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Nord-Stream-Sabotage: Das Rätsel der Dark Ships

Nord-Stream-Sabotage: Das Rätsel der Dark Ships

Zwei Schiffe passierten wenige Tage vor den Explosionen die Gaspipelines in der Ostsee. Ohne Signal. Das könnte Ermittler nun auf ihre Spur führen.
29.11.2022, 13:4022.08.2023, 14:34
Jonas Mueller-Töwe / t-online
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Ein Artikel von
t-online

Kapitän Ulrich Klüber hat in seinen Jahren auf See schon nach vielen Dingen unter den Wellen Ausschau gehalten. Er hat Wracks am Meeresboden gesucht und Radioaktivität nachgespürt, er hat die Meerestiefen der Nordsee vermessen. Wenn er und seine Crew an Bord der «ATAIR» gerufen werden, sind Spezialisten gefragt. Normalerweise sind die Fahrten des modernsten deutschen Forschungsschiffs nicht eben geheim.

Wolken werfen ihren Schatten auf ein Schiff im Mittelmeer (Symbolbild): Stehen sogenannte «Dark Ships» in Verbindung mit den Pipeline-Anschlägen?
Wolken werfen ihren Schatten auf ein Schiff im Mittelmeer (Symbolbild): Stehen sogenannte «Dark Ships» in Verbindung mit den Pipeline-Anschlägen?Bild: imago images/CSP_JanMika

Anders verhält es sich mit ihrem aktuellen Auftrag in der Ostsee. Der erfordert höchste Diskretion. Ein Schiff der Bundespolizei überwacht ihn aus einiger Entfernung. Was die «ATAIR» dort genau tut, darüber könne nur der Generalbundesanwalt Auskunft geben, sagt das Bundesamt für Seeschifffahrt und Hydrografie (BSH), zu dessen Flotte das Spezialschiff zählt. Doch in der Karlsruher Behörde gibt man sich verschwiegen. Laufende Ermittlungen werden nicht kommentiert.

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Heikle Mission in der Ostsee

Tatsächlich ist die Mission der «ATAIR» politisch heikel: Sie hilft nach Informationen von t-online bei der Untersuchung der sabotierten Nord-Stream-Pipelines. Am 26. September rissen Detonationen die deutsch-russischen Gasröhren in dänischen und schwedischen Gewässern auseinander. Enorme Mengen Erdgas drangen daraufhin an die Wasseroberfläche, die meilenweit zur Gefahrenzone erklärt wurde.

In this photo provided by the Armed Forces of Denmark, a view the disturbance in the water above the gas leak, in the Baltic Sea, Thursday, Sept. 29, 2022. Following the suspected sabotage this week o ...
Tatort in der Ostsee: Das Gebiet rund um die zerstörten Pipelines ist zur Gefahrenzone erklärt worden.Bild: keystone

Dänemark, Schweden und Deutschland starteten daraufhin eigene Untersuchungen. Sie gingen schnell von einem Anschlag aus. Die Staatsanwaltschaft in Stockholm fand Reste von Sprengstoff an den Trümmern, die das bestätigten. Unter Einsatz modernster Technologie wird seitdem ermittelt. Das Spezialschiff «ATAIR» konzentriert sich dabei auf den Meeresgrund. Mittlerweile gibt es aber auch erste vielversprechende Hinweise durch Luft- und Satellitenaufnahmen – einen konkreten Täter gibt es allerdings noch nicht.

Der hybride Krieg

Einer der Hauptverdächtigen war von Anfang an der russische Geheimdienst. Zu gut passt die Vorgehensweise zur hybriden Kriegsführung gegen den Westen. Seit Jahrzehnten nutzt der Kreml unter Machthaber Wladimir Putin seine Gasexporte zu politischer Erpressung.

Auch vor dem Angriff auf Georgien explodierten zunächst Pipelines und Stromleitungen. Ein Anschlag auf Nord Stream, so wird vermutet, könnte eine Warnung sein, dass auch die enorm wichtigen Kommunikationskabel am Meeresboden verletzlich sind. In letzter Zeit häuften sich auch dort verdächtige Vorfälle.

