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Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat Russland vorgeworfen, die nach der Zerstörung des Staudamms entstandene humanitäre Katastrophe noch zu vergrössern. «Russische Terroristen versuchen, die Situation, die sie mit ihrem Ökozid verursacht haben, noch zu verschlimmern», sagte Selenskyj am Donnerstag in seiner täglichen Videoansprache.
Russische Truppen beschössen Rettungskräfte und Evakuierungspunkte, sagte Selenskyj. Entsprechende Videos waren am Donnerstag in den Medien aufgetaucht. Der ukrainische Staatschef warf Moskau zudem vor, die im von Russland besetzten Teil des überfluteten südukrainischen Gebiets Cherson lebenden Menschen im Stich zu lassen. «Dort weitet sich die Katastrophe bereits am zweiten Tag weiter aus», sagte Selenskyj.
Russlands Präsident Wladimir Putin hat im Gegensatz zu Selenskyj die Hochwassergebiete noch nicht besucht und erst zwei Tage nach dem Dammbruch öffentlich Anweisungen gegeben, Hilfe in die Region zu schicken. Allerdings inspizierte am Donnerstag mit dem Vizechef der Präsidialverwaltung, Sergej Kirijenko, bereits ein hochrangiger Kremlbeamter das Krisengebiet.
«Um die Lage objektiv einschätzen zu können, sind wir gemeinsam (mit Kirijenko) die überfluteten Territorien von Hola Prystan und Oleschky abgefahren – hier ist die Lage am stärksten gespannt», teilte der von Moskau eingesetzte Statthalter von Cherson, Andrej Alexejenko, auf seinem Telegram-Kanal mit. Auf den beigefügten Videos ist zu sehen, wie Kirijenko das Hochwassergebiet inspiziert und mit einem Betroffenen spricht. Nach der Zerstörung des Kachowka-Staudamms stehen grosse Flächen der Südukraine unter Wasser.
Kirijenko, der 1998 auf dem Höhepunkt der russischen Finanzkrise kurzzeitig Regierungschef in Moskau war, gilt als Verantwortlicher für die Innenpolitik in der Präsidialverwaltung - und als Kurator für die besetzten Gebiete der Ukraine.
Die Vereinten Nationen bemühen sich derweil nach dem Dammbruch in der Ukraine um Zugang zu den Überschwemmungsgebieten unter russischer Besatzung. Bislang sei das UN-Nothilfebüro OCHA nicht in der Lage, einen UN-Einsatz in der Region zu bestätigen, sagte OCHA-Sprecher Jens Laerke am Donnerstag in Genf. «Wir setzen unsere prinzipiellen Bemühungen fort, die von Russland kontrollierten Gebiete der Ukraine zu erreichen.»
Ukrainischen Angaben nach sind die Vereinten Nationen zur schnellen Entsendung von Hilfsteams bereit, warten aber auf russische Zugangs- und Sicherheitsgarantien. Das teilte das Aussenamt in Kiew nach einem Treffen von Aussenminister Dmytro Kuleba mit der UN-Systemkoordinatorin in der Ukraine, Denise Brown, mit. Kiew selbst sei bereit, alle Sicherheitsgarantien für humanitäre Einsätze zu gewähren.
Selenskyj hielt nach dem Besuch des Hochwassergebiets Cherson auch eine Krisensitzung zur Trinkwasserversorgung der Region Dnipropetrowsk ab. Es gebe Probleme bei der Wasserversorgung der Städte Krywyj Rih, Marganez, Pokrow und Nikopol, berichtete der Militärgouverneur der Region, Serhij Lyssak, laut einer Mitteilung des Präsidialamts. Der Minister für Entwicklung und Infrastruktur, Olexander Kubrakow, stellte ein Projekt für den Bau eines neuen Stausees vor, der zum Teil auf dem Gebiet des bestehenden liegen soll. In seiner späteren Videobotschaft ging Selenskyj dann auch auf das Trinkwasserproblem ein. Es könne Unbequemlichkeiten geben, aber die Versorgung mit Trinkwasser werde gesichert, versprach der 45-Jährige. «Die Entscheidungen dafür sind da, die Ressourcen sind da, das Geld ist da.»
Zuvor hatte ein hochrangiger ukrainischer Beamter vor Wassermangel im auslaufenden Stausee gewarnt. «Das Niveau liegt schon bei 12.50 Meter, das ist unterhalb des toten Punkts von 12.70 Meter», sagte der Chef des Wasserkraftwerkbetreibers Ukrhidroenergo, Ihor Syrota,im ukrainischen Fernsehen. Das bedeute, dass kein Wasser mehr für die Trinkwasserversorgung der Ortschaften rundherum und die Kühlung des Kernkraftwerks Saporischschja am Südufer des Kachowka-Stausees entnommen werden könne.
Laut Syrota fällt der Wasserspiegel im Stausee täglich um etwa einen Meter. Diese Tendenz wird seiner Schätzung nach noch eine Woche anhalten. Sollte der Damm bis in die Grundfesten zerstört sein, könne der Pegel auf bis zu 3 Meter sinken. Damit werde der Dnipro auch in sein ursprüngliches Flussbett vor der Aufstauung zurückkehren.
In der Ukraine werden die Hilfslieferungen des Technischen Hilfswerks (THW) erwartet. Unter den Hilfsgütern sind Trinkwasserfilter und Stromgeneratoren. Der Kampf an der Front zwischen russischen und ukrainischen Truppen geht weiter. Zuletzt hatten sich die Gefechte im Süden der Ukraine zugespitzt. Offiziell hat Kiew den Beginn der eigenen Grossoffensive noch nicht bestätigt. Medien berichten allerdings davon, dass die Ukraine an mehreren Stellen zum Angriff übergegangen sei. (sda/dpa)