Dieser Ex-General soll sich in London auf einen Wahlkampf gegen Selenskyj vorbereiten
Ähnlich wie sein US-amerikanischer Amtskollege Donald Trump hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj keine klassische Laufbahn in der Politik hingelegt. Bis 2018 war Selenskyj als Schauspieler tätig, bevor er im selben Jahr seine eigene Partei gründete, mit der er im darauffolgenden Jahr die Präsidentschaftswahl in der Ukraine gewann. Seither bekleidet Selenskyj das höchste Amt im ukrainischen Staat.
Ursprünglich hätte die ukrainische Verfassung Neuwahlen im Jahr 2024 vorgesehen. Durch die russische Vollinvasion im Februar 2022 trat jedoch das Kriegsrecht in Kraft, unter dem sämtliche Wahlen ausdrücklich verboten sind. Damit steht fest: Solange der Krieg in der Ukraine andauert, bleibt Selenskyj Präsident.
Während Selenskyj – trotz Höhen und Tiefen – weiterhin das Vertrauen eines Grossteils der Bevölkerung geniesst, ist ungewiss, wie lange der Krieg noch andauern wird. Gleichwohl schläft die politische Konkurrenz nicht. Gerade in den Kriegsjahren haben einige Politiker und ehemalige Militärs die Möglichkeit genutzt, sich sowohl im Inland als auch international neu zu profilieren. Vor dem Hintergrund verstärkter diplomatischer Bemühungen der US-Regierung, ein Kriegsende zu erreichen, positioniert sich offenbar einer von Selenskyjs politischen Konkurrenten für eine mögliche Zukunft nach dem Krieg.
Saluschnyjs Präsidentschaftspläne
Wie die US-Journalistin Katie Livingstone berichtet, bereitet der ehemalige Oberbefehlshaber der ukrainischen Streitkräfte und heutige Botschafter in Grossbritannien, Walerij Saluschnyj, eine Präsidentschaftskampagne vor. Sie verweist auf eine Quelle, die mit den Ambitionen des Generals vertraut sei.
Selenskyj selbst hatte Saluschnyj 2021 zum Oberbefehlshaber ernannt. Aufgrund seiner prominenten Rolle im Krieg galt Saluschnyj zeitweise sogar als beliebter als der Präsident selbst. Ende 2023 sprach er in einem Gastbeitrag für «The Economist» offen von einer möglichen Pattsituation im Krieg – Selenskyj widersprach öffentlich und forderte ihn auf, politische Ambitionen zurückzustellen. Seither galt das Verhältnis der beiden Männer als belastet.
Ende Januar 2024 versuchte Selenskyj, Saluschnyj zum Rücktritt zu bewegen und bot ihm eine Rolle als Sicherheitsberater an – dieser lehnte ab. Am 8. Februar 2024 entliess Selenskyj Saluschnyj schliesslich als Oberbefehlshaber. Offiziell hiess es, die Entscheidung diene der «Erneuerung des Kriegsführungskurses» nach dem Misserfolg der ukrainischen Gegenoffensive. Saluschnyjs Nachfolger Oleksandr Syrskyj gilt als enger Vertrauter Selenskyjs, von dem man sagt, er sei weniger eigenwillig als sein Vorgänger.
Der nächste Ex-General stellt sich gegen Selenskyj
Saluschnyj wiederum soll in London bereits ein Team um sich versammeln, um seine politischen Ambitionen vorzubereiten. An seiner Seite steht offenbar auch Serhii Naiev, ein weiterer entlassener Ex-General, der an der ukrainischen Gegenoffensive beteiligt war. Wie er dem «Independent» erklärte, habe er von seiner Entlassung nicht durch Selenskyj selbst, sondern zuerst über die Medien erfahren.
Vorausgegangen war eine Kontroverse, in der Naiev öffentlich Gerichtsverfahren gegen hochrangige Militärs während des Krieges kritisierte. Dabei ging es um den Vorwurf, dass ukrainische Kommandeure durch Fahrlässigkeit den russischen Vormarsch in die Region Charkiw im Mai 2024 mit ermöglicht hätten. Naiev vertrat die Ansicht, solche Fragen müssten retrospektiv untersucht werden – während des laufenden Krieges seien Prozesse kontraproduktiv.
Weiter äusserte er in einem Interview, dass seiner Ansicht nach die Regierung Selenskyj es versäumt habe, sich ausreichend auf den Krieg vorzubereiten. Wenige Tage nach seinen Äusserungen wurde er seines bisherigen Amtes als Kommandeur der Vereinigten Streitkräfte enthoben und auf Geheiss der Regierung als Kommandant an die Front im Donbass geschickt. Eine Entscheidung, die Beobachter in der Ukraine teilweise als politisch motiviert einstuften.