Aufnahme einer Unterwasserdrohne: Die Pipelines wurden durch die Sprengsätze erheblich beschädigt.
Aufnahme einer Unterwasserdrohne: Die Pipelines wurden durch die Sprengsätze erheblich beschädigt.Bild: Blueye Robotics/BBC

Unstrittig ist, dass die russische Marine für verdeckte Operationen am Meeresgrund besser ausgestattet ist als die meisten anderen Armeen. Sprich: Der Kreml hätte ein Motiv, die technischen Möglichkeiten und über seine Häfen in der Ostsee einen schnellen Zugang zu den Tatorten. Eine Indizienkette ist aber kein Beweis. Findet ihn die «ATAIR»? Für die Ermittler, die den Tatort in 80 Metern Tiefe nicht selbst begehen können, scheint es naheliegend, auf Klüber und seine Crew zu setzen.

Der Blick in die Tiefe

Das fast 115 Millionen Euro teure Schiff zählt zu den modernsten seines Typs: An Bord sind Laboratorien, eine Dekompressionskammer und umfangreiche Tauchausrüstung, mehrere Sonargeräte und ein Fächerecholot zur Vermessung des Meeresbodens. Den Analysten wird sich auf dem Grund der Ostsee ein Bild der Zerstörung bieten: Röhren von Dutzenden Metern Länge, fast 100 Tonnen schwer, liegen Hunderte Meter entfernt vom ursprünglichen Pipeline-Verlauf.

Das norwegische Tech-Unternehmen «Blueye Robotics» hat mit Tauchdrohnen und Sonar für die schwedische Zeitung «Espressen» und die britische BBC die Schäden dokumentiert. Die Täter müssen Bomben mit Hunderten Kilogramm Sprengstoff eingesetzt haben. Wie aber kamen sie an Ort und Stelle? Wer brachte sie an?

Verbrecherjagd per Satellit

Mittlerweile könnten Ermittler nicht mehr ausschliesslich unter der Meeresoberfläche nach Hinweisen suchen, sondern auch den Blick von weit oben auf die Gefahrenzonen in der Ostsee richten. Beteiligte Behörden haben zuletzt aufmerksam Berichte über eine Satelliten-Analyse des US-Unternehmens SpaceKnow verfolgt, wie t-online erfuhr.

Das Magazin «Wired» machte vor einigen Tagen weltweit Schlagzeilen, weil es bislang nicht identifizierte Schiffe in Zusammenhang mit den Anschlägen brachte. Diese Schiffe fuhren ein paar Tage vor dem Anschlag in der Nähe des Tatortes. Doch sie hatten ihre Signale ausgeschaltet, die sonst zusätzlich zu ihrem Standort auch Namen, Schiffstyp und Abmessungen, Kurs, Geschwindigkeit und Reisedaten übermittelt hätten. Darum waren sie bislang unbemerkt geblieben.

Visualisierung eines Iceye-Satelliten: Die so entstandenen Aufnahmen werde durch Analysesoftware von SpaceKnow interpretiert.
Visualisierung eines Iceye-Satelliten: Die so entstandenen Aufnahmen werde durch Analysesoftware von SpaceKnow interpretiert.Bild: Iceye

Dem Unternehmen SpaceKnow gelang es, die Schiffe nun zu entdecken, weil es eine spezielle Analysesoftware auf die Satellitenaufnahmen anwendete. Es handelt sich um ein Programm, das SpaceKnow seit einiger Zeit mit der Europäischen Weltraumorganisation (ESA) betreibt, und dafür modernste Technologie nutzt, die völlig neue Möglichkeiten eröffnet. Im sogenannten SAR-Verfahren können Satelliten Gelände mit elektromagnetischen Wellen abtasten.

Die dunklen Schiffe am Tatort

Die so entstandenen Darstellungen sind Fotografien ähnlich. Unternehmen wie das finnische Iceye erstellen und vertreiben sie täglich. SpaceKnow wiederum hat sich unter anderem darauf spezialisiert, per Software sogenannte «Dark Ships» auf den Aufnahmen erkennbar zu machen. Eigentlich soll das dabei helfen, beispielsweise illegale Fischerei zu bekämpfen. Nun könnte es auf die Spur der Pipeline-Terroristen führen.

