steht schon sehr lange an diesem Abgrund», so Kimmage.
«Während der beiden grossen Umbrüche in der russischen Geschichte – 1917 und 1991 – war der Status der Hauptstadt und die Position des Regierungschefs dort ein grosses Thema», so Kimmage.
All den Sicherheitsgedanken und -vorkehrungen läuft jedoch ein nicht so kleines Detail entgegen: Das für den Bau verantwortliche Unternehmen, Metro Style, veröffentlichte die Pläne des Anwesens 2010 auf seiner Website, um seine Arbeit zu präsentieren.
Die Dokumente waren bis 2016 im Netz einsehbar. Das Unternehmen gab zwar nie an, dass das Tunnelsystem für Putin gebaut worden sei, allerdings war in der Publikation die Rede von einem Komplex unterirdischer Strukturen für ein Anwesen in der Stadt Gelendzhik im Gebiet Krasnodar. Das Schwarzmeer-Anwesen, das Putin zugeschrieben wird, befindet sich ganz in der Nähe dieses Ortes.
2021 veröffentliche der russische Oppositionelle Alexej Nawalny Aufnahmen des gigantischen Anwesens an der Schwarzmeerküste und schrieb es Putin zu. Das Grundstück mit dem Palast im italienischen Design sei fast 40 Mal so gross wie Monaco, heisst es.
Die Kosten sollen bei rund 100 Milliarden Rubel (1,3 Milliarden Euro) liegen und über Saunen, Weinkeller und eine Waffenkammer samt Kalaschnikow-Sturmgewehren verfügen. Als Reaktion auf Massenproteste, die durch Nawalnys Veröffentlichung ausgelöst wurden, bestritt Wladimir Putin damals, Besitzer des Schwarzmeer-Palasts zu sein.
Laut «Business Insider» zirkulierte ein Link zu den Bauplänen jahrelang in einer Moskauer Subkultur, die als «Ausgräber» bekannt ist. Einer dieser anonymen Ausgräber, der angab, er gehöre einer Gruppe namens «Sect Ze» an, habe das Magazin auf die Dokumente aufmerksam gemacht.
Ein Sprecher der Gruppe sagte «Business Insider», dass sie ihre Erkenntnisse weitergeben, «weil wir Putins dummes Gesicht satthaben und seinen paranoiden Untergrundverkehr aufzeigen wollen».
Auf eine Anfrage von «Business Insider» zu den Plänen, reagierte weder das in Moskau ansässige Unternehmen, das Metro Style erworben hat, noch Kremlsprecher Dmitri Peskow.
(t-online/dsc)