Syumar als politische Triebkraft
Neben den beiden Militärs, die selbst kaum politische Erfahrung mitbringen, soll die politische Triebkraft des Teams die oppositionelle Parlamentsabgeordnete Viktoria Syumar sein. Sie gehört der Mitte-rechts-Partei «Europäische Solidarität» an, deren Vorsitzender der ehemalige Präsident Petro Poroschenko ist. Syumar kritisiert seit Langem Selenskyjs Präsidentschaft und die absolute Mehrheit, über die seine Partei im Parlament verfügt.
Sie bezeichnet dies als «grosse Gefahr für die Ukraine». Berichte über ihre direkte Beteiligung an einer möglichen Saluschnyj-Kampagne wies sie in der «New Voice of Ukraine» zurück. Gleichzeitig gilt sie jedoch als Strategin im Hintergrund, die nicht im Rampenlicht agiert.
Noch dementieren sie alles
Für die Medien- und Kommunikationsarbeit soll Saluschnyj hingegen eine andere Spezialistin vorgesehen haben: die ehemalige BBC-Journalistin Oksana Torop. Im Gespräch mit der «New Voice of Ukraine» dementierte auch sie entsprechende Berichte. Sie erklärte, sie unterstütze den ukrainischen Botschafter lediglich als Medienberaterin. Wie Saluschnyj selbst betonte sie, dass während des Krieges nicht an Wahlen zu denken sei. «Es geht darum, das Land zu erhalten. Von einer Wahlkampfzentrale kann daher keine Rede sein», fügte Torop hinzu.
Eine mit der Kampagne vertraute Quelle teilte Livingstone jedoch mit, dass Saluschnyjs Hauptquartier in London bereits aktiv sei und neue Mitglieder rekrutiere: «Das sind nicht nur Spekulationen. Der ehemalige Oberbefehlshaber der Ukraine, heute Botschafter in Grossbritannien, hat seine Kampagne tatsächlich gestartet», wird die Quelle zitiert.
Selenskyj ging gegen ihre Behörde politisch vor
Mit internationaler Kommunikation und Netzwerkarbeit im Team Saluschnyj soll die ehemalige Direktorin des ukrainischen Zentrums zur Bekämpfung von Desinformation, Polina Lysenko, betraut sein. Offiziell ist sie derzeit stellvertretende Direktorin des Nationalen Antikorruptionsbüros der Ukraine – einer Behörde, die zuletzt ins Visier von Kürzungsplänen der Regierung geraten war.
Vor gut einem Monat erreichte die Auseinandersetzung ihren Höhepunkt, als Selenskyj ein Gesetz durchsetzen wollte, das die Arbeit des Büros erheblich eingeschränkt hätte. Zudem kam es in der Vergangenheit zu Razzien des Geheimdienstes in der Behörde.
Die EU kritisierte den Gesetzentwurf als «Rückschritt», in der Ukraine kam es zu Protesten. Im Zentrum der Kritik: Präsident Selenskyj, dem Regierungskritiker zunehmend autoritäre Tendenzen vorwerfen. Das Gesetz hätte die Unabhängigkeit der Behörde beschnitten und die Entscheidungsmacht nahezu vollständig in die Hände des Generalstaatsanwalts – Ruslan Kravtschenko, einem weiteren Selenskyj-Loyalisten – gelegt. Angesichts des steigenden Drucks kündigte Selenskyj inzwischen einen Kurswechsel an: Die Behörde soll wieder mehr Befugnisse erhalten. Auch wenn sich die Lage dadurch beruhigt hat, gilt doch: Lysenko und Selenskyj sind politisch nicht auf einer Linie.
Bündnis gegen Selenskyj
Sollten sich die Berichte bestätigen, ist Valerii Saluschnyj mit seinem Team in jedem Fall ein ernst zu nehmender politischer Konkurrent für Selenskyj. Über Jahre hinweg haben Meinungsforschungsinstitute ihm nachgesagt, zu den beliebtesten Persönlichkeiten des Landes zu zählen – teils sogar beliebter als der Präsident selbst.
Allein seine Entscheidung, das Land für den Posten als Botschafter zu verlassen, entfachte in der Ukraine Kritik. Der Vorwurf: Er habe das Land bei erster Gelegenheit verlassen – ein Privileg, das den meisten anderen Ukrainern im Krieg nicht zusteht. Ob ihm dies in einer möglichen Kampagne letztlich schaden könnte, bleibt abzuwarten.
Sein Team, bestehend aus erfahrenen Funktionären, eint die Abneigung gegen den Präsidenten – sei es aus politischer Überzeugung oder weil ehemalige Verbündete Selenskyjs in Ungnade gefallen sind. Aus dieser Gemengelage entsteht ein Bündnis, das weniger von einer gemeinsamen Vision getragen wird als von der Entschlossenheit, Selenskyj politisch herauszufordern.