Sichtbar gemachte Schiffe auf einer Satellitenaufnahme: Ähnlich ist SpaceKnow auch mit den Iceye-Bildern der Tatorte verfahren.
Sichtbar gemachte Schiffe auf einer Satellitenaufnahme: Ähnlich ist SpaceKnow auch mit den Iceye-Bildern der Tatorte verfahren.Bild: Iceye/SpaceKnow

Dafür können sich Ermittler ein bekanntes System zunutze machen: Um Kollisionen auf hoher See zu verhindern, ist für Schiffe ab einer bestimmten Größe weltweit das sogenannte «Automatic Identification System» (AIS) vorgeschrieben. Es sendet ein Signal, das nicht nur von anderen Schiffen und Behörden, sondern auch von Interessierten online verfolgt werden kann. Auf diese Weise ist der Aufenthalt der meisten Schiffe in Echtzeit nachzuverfolgen. Wenn ein Signal ausgeschaltet wird, spricht man von «Dark Ships».

Kein einziger solcher Fall sei beispielsweise in deutschen Ostsee-Gewässern in den vergangenen Jahren bekannt geworden, erfuhr t-online von der Berufsgenossenschaft Verkehr und der Wasserstrassen- und Schifffahrtsverwaltung des Bundes. Dass es relativ selten zu AIS-Verstössen in der Region kommt, könnte aber theoretisch wiederum dazu führen, dass die bislang nicht identifizierten «Dark Ships» möglicherweise doch noch identifiziert werden.

Wurden die Schiffe kontrolliert?

Denn sollten im fraglichen Zeitraum andere Anrainerstaaten wie Dänemark oder Schweden in ihren Gewässern ausgeschaltete Signale festgestellt haben, wäre eine Sanktionskette in Gang gesetzt worden, der sich ein Schiff auch im Nachhinein nur schwer entziehen kann. Europa- und weltweit würde in einem der nächsten anzulaufenden Häfen eine sogenannte Hafenstaatkontrolle durchgeführt. Inspekteure gingen an Bord. Bei Mängeln beispielsweise könnten sie das Schiff festsetzen.

Seit Mitte September wurden allein in Europa über 3000 solcher Kontrollen durchgeführt, die allerdings auch durch andere Verstösse als gegen die AIS-Pflicht ausgelöst werden können. Alle Kontrollen sind in einer zentralen Schiffsdatenbank dokumentiert. Findet sich hier ein Hinweis auf die mysteriösen Schiffe, die am Tatort der Pipeline-Sabotage kreuzten?

Der deutsche Generalbundesanwalt bestätigt nicht, dass ihm die Analyse der Satellitenbilder vorliegt oder dass er durch AIS-Verstösse ausgelösten Hafenstaatkontrollen nachgeht. Dänische und schwedische Behörden antworteten auf entsprechende Anfragen bislang nicht.

Und auch was genau Kapitän Klüber mit der «ATAIR» gefunden hat, ist noch geheim. Mittlerweile liegt das Spezialschiff wieder in Bremerhaven vor Anker.

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106 Kommentare
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MARC AUREL
29.11.2022 14:31registriert Dezember 2014
Die Russen werden natürlich dementieren egal wie stichfest die Beweise sind... daher müssen wir sie politisch wie finanziell bis zum maximum ausbluten lassen!
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Thrasher GT
29.11.2022 14:19registriert November 2021
Spannender Beitrag.
Russland wird sich ins Fäustchen lachen, wenn sie erfahren, mit welchem Aufwand Beweise gesammelt werden, wo es doch jetzt schon für alle offensichtlich ist, dass Russland dafür verantwortlich ist.

Aber so funktioniert nun mal die wissenschaftlich gestützte Beweisführung als Grundlage für demokratische Entscheidungen in der Aussenpolitik. Und damit wird man den Kremel entblössen können.
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Martin Baumgartner
29.11.2022 14:42registriert Juni 2022
Und selbst wenn der Tathergang sowie die Drahtzieher ermittelt werden.
Wird es wohl kaum je Konsequenzen für die Verantwortlichen haben.
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