Die Ukrainer haben alle überrascht. 30 blutige Tage ist es her, als die zweitgrösste Armee der Welt ihr Land überfallen hat. Mit Artilleriegeschossen und Raketen werden ehemals blühende Metropolen wie Mariupol zu Geisterstädten zerbombt. Hunderttausende Menschen harren in Luftschutzbunkern aus, ohne Essen, Wärme, Strom. Tausende sind tot. Nach den härtesten Wochen der jüngeren Geschichte des Landes ist jedoch eines ungebrochen: Der Wille der Ukrainer zum Kampf.
Die Moral ist ein nicht zu unterschätzender Faktor im Krieg. Die Militärdoktrin - also das Handbuch mit den grundlegenden Prinzipien - der britischen Armee führt die Moral als eine der drei entscheidenden Kriterien auf, die bestimmen, wie schlagkräftig eine Armee ist. Die physische Ebene, also die Anzahl der Soldaten, ihre Ausrüstung, Training und ihre Ressourcen ist demnach ebenfalls entscheidend, genau wie das Verständnis der Umgebung, in der gekämpft wird.
Ohne die moralische Komponente aber fehlt demnach jeder Armee ein entscheidendes Puzzlestück. Das erfahren derzeit die Russen, deren Soldaten schlecht ausgerüstet und ohne klare Ziele in den Kampf gegen das «Brudervolk» geschickt werden.
Damit die Moral intakt bleibt - oder der Wille zu Kämpfen überhaupt erst entsteht -, braucht es Führung. «Leadership», wie es neudeutsch heisst. Keiner verkörpert das besser als der ukrainische Präsident Wolodimir Selenskyj. Mit grünem Shirt und geballter Faust peitscht er seine Landsleute zum Sieg über die feindlichen Besatzer.
Seine Video-Auftritte vor den Vereinten Nationen, dem amerikanischen Kongress und an Friedensdemos wie zuletzt in Bern lassen seine Landsleute wissen: Ihr Schicksal wird in der Welt gehört. Selenskyj selbst ist bereit, sein Leben für die Ukraine, für seine Landsleute zu geben. Darum ist er längst zum Kriegshelden avanciert: Sein Konterfei wird auf T-Shirts gedruckt und an Häuserfassaden gehängt.
Der Wille zu Kämpfen - so lange Selenskyj vorangeht, muss man sich über die Moral der ukrainischen Soldatinnen, Soldaten und Freiwilligen der Territorialverteidigung keine Sorgen machen.
Das wissen allerdings auch die Russen. Mehrfach schickte der Kreml Killerkommandos los, um Selenskyj zu ermorden. Bislang ohne Erfolg. Doch was, wenn die russische Armee dem Anführer des ukrainischen Widerstands habhaft wird - oder ihn gar töten sollte?
Der Sicherheitsexperte Ed Arnold vom britischen Royal United Services Institute warnt in einer Analyse nun genau vor diesem Fall. Eines der grössten Risiken für die Ukraine besteht laut Arnold darin, dass Selenskyj zur Schwachstelle für den ukrainischen Widerstand werden könnte, sollte er gefangen genommen oder ermordet werden.
In der Tat: Je grösser die Rolle, die Selenskyj für den Widerstand spielt, desto grösser wäre das Loch, das er reissen würde. Ob dies den Zusammenbruch der ukrainischen Verteidigung bedeuten würde, lässt sich freilich so nicht sagen. Für die Moral der Truppe und der Menschen im ganzen Land, an der so vieles hängt, wäre es allerdings ein harter Schlag.
Entscheidend sei daher, so Arnold, dass Selenskyj «einen klaren Nachfolgeplan aufstellt und einen Nachfolger ernennt, der die Sache weiterführen kann».
Die Ukrainer haben das Kriegs-Momentum derzeit auf ihrer Seite. Ihnen gelingt es sogar, russische Einheiten nördlich von Kiew zurückzudrängen und teilweise einzukesseln. Im Süden und im Osten des Landes sieht es jedoch anders aus. Dort marschieren die Russenweiter voran.
Für den weiteren Verlauf des Krieges müssen die Ukrainer daher auf Rückschläge vorbereitet sein. Sicherheitsspezialist Arnold hält fest:
Ein Verlust ihres wichtigsten Symbols, zu dem Selenskyj in diesem Krieg zweifellos geworden ist, könnte daher gravierende Folgen haben. (aargauerzeitung.ch)
Selenskyi ist ein junger Mann mit einer enormer Präsenz und Ausstrahlung, der genau weiss, wie er sich in Szene setzen kann.
Zudem nutzt er die sozialen Medien wie kein anderer vor ihm und erreicht so sehr viele Menschen.
Und es ist eben schon eindrücklich, wenn ein Staatsoberhaupt mitten im Krieg zu einem im eigenen Wohnzimmer am TV spricht. Das kann gar nicht ohne Wirkung bleiben.
Und so ist es auch für die Ukrainer. Diese Wirkung ist da und wird bleiben.
Da gibt's weitere Aushängeschilder wie Klitschko. Wichtig ist auch dass die Ukrainer sich selbst und ihren Nachbarn und Kameraden vertrauen. Das all zusammen halten erreicht man bisher nur mit einer Ikone.