In der heftig umkämpften ukrainischen Hafenstadt Mariupol haben russische Truppen Medienberichten zufolge mit der Erstürmung des belagerten Stahlwerks Azovstal begonnen. Dort drin haben sich zu Beginn des Krieges sowohl ukrainische Kämpfer als auch Zivilisten verschanzt.
Deputy commander of "Azov" Palamar announced the beginning of the assault on "Azovstal" and on behalf of the militants called on the "Supreme Commander to intervene" pic.twitter.com/5bxuPy7OLc
— Spriter1 (@spriter11220) May 3, 2022
«Die ganze Nacht haben sie uns aus der Luft bombardiert (...) und jetzt wird Azovstal gestürmt», zitierte etwa die Zeitung «Ukrajinska Prawda» am Dienstag den Vizekommandeur des ukrainischen Asow-Regiments, Swjatoslaw Palamar. Bei den jüngsten russischen Angriffen seien auch zwei Zivilisten getötet worden, sagte Palamar demnach. In den sozialen Medien kursieren Bilder von zwei toten Frauen.
Urgent appeal from the Deputy Commander of the Azov Regiment Captain Svyatoslav Palamar, Kalina, regarding the situation at the Azovstal plant. pic.twitter.com/9I2fgZ1Hrf
— ТРУХА⚡️English (@TpyxaNews) May 3, 2022
Mitte April forderte Moskau die ukrainischen Kämpfer im Stahlwerk dazu auf, sich zu ergeben. Es sei ihre einzige Chance, zu überleben. Die Ukraine weigerte sich allerdings und kündigte stattdessen an, Widerstand zu leisten. Dennoch befahl Putin seinen Truppen daraufhin, das Gelände nicht zu stürmen, sondern es stattdessen zu blockieren, «so dass nicht einmal eine Fliege entfliehen kann». Weiter versprach er, die Soldaten mit Respekt zu behandeln, falls sie sich ergeben würden.
Dass der Sturm Azovstals jetzt doch stattfinden soll, wurde von russischer Seite bisher nicht offiziell bestätigt. Die staatliche Nachrichtenagentur Ria Nowosti meldete jedoch unter Berufung auf einen Sprecher des Verteidigungsministeriums, auf dem Werksgelände verschanzte Asow-Kämpfer hätten eine Feuerpause genutzt, um an ihre Schiesspositionen zurückzukehren. Diese würden nun mit Artillerie und aus der Luft attackiert.
Bei Evakuierungsaktionen am Wochenende waren über 120 Zivilisten herausgelangt, doch eine weitere geplante Rettung gestern scheiterte.
«Heute haben uns die russischen Besatzer keine Möglichkeit gegeben, Leute aus Azovstal herauszuholen», sagte der Gouverneur des Gebiets Donezk, Pawlo Kyrylenko, am Montagabend im ukrainischen Fernsehen. Noch etwa 200 Zivilisten sollen nach ukrainischen Angaben noch dort ausharren.
The #Ukrainian military and more than 200 civilians remain at the "#Azovstal" plant in #Mariupol. pic.twitter.com/0UWvXBjJrH
— NEXTA (@nexta_tv) May 3, 2022
Zuvor hatte es Berichte über schwere Bombardierungen und den Beschuss des Werksgeländes aus Schiffskanonen und mit Artillerie gegeben. Bilder zeigten eine dicke schwarze Rauchwolke. Aus Mariupol seien Kyrylenko zufolge aber 56 Menschen in Richtung Regierungsgebiet gefahren. Den Donezker Separatisten zufolge sind zugleich mehr als 200 Menschen nach Besimenne in östlicher Richtung aus der Stadt herausgebracht worden.
Videos auf Twitter zeigen, wie heute Nachmittag Busse mit aus Azovstal evakuierten Menschen in Saporischschja einzutreffen beginnen. Saporischschja unter ukrainischer Kontrolle liegt etwa 230 Kilometer nordwestlich von Mariupol.
Convoys with evacuees from Azovstal began to arrive in Zaporizhia.#StandWithUkraine #Azovstal #war #Azov pic.twitter.com/SFTSewAitE
— Good morning, Ukraine (@good_ukraine) May 3, 2022
Die Hafenstadt Mariupol war unmittelbar nach dem russischen Angriff Ende Februar von russischen Truppen eingeschlossen worden.
Satellite imagery comparison of Mariupol's Azovstal metallurgical plant from March 21 & May 1 shows the focus and rate of Russia's bombing campaign of the industrial plant. Location: 47.108469, 37.608435. 📸 @planet pic.twitter.com/bBg5GVFscV
— Centre for Information Resilience (@Cen4infoRes) May 3, 2022
Einzig das Gelände des Stahlwerks Azovstal steht noch in Teilen unter Kontrolle von ukrainischen Soldaten, die dort seit zwei Monaten ausharren. Eine Frau, der die Flucht aus dem Stahlwerk gelang, berichtete gegenüber «CNN», dass sie diese zwei Monate in der Dunkelheit des Bunkers verbracht habe. Zu gross war ihre Angst, draussen an die frische Luft zu gehen.
Dass sich die Menschen nun schon seit geraumer Zeit im Stahlwerk befinden, macht sich auch an den schwindenen Vorräten bemerkbar. «Wir haben nur noch sehr wenige Vorräte, was Wasser und Essen betrifft. Ich kann nicht genau sagen, wieviel noch übrig ist, aber ich kann euch versichern, dass wir sparsam damit umgehen», so Vizekommandeur Swjatoslaw Palamar gegenüber CNN. «Wenn es hart auf hart kommt, werden wir Vögel fangen und alles tun, um standhaft zu bleiben.»
Sollte das Stahlwerk in die Hände der Russen fallen und Palamar und seine Soldaten in Gefangenschaft geraten, so rechnet Palamar mit dem Schlimmsten. Er habe kein Vertrauen darin, dass sie respektvoll als Kriegsgefangene behandelt werden würden. So hätte beispielsweise seine Mutter Bilder eines gefolterten ukrainischen Soldaten zugesendet bekommen.
Die Russen verstiessen gegen Konventionen, indem sie ukrainische Soldaten folterten und töteten, so Palamar weiter. Sie hingegen hielten sich daran. So sollen sich gemäss Palamar auch russische Gefangene im Stahlwerk befinden, mit denen sie ihre Vorräte teilten. (saw)
Mit Material der Nachrichtenagenturen sda und dpa.