International
Ukraine

Neue russische Taktik: Nach den Kamikaze-Drohnen die Kamikaze-Panzer

Neue russische Kriegstaktik: Nach den Kamikaze-Drohnen die Kamikaze-Panzer

Russland setzt beim Sturm auf ukrainische Stellungen im Donbass auf eine in diesem Angriffskrieg neuartige und dennoch altbekannte Waffe. Der Erfolg ist mehr als zweifelhaft.
21.06.2023, 10:38
Bojan Stula / ch media
Mehr «International»
FILE - A Ukrainian national guard serviceman stands atop a destroyed Russian tank in an area near the border with Russia, in Kharkiv region, Ukraine, Sept. 19, 2022. A swift Ukrainian counteroffensive ...
Ukrainische Soldaten untersuchen einen zerstörten russischen Panzer (Symbolbild).Bild: keystone

Die Explosion ist gewaltig und übertrifft alle bisher ähnlich gefilmten Szenen: Ein Video, das seit 36 Stunden in den sozialen Netzwerken für Aufsehen sorgt, zeigt einen T-54/55-Panzer, der von einer Rakete getroffen und von der anschliessenden riesigen Detonation pulverisiert wird – eine Explosion so gross, dass sie unmöglich von der Panzerabwehrwaffe allein stammen kann. watson hatte berichtet.

Inzwischen verdichten sich die Hinweise, dass diese Drohnenaufnahme den Einsatz eines russischen Kamikaze-Panzers zeigt, der mit Tonnen von Sprengstoff befüllt wurde. Doch anstatt auf eine ukrainische Stellung zu treffen und dort Verheerungen anzurichten, ist der Panzer bereits im Vorfeld auf eine Mine gefahren und fahruntüchtig geworden. Ein ukrainisches Panzerabwehrteam hat dem wohl unbemannten Fahrzeug danach aus sicherer Entfernung den spektakulären Todesstoss versetzt.

Der Ort des Geschehens befindet sich angeblich südlich von Marjinka im Donbass. Dort haben sich die Ukrainer entlang einer Baumlinie in Stellungen eingegraben, welche die Russen nun offenbar durch den Einsatz von Sprengpanzern zu zerstören versuchen.

Ist der Angriff mit dem ferngesteuerten, alten T-54/55-Kampfpanzer noch eindeutig gescheitert, zeigt ein weiteres Video einen ebenfalls zum Sprengpanzer umgebauten MT-LB-Schützenpanzer, der mitten in derselben oder einer ähnlichen Baumreihe explodiert. Welche Schäden er dabei angerichtet hat, lässt sich noch nicht abschätzen.

Nach diesen ersten Bildern tauchen fast stündlich weitere Belege für den Einsatz dieser in der Ukraine neuartigen russischen Waffe auf. Vom russischen Verteidigungsministerium selbst stammt ein Video, das russische Soldaten beim Beladen eines MT-LB-Fahrzeugs mit Bomben, Minen und Sprengmitteln zeigt.

Laut Analysten ist es bis Dienstagabend zu mindestens vier solcher Angriffe gekommen; einer mit dem besagten T-54/55-Kampfpanzer, drei weitere mit MT-LB-Kettenfahrzeugen. Einer der Angriffe hat wohl in der Gegend um Saporischschja stattgefunden. Einer der russischen Kamikaze-Panzer könnte gemäss unbestätigten Angaben von einer – welche Ironie – Kamikaze-Drohne gestoppt worden sein.

In der Fachsprache werden solche Angriffe VBIED abgekürzt: Vehicle-Borne Improvised Explosive Device; also auf Fahrzeugen verladene improvisierte Sprengladungen. In Irak und Afghanistan erlangten Selbstmordattentate mit in die Menge oder Gebäude fahrenden Autobomben traurige Berühmtheit.

