Depression, Angstörung, Alkohol: Russische Soldaten kehren traumatisiert von Front zurück
Der 22-jährige russische Soldat Andrei Burychin wurde vergangenes Jahr in der Ukraine verwundet. Zurück in Russland kam er in eine psychiatrische Klinik, doch wurde kurz darauf wieder entlassen. Kurz darauf begann Burychin stark zu trinken und versuchte im Vollrausch, zu seiner Einheit in der Region Tscheljabinsk zurückzufahren. Sein Anwalt berichtete dem russischen Portal «Ura»: Nachdem er erfahren hatte, dass seine Einheit sich auf eine neue Operation vorbereitete, kehrte er freiwillig an die Front zurück".
Burychins Geschichte steht beispielhaft für viele russische Soldaten, die mit einer posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS) aus dem Krieg heimkehren.
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Das zeigt eine im Fachjournal «Psychiatria» veröffentlichte Studie der Moskauer Psychiatrischen Klinik Nr. 1. Demnach wurde bei etwa der Hälfte der 140 untersuchten Veteranen eine PTBS diagnostiziert. Nach der Behandlung seien noch 19 Prozent mit dieser Diagnose entlassen worden.
Depressionen, Angstzustände, Flashbacks
Die Forscher um Darya Ryabinina und Georgi Kostjuk stellten fest, dass viele Betroffene zusätzlich unter Depressionen, Angstzuständen oder Alkoholabhängigkeit litten. «Trotz typischer PTBS-Symptome müssen auch andere psychische Störungen beachtet werden, die oft im Vordergrund stehen», heisst es in der Studie.
Die Untersuchung erfasst erstmals systematisch die psychischen Belastungen russischer Soldaten, die seit 2022 am Krieg in der Ukraine teilgenommen haben. Das Durchschnittsalter der Patienten lag bei 34 Jahren. Bei mehr als 70 Prozent zeigten sich aufdringliche Erinnerungen an Kampfsituationen, drei Viertel litten unter Angstzuständen, die Hälfte unter Depressionen und fast die Hälfte unter Schlaflosigkeit.
Besonders belastend für Betroffene seien jedoch Persönlichkeitsveränderungen, die mit PTBS einhergehen können. Dazu zählen häufig Aggression, emotionale Instabilität und Wutausbrüche.
«Ich brauche einen Psychiater oder ein Sanatorium»
Wie die «Moscow Times» berichtet, schildern Soldaten, dass sie nach Jahren an der Front mit Albträumen, Angst und Aggression kämpfen. «Drei Jahre ohne Ruhe und Familie, manchmal verliert man einfach die Kontrolle. Ich brauche einen Psychiater oder ein Sanatorium», zitiert die Zeitung einen Soldaten.
Ein russischer Psychologe erklärte der Zeitung, viele Veteranen fühlten sich von der Gesellschaft entfremdet. «Sie empfinden Wut über die Gleichgültigkeit der Zivilisten», sagte er. «Ein Soldat erzählte, er habe sein Haus zwei Monate lang nicht verlassen, um niemanden zu verletzen.»
Doch immer häufiger werden heimgekehrte Soldaten zur Bedrohung für ihre Umgebung. Laut der «Deutschen Welle» verübten Veteranen, die an der Front waren, 2023 rund 190 Straftaten in Russland, darunter 55 Morde. Viele Täter standen unter Alkoholeinfluss und litten nachweislich unter PTBS.
Eine Studie aus Nowosibirsk erfasste zudem 130 Soldaten, die in psychiatrischer Behandlung waren – fast ein Viertel nach einem Selbstmordversuch. Bei Soldaten mit PTBS-Symptomen sei das Suizidrisiko fünfmal höher, heisst es dort.
Kaum Therapieplätze, wenig Hoffnung
Trotz des erkennbaren Bedarfs suchen viele Soldaten keine Hilfe. Psychologen führen das auf traditionelle Männlichkeitsvorstellungen und Misstrauen gegenüber dem russischen Gesundheitssystem zurück. «Für einen Soldaten gilt das Eingestehen von psychischen Problemen als Zeichen von Schwäche», sagte ein Therapeut der «Moscow Times».
Wenn Betroffene schliesslich doch Hilfe suchen, ist das Angebot oft unzureichend. Laut dem russischen Gesundheitsministerium suchten im Jahr 2023 etwa 11'000 Soldaten oder ihre Familien psychologische Unterstützung, doch nur 15 Prozent konnten behandelt werden, so die «Deutsche Welle».
Auch die «New York Times» berichtet, wie schlecht die Rehabilitation vieler Verletzter organisiert ist. In Sanatorien rund um Moskau erhielten Veteranen zwar medizinische und psychologische Betreuung, doch die Aufenthalte dauerten meist nur zwei Wochen. «Die Rehabilitation eines Menschen muss ein Leben lang dauern», sagte die Psychologin Swetlana Artemewa der Zeitung.
Viele Veteranen lehnten Hilfe jedoch ab oder kehrten freiwillig an die Front zurück. Fachleute warnen, dass die psychischen Folgen des Krieges Russland noch über Jahre hinaus belasten könnten.
Hinweis: Falls Sie viel über den eigenen Tod nachdenken oder sich um einen Mitmenschen sorgen, finden Sie hier sofort und anonym Hilfe.
Verwendete Quellen:
- journalpsychiatry.com: Analysis of Problems Associated with Diagnostics Combat Post-Traumatic Stress Disorder in a Psychiatric Hospital (Englisch)
- themoscowtimes.com: Russian Soldiers Confront PTSD, Alcoholism and Suicidal Thoughts After Fighting in Ukraine
- nytimes.com: For Many Returning Russian Veterans, a Long Road of Recovery Awaits (Englisch)
- dw.com: Back from the war: Why do Russian soldiers continue to kill? (Englisch)