In der Ukraine scheinen die Russen ihre Sprengpanzer dagegen aus der Luft via Drohnen fernzusteuern. Den ehemaligen US-Generalleutnant und Nato-Befehlshaber Mark Hertling beeindrucken solcherlei Taktiken gleichwohl nicht: «Was für eine dumme Art der mechanisierten Kriegsführung durch die Russen», kritisiert der bekannte Militäranalyst auf Twitter die Vergeudung der ohnehin schwindenden Panzerbestände.

Der «Goliath» - deutsches Vorbild aus dem Zweiten Weltkrieg

Alles schon mal dagewesen, sagt sich die Zunft der Militärhistoriker. Im Zweiten Weltkrieg entwickelten die Deutschen spezielle «Ladungsträger», welche per Kabelfernsteuerung Sprengpakete gegen feindliche Bunker und Stützpunkte heranführten oder selber zusammen mit der Sprengladung explodieren sollten. Der berühmteste solcher Sprengpanzer war der nur 1,50 Meter lange und knapp 60 Zentimeter hohe «Goliath».

In seinem berühmten Spielfilm «Der Kanal» von 1957 zeigte der polnische Regisseur Andrzej Wajda in einer eindrucksvollen Szene die Panik, welche die deutschen «Goliaths» bei den Verteidigern während des Warschauer Aufstands auslösten.

Deutsche Soldaten werkeln an einem Goliath-Panzer.
Deutsche Soldaten bereiten während des Warschauer Aufstands von 1944 einen Goliath-Sprengpanzer vor.Bild: wikicommons

In der Realität bewährten sich die ferngesteuerten Mini-Panzer jedoch nur höchst selten. Aufgrund ihres langsamen Fortkommens von bloss 10 Stundenkilometern und ihrer dünnen Panzerung konnten sie von vorbereiteten Gegnern leicht abgeschossen werden. Oder sonst reichte es schon, wenn ein Wagemutiger das Kabel der Fernsteuerung mit einer Zange durchtrennte.

Die bisherigen Bilder aus der Ukraine zeigen noch nicht mit abschliessender Genauigkeit, ob die Russen mit ihrer Version der Kamikaze-Panzer erfolgreicher sein werden. (aargauerzeitung.ch)

DANKE FÜR DIE ♥
Würdest du gerne watson und unseren Journalismus unterstützen? Mehr erfahren
(Du wirst umgeleitet, um die Zahlung abzuschliessen.)
5 CHF
15 CHF
25 CHF
Anderer
twint icon
Oder unterstütze uns per Banküberweisung.
900 russische Panzer in der Ostukraine
1 / 10
900 russische Panzer in der Ostukraine
Russische Panzer auf einem Bahntransport in Matwejew nahe der ukrainischen Grenze.
quelle: x01095 / staff
Auf Facebook teilenAuf X teilen
Das könnte dich auch noch interessieren:
15 Kommentare
Weil wir die Kommentar-Debatten weiterhin persönlich moderieren möchten, sehen wir uns gezwungen, die Kommentarfunktion 24 Stunden nach Publikation einer Story zu schliessen. Vielen Dank für dein Verständnis!
Die beliebtesten Kommentare
avatar
Haarspalter
21.06.2023 12:03registriert Oktober 2020
Die ganze „Spezialoperation“ ist eine einzige Kamikaze-Aktion.

Putin fährt zum Ende seiner zweifelhaften Karriere sich selber und mit ihm ganz Russland an die Wand.

Und die eigene Bevölkerung applaudiert.
743
Melden
Zum Kommentar
15
Dieser Junge hat die Möwenschrei-Europameisterschaft gewonnen

Wie ein Held aus den Marvel-Filmen mutiert der 9-jährige Cooper Wallace am europäischen Möwenimitations-Wettbewerb selbst zu einem der Vögel. Der Junge aus Derbyshire zeigte sein Können bei der Europameisterschaft im Möwenschreien im belgischen De Panne in voller Montur. Prompt gewann er vergangenen Sonntag die Meisterschaft.

Zur